Süddeutsche Zeitung

E-Mobilität:Wer zuerst kommt, lädt zuerst

In vielen größeren Mehrparteienhäusern werden heute schon immer häufiger feste Stromanschlüsse für Autos mit elektrischem Antrieb installiert. Das zu machen ist aber gar nicht so einfach wie man meint.

Von Jochen Bettzieche

Eine Million Elektrofahrzeuge bis zum Jahr 2020 in Deutschland, das war der Plan der Bundesregierung. Daraus wird nichts werden. Bundeskanzlerin Angela Merkel gab sich aber Ende September zuversichtlich, dieses Ziel bis 2022 zu erreichen.

Klingt gut, aber das heißt auch, es braucht mehr Ladestationen. Wer mit dem Elektroauto unterwegs ist, der will es in der Regel auch zu Hause laden können und nicht mehrere Straßenzüge entfernt an einer öffentlichen Station. Für Besitzer eines Einfamilienhauses ist das kein Problem. Sie können sich die nötige Infrastruktur einfach installieren lassen. In Mehrparteienhäusern hingegen sieht die rechtliche Lage anders aus.

Julia Wagner, Rechtsexpertin beim Eigentümerverband Haus & Grund Deutschland in Berlin, betrachtet den Einbau als Modernisierung: "Dann benötigen Sie auf der Eigentümerversammlung eine doppelt qualifizierte Mehrheit, das heißt, drei Viertel der Stimmberechtigten und mehr als die Hälfte der Miteigentumsanteile müssen zustimmen."

Doch diese Meinung ist kein juristischer Konsens. "Ein Wohnungseigentümer benötigt zum Einbau einer Lademöglichkeit im Regelfall die Zustimmung aller anderen Wohnungseigentümer", sagt ein Sprecher des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) in Berlin.

Für Mieter ist es noch schwieriger. "Der Vermieter muss keine Ladeinfrastruktur zur Verfügung stellen, er muss auch nicht zustimmen, falls der Mieter auf eigene Kosten eine Ladestation einbauen will", erklärt Ulrich Ropertz, Geschäftsführer beim Deutschen Mieterbund in Berlin.

Zusätzliche Hemmschwelle sind die Hausverwaltungen. Thomas Klug, Geschäftsführer des Beratungsunternehmen E-Auto-Lader aus Marquartstein, hat mehr als 200 große Hausverwaltungen befragt. Das Ergebnis: Rund ein Fünftel hat bereits in einem oder in mehreren betreuten Objekten Ladestationen installieren lassen. Wer bereits Erfahrungen gesammelt hat, tut sich bei weiteren Maßnahmen leichter, denn die technische Umsetzung hat durchaus ein paar Knackpunkte. Laut Klug sind die aber gut in den Griff zu bekommen.

Einem Gebäude steht nicht beliebig viel Strom zur Verfügung. Die maximale Menge gibt der Netzbetreiber vor. "Wenn viele Geräte wie Waschmaschinen und Fernseher laufen und dann auch noch mehrere Elektrofahrzeuge geladen werden, kann ihnen die Hauptsicherung rausknallen", warnt Klug. Das wird teuer, denn die darf nur ein Fachmann austauschen. Klug empfiehlt daher intelligente Lastmanagementsysteme. Die erkennen, wie viel Strom in den Wohn- und Wirtschaftsräumen des Gebäudes benötigt wird. Nur die Differenz zum Maximum steht fürs Laden zur Verfügung. "Dabei gilt, wer zuerst sein Fahrzeug anschließt, bekommt es auch zuerst geladen, zumindest zu 80 Prozent", erläutert er seine Herangehensweise.

Pech für Menschen, die spät abends nach Hause kommen und in der Früh als Erste wieder losmüssen. Aber auch dafür kennt Klug eine Lösung: den VIP-Schalter. "Wer den drückt, lädt sofort, zahlt dafür aber drei bis vier Euro an die WEG, die bei der Abrechnung von den Kosten für Allgemeinstrom abgezogen werden", beschreibt er den Ansatz.

