Einheimischen-Modelle:Unter uns

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Es ist schön, und München ist auch nicht weit: Diese Kombination führt in vielen oberbayerischen Städten zu stark steigenden Immobilienpreisen. Zum Beispiel in Lenggries.

(Foto: imago/Westend61)

Manche Städte verkaufen Bauland vorrangig an ihre Einwohner. Damit sollen Menschen mit geringeren Einkommen im Ort gehalten werden. Doch die Regelungen sind komplex.

Von Johanna Pfund

Thomas Herker macht es kurz. "Mit dem Zug ist man von Pfaffenhofen aus in 22 Minuten am Hauptbahnhof in München, nach Ingolstadt sind es 38 Kilometer." Das ist Segen und Fluch zugleich, sagt der Bürgermeister von Pfaffenhofen an der Ilm. Ein Segen, wenn man Arbeit sucht, ein Fluch, wenn man eine Wohnung sucht. "Es gibt 70 bis 80 Bewerber für eine freie Wohnung, es herrscht ein immenser Druck", sagt Herker. Darum setzt die 26 000-Einwohner-Stadt bei der Vergabe von Bauland seit Jahrzehnten auf das Einheimischenmodell: Weist die Kommune ein neues Baugebiet aus, muss ein Teil der Grundstücke Einheimischen zu einem günstigeren als dem ortsüblichen Preis zur Verfügung stehen. Gerade im vom Zuzug belasteten Südbayern greifen Kommunen jeglicher Größe gerne zu dem Modell - wie etwa auch das reiche Starnberg oder das etwas weniger überlaufene Traunstein oder beliebte Tourismusorte wie Lenggries. Zulässig ist das aber erst wieder seit knapp zwei Jahren. Die EU hatte das Vorgehen jahrelang gestoppt: wegen Diskriminierung. Die neuen Regeln, auf die sich EU und Bundesregierung geeinigt haben, sind wesentlich strenger.

Gerade im Speckgürtel Münchens haben in den 1980er- und 1990er-Jahren viele Gemeinden das Einheimischenmodell angewandt, um ortsansässigen Familien trotz immens steigender Immobilienpreise noch Bauland zu deutlich günstigeren Preisen anzubieten. Das ging gut, bis die EU-Kommission 2006 Bedenken anmeldete und ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einleitete. Der Grund: Die Einheimischenmodelle würden gegen die Gleichbehandlung verstoßen. Der Gedanke des freien Marktes in der EU kollidierte hier mit dem Selbstverwaltungsrecht der Kommunen. Nach elf Jahren Diskussion einigten sich EU, das Bundesbauministerium und der Freistaat Bayern: Ein Einheimischenmodell ist mit bestimmten Kriterien nun wieder zulässig.

Schon nach fünf Jahren gilt man als Einheimische

Die sozialen und ökonomischen Kriterien wurden gestärkt. Es gibt eine Vermögensobergrenze, das Einkommen darf das des Durchschnitt-Steuerzahlers in der jeweiligen Kommune nicht übersteigen, und schon nach fünf Jahren Arbeit, ehrenamtlicher Tätigkeit oder Wohnen am Ort gilt man als einheimisch. Überhaupt darf die Ortsansässigkeit bei der Vergabe maximal zu 50 Prozent zählen. Mindestens zur Hälfte zählen soziale Kriterien - geringes Einkommen, Kinder, Pflegebedürftige im Haushalt.

Trotz der engen Vorgaben sind die Bayern - wo das Einheimischenmodell meistens angewandt wird - zufrieden. "Wir sind froh, dass die EU das akzeptiert, nach Jahren des Köchelns", sagt Wilfried Schober, Pressesprecher des Bayerischen Gemeindetags. "Wir haben klar gemacht, dass solche Modelle keine Diskriminierung anderer Bauwilliger sind, sondern dass sie nur vermeiden sollen, dass die angestammte Bevölkerung in hochpreisigen Regionen gezwungen wird, wegzuziehen." Vor allem Südbayern und der gesamte Alpenrand litten unter dem Preisdruck.

Das trifft aber auch auf andere Regionen zu. "Das Modell hat auch Geltung über Bayern hinaus", sagt Bernd Düsterdiek, Referatsleiter Städtebau beim Deutschen Städte- und Gemeindebund. In allen Ballungszentren sei bezahlbarer Wohnraum das große Thema. Das Einheimischenmodell sei in der gesamten Gemengelage ein Mosaikstein. Denn viele Städte hätten einen Verdrängungseffekt - finanziell weniger leistungsfähige Bürger würden immer weiter raus aufs Land gedrängt. "Und diese Verdrängung führt zu Brüchen in der Gesellschaft", sagt Düsterdiek. Schlafstädte ohne Vereinsleben, ohne ehrenamtlich Tätige, das wäre nicht gut.

