Eigenbedarf:Hart auf hart

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Immer mehr Vermieter kündigen wegen Eigenbedarf. Viele Mieter wehren sich dagegen und berufen sich auf Regelungen zu Härtefällen. Doch das wird immer schwieriger.

Von Andrea Nasemann

Angesichts hoher Mieten entschließen sich immer mehr Wohnungseigentümer, ihr Eigentum selbst oder für die Kinder zu nutzen. Eigenbedarf ist der mit Abstand häufigste Kündigungsgrund. "Wenn der Eigenbedarf ausreichend begründet ist, erkennen die Gerichte ihn meistens an", erklärt der Münchner Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht, Harald Spöth. Mieter haben meist schlechte Karten. Nur in wenigen Fällen können sie sich erfolgreich wehren.

Den Kündigungsgrund Eigenbedarf und die Interessen des Mieters prüfen die Gerichte sorgfältig. Allerdings werden Mieterinteressen nicht automatisch berücksichtigt, nicht in jedem Einzelfall muss geprüft werden, ob ein Härtefall vorliegt. "Voraussetzung dafür ist vielmehr, dass sich der Mieter rechtzeitig auf die sogenannte Sozialklausel berufen hat und Härtegründe gegen eine Räumung geltend gemacht hat, die über das allgemeine Interesse, wohnen zu bleiben, hinausgehen", erläutert Ulrich Ropertz vom Deutschen Mieterbund.

Richter müssen zwischen den Interessen von Mietern und Vermietern abwägen

Der Bundesgerichtshof hat in diesem Jahr zwei Entscheidungen getroffen, die ein neues Licht auf die Gewichtung der Vermieter- und Mieterinteressen werfen. Der Tenor der Urteile: Die Gerichte müssen die vom Mieter angeführten Härtegründe ernst nehmen. Andererseits dürfen aber Krankheiten beziehungsweise das Gesundheitsinteresse des Mieters nicht automatisch Vorrang vor dem Vermieterinteresse haben.

Der erste Fall: Eine vierköpfige Familie kaufte eine 73 Quadratmeter große Wohnung in Berlin und kündigte der Mieterin wegen Eigenbedarf. Die Käufer beriefen sich darauf, dass sie bisher in einer 57 Quadratmeter großen Zweizimmerwohnung zur Miete wohnten und die andere Wohnung nur gekauft hatten, um selbst einziehen zu können. Für das Landgericht Berlin eine klare Sache: Es hielt zwar die Eigenbedarfskündigung für rechtens, wies die Räumungsklage aber - gestützt auf die Sozialklausel - trotzdem ab. Die Mieterin könne sich auf ihr hohes Alter von 82 Jahren, eine attestierte Demenzerkrankung, eine lange Mietdauer und die schwierige Lage auf dem Wohnungsmarkt berufen. Beim Erwerb der Wohnung sei für den Käufer bereits absehbar gewesen, dass er mit solchen Härtegründen habe rechnen müssen.

Doch der Bundesgerichtshof hob am 22. Mai 2019 die Entscheidung des Landgerichts Berlin auf. Das Gericht dürfe nicht schematisiert entscheiden und dem Vermieterinteresse ein geringeres Gewicht beimessen, weil es sich hier um "gekauften Eigenbedarf" handelte. Hinsichtlich des Gesundheitszustands des Mieters müsse ein Sachverständigengutachten eingeholt werden. Berufe sich der Mieter auf die Sozialklausel, müsse in jedem Einzelfall genau geprüft werden, ob ein Härtefall vorliege, der eine Kündigung unwirksam mache (VIII ZR 180/18).

Die Urteile des Bundesgerichtshofs dürften Kündigungen erleichtern

Mit seiner zweiten Entscheidung am gleichen Tag blies der BGH in dasselbe Horn. Die Eigentümerin einer vermieteten Doppelhaushälfte kündigte den Bewohnern mit der Begründung, zusammen mit ihrem Lebensgefährten dort einziehen zu wollen, um die in der Nähe wohnende pflegebedürftige Großmutter besser versorgen zu können. Die Mieter widersprachen der Kündigung, der Eigenbedarf sei nur vorgeschoben. Darüber hinaus beriefen sie sich auf Härtegründe, insbesondere auf eine schwere Erkrankung. Das Landgericht Halle verurteilte die Mieter dennoch zum Auszug, obwohl die zu pflegende Großmutter zwischenzeitlich verstorben war. Aus den ärztlichen Attesten ergebe sich nicht zweifelsfrei, dass ein Umzug zu schwerwiegenden Gesundheitsbeeinträchtigungen führen würde, hieß es.

Der BGH hob auch diese Entscheidung auf. Das Landgericht habe die durch Atteste belegten Härtegründe des Mieters bagatellisiert und es versäumt, ein Sachverständigengutachten zu den Auswirkungen eines erzwungenen Umzugs auf den Gesundheitszustand des Mieters einzuholen (VIII ZR 167/17).

Ulrich Ropertz sieht in dieser Entscheidung allerdings kein positives Signal für den Kündigungsschutz. "Bisher galt der Grundsatz, dass bei der Abwägung zwischen den Grundrechten des Vermieters auf Eigentum und freie Lebensgestaltung und dem Recht auf körperliche Unversehrtheit des Mieters den Mieterinteressen Vorrang eingeräumt wurde. Diesen Grundsatz hat der BGH mit diesen Entscheidungen relativiert", erläutert Ropertz. Damit stiegen die Chancen für Vermieter, eine Eigenbedarfskündigung durchzusetzen, deutlich.

Bisher können sich Mieter auch bei einer berechtigten Eigenbedarfskündigung auf die Sozialklausel berufen, wenn für sie die Räumung der Wohnung eine unzumutbare Härte bedeuten würde. Typische Härtegründe sind die Unmöglichkeit, eine angemessene Ersatzwohnung zu finden, eine lange Wohndauer, die Verwurzelung in der Wohngegend und vor allem der schlechte Gesundheitszustand des Mieters. Das hohe Alter des Mieters allein oder eine bestimmte Mietdauer führen jedoch nicht ohne Weiteres zur Anwendung der Sozialklausel.

Eigenbedarfsverfahren werden länger und teurer

Beruft sich der Mieter auf schwerwiegende Erkrankungen und auf mit einem Umzug verbundene Gesundheitsgefahren, genügt auch das allein nicht, um eine Fortsetzung des Mietverhältnisses zu erreichen. In diesen Fällen muss ein Sachverständigengutachten eingeholt werden, um zu klären, an welchen Erkrankungen der Mieter konkret leidet und wie sich diese auf seine psychische und physische Verfassung auswirken.

"Eigenbedarfsverfahren werden dadurch länger und teurer", sagt Rechtsanwalt Spöth. Die Gerichte sind nun gezwungen, stärker auf den Einzelfall einzugehen und diesen intensiver zu prüfen. Zwar lasse sich aus dem Statement des BGH keine automatische Pflicht ablesen, immer Gutachter einschalten zu müssen. In der Praxis aber laufe es darauf hinaus, weil die Richter keine medizinischen Fachkenntnisse haben. Das heißt: Vermieter werden in Zukunft wegen der Sachverständigengutachten länger auf eine Räumung warten müssen, weil der Mieter während des Gerichtsprozesses in seiner Wohnung bleiben darf. Die für das Gutachten anfallenden Kosten werden in die Prozesskosten eingerechnet. Zahlen muss sie derjenige, der den Räumungsprozess verloren hat. Für ihn werden sich die Kosten künftig deutlich erhöhen.

© SZ vom 28.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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