Je mehr Fahrzeuge elektrisch fahren, desto mehr Strom sollte der Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) zur Verfügung stehen. Für eine höhere Leistung genügt es manchmal, eine größere Hauptsicherung einzusetzen, erklärt Klug: "Braucht man hingegen eine neue Zuleitung, ist man schnell mit 30 000 Euro dabei." Im Vergleich dazu fallen die Kosten für die Ladestationen gering aus. Der Berater empfiehlt günstige Varianten für rund 500 Euro: "Die Produkte im vierstelligen Bereich braucht man eigentlich nicht, wenn man nur die Batterie seines Autos laden will."

Hinzu kommt die Installation der Infrastruktur im Gebäude. Deren Kosten hängen von der individuellen Situation vor Ort ab, sagt Christian Schembor, verantwortlich für Ladelösungen im privaten, halböffentlichen und gewerblichen Raum bei den Stadtwerken München (SWM): "Das können wenige Tausend Euro sein bis hin zu einem mittleren fünfstelligen Betrag."

Die Bundesregierung plant Änderungen beim Wohnungseigentumsgesetz

Kein Wunder also, dass es schwierig sein kann, die Zustimmung der WEG zu erhalten. Die Stadtwerke haben daher eine andere Herangehensweise entwickelt. Sie schließen mit der WEG einen Gestattungsvertrag ab. Dann installieren die SWM die Infrastruktur auf eigene Kosten. "Bewohner können dann für 40 bis 50 Euro pro Monat eine Ladestation mieten", sagt Schembor. Das wirtschaftliche Risiko liegt bei den Stadtwerken. Knapp 100 dieser Verträge haben die SWM bereits geschlossen.

Schembor rät auch dazu, bei Neubauten bereits eine Ladeinfrastruktur einzuplanen und zumindest Versorgungsleitungen einzubauen. Dann ist es vergleichsweise einfach, Ladestationen nachzurüsten, falls Bewohner Interesse anmelden. "Das ist deutlich günstiger, als im Nachhinein teuer umzubauen", sagt der Experte. Das kann auch den Wert der Immobilie beeinflussen. "Ich habe zwar Zweifel, dass man bereits einen Zusammenhang zwischen Ladeinfrastruktur und Preis einer Immobilie sieht", sagt Stephan Kippes, Geschäftsführer beim Immobilienverband Deutschland Süd in München. Bei Verhandlungen wäre es aber allemal ein Pluspunkt. "Langfristig könnte es bei Mehrfamilienhäusern ein Störfaktor werden, wenn keine Lademöglichkeiten vorhanden sind", erwartet Kippes. Allerdings könnten Trends wie Carsharing und automatisiertes Fahren den Bedarf in den kommenden Jahrzehnten wieder reduzieren.

Haben Wohnungseigentümer noch ein paar Monate Zeit, bevor sie eine Ladeinfrastruktur benötigen, sollten sie abwarten. Denn die Bundesregierung plant eine Novelle des Wohnungseigentumsgesetzes. Ein schriftlicher Diskussionsentwurf sieht vor, dass Miteigentümer künftig alle Maßnahmen zu dulden haben, die für die Installation einer Ladevorrichtung nötig sind. Gleichzeitig sollen Mieter über eine Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) gegenüber ihrem Vermieter den Anspruch erhalten, auf eigene Kosten eine Ladesäule zu errichten. Derzeit beschäftigt sich nach Angaben des Sprechers des Justizministeriums eine länderübergreifende Arbeitsgruppe mit dem Thema, und die "wird ihre Ergebnisse im kommenden Jahr vorlegen".

Ein Entwurf des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz geht nicht ganz so weit, räumt der Installation einer Ladeinfrastruktur für Elektromobilität aber auch mehr Rechte ein.

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Quelle:
SZ vom 25.01.2019
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