Ganz glücklich sind aber nicht alle Gemeinden mit den neuen Vorgaben. "Es ist nicht mehr so wie früher", sagt Werner Weindl, Bürgermeister der Gemeinde Lenggries. Der 10 000-Einwohner-Ort im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen liegt gut eine Stunde per Zug oder Bahn südlich von München, der gern zitierte Freizeitwert ist hoch, die Baulandpreise sind massiv gestiegen. Mehr als 1000 Euro kostet ein Quadratmeter in begehrten Ortsteilen, noch vor wenigen Jahren waren es um die 400 Euro. "Früher galt das Einheimischenmodell für Leute, deren Familien schon immer oder sehr lange im Dorf gelebt haben", erläutert Weindl. Jetzt bekommen Bewerber schon die höchste Punktzahl für Ortsansässigkeit, wenn sie nur fünf Jahre in der Gemeinde gelebt haben, auch die Arbeit am Ort und die ehrenamtliche Tätigkeit zählen. Eine 30-jährige Bindung an das Grundstück wie früher sei nicht mehr möglich; nach den neuen Leitlinien kann das Grundstück auch nach zehn Jahren schon veräußert werden. "Da frag ich mich, ist das der Sinn? Wenn man schon nach zehn Jahren frei mit einem solchen Grundstück spekulieren kann?"

Lenggries hat seine Antwort auf die Frage gefunden: Im Dezember 2018 hat der Gemeinderat ein Fördermodell gebilligt, nach dem Parzellen im Erbbaurecht vergeben werden. Bauwillige, die die Kriterien des Modells erfüllen, zahlen dementsprechend weniger Erbbauzins und haben eine Baupflicht innerhalb von fünf Jahren. Zwei Flächen stehen derzeit zur Verfügung: Ein Areal mit 2000 Quadratmetern, ein weiteres mit 5000 Quadratmetern konnte die Kommune gerade günstig erwerben. Einfach wird die Vergabe nach dem Fördermodell nicht, das weiß Weindl. "Man muss da ganz objektiv nach dem Kriterienkatalog vorgehen. Da müssen wir auch erst noch Erfahrungen machen."

Die Einkommensgrenzen können die Gemeinden selbst festlegen

Thomas Herker in Pfaffenhofen ist klarer Befürworter des Einheimischenmodells. "Die Stadt weist Bauland seit 25 Jahren grundsätzlich nur in Verbindung mit dem Einheimischenmodell aus. Unser Ziel ist es, das Wachstum zu dämpfen und Härten abzufedern." Im neuen Baugebiet sind 20 Parzellen für das Modell vorgesehen. Vier weitere Baugebiete stehen zur Verfügung, 50 Prozent davon sollen nach dem Einheimischenmodell vergeben werden. Die andere Hälfte wird auf dem freien Markt verkauft. Das hat für Bauwillige, die die Kriterien erfüllen, durchaus Vorteile: Momentan kostet ein Quadratmeter Bauland in Pfaffenhofen ohne Erschließung etwa 800 Euro, im Einheimischenmodell dagegen nur 290 Euro. Pfaffenhofen geht noch einen Schritt weiter und vergibt auch Eigentumswohnungen nach den Kriterien - für 2990 Euro pro Quadratmeter statt 4800.

Trotz der günstigen Bedingungen bleibt das eigene Häuschen oder die eigene Wohnung eine sportliche Sache: In Lenggries darf ein Paar, das in Betracht kommt, nicht mehr als 74 000 Euro zu versteuerndes Einkommen haben, in Pfaffenhofen sind es 90 000 Euro, die Vermögensgrenze liegt dort bei 170 000 Euro. Matthias Simon, Referent für Baurecht beim Bayerischen Gemeindetag, sieht das Thema in seiner Breite: Grundsätzlich sei das Modell geeignet, eine gleichbehandelnde, transparente und diskriminierungsfreie Vergabe der oft wenigen Grundstücke zu gewährleisten. Die Herausforderung liegt vor allem im Umgang mit der riesigen Preisspanne in Bayern, wo die Preise pro Quadratmeter Bauland zwischen 40 und 2000 Euro schwanken. Nachhaltig und bedarfsgerecht Bauland zu schaffen in einer Gegend, die dicht besiedelt ist und deren Bevölkerung wächst, sei eine Herausforderung - und eine Zukunftsfrage.

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