DIW-Präsident Zimmermann:"Man darf nicht über alles gleichzeitig besorgt sein"

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Zinserhöhung, Rekord-Inflation und dazu der horrende Ölpreis: Welche Konsequenzen hat die Entscheidung der Europäischen Zentralbank für die Verbraucher und auf die Konjunktur? Dazu der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Professor Klaus F. Zimmermann.

Melanie Ahlemeier

Professor Klaus F. Zimmermann, 55, führt seit Januar 2000 das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin an, das zu den führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstituten zählt. Zimmermann leitet zusätzlich das Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) in Bonn, das er mit aufbaute. Seit 1998 hat er einen Lehrstuhl für Wirtschaftliche Staatswissenschaften in der ehemaligen Bundeshauptstadt Bonn inne, an der Freien Universität Berlin ist er als Honorarprofessor tätig. Eine Gastprofessur aus Peking erhielt er vor zwei Jahren. Über sein wissenschaftliches Wirken sagt er: "Ich lasse mich von Fakten treiben, nicht von wirtschaftstheoretischer Ideologie."

Ein höherer Leitzins, eine von hohen Energiepreisen getriebene Rekord-Inflation - und wie entwickelt sich die Konjunktur? (Foto: Fotos: ddp, AP, AFP)

sueddeutsche.de: Herr Professor Zimmermann, die Währungshüter wollen die hohe Inflation nicht länger hinnehmen. Deshalb hat die EZB nach mehr als einem Jahr den Leitzins um 0,25 Prozentpunkte auf 4,25 Prozent erhöht. Die richtige Entscheidung - oder Gift für die Konjunktur?

Klaus F. Zimmermann: Die Konjunktur schwächt sich zwar derzeit ab, sie ist aber noch nicht abgewürgt. Im Gegenteil deutet das Konjunkturmuster auf eine Erholung im nächsten Jahr hin. Es bestehen also keine größeren Bedenken. Zum anderen ist der Zinsschritt sehr gering, er ist mehr Symbolik. Realwirtschaftlich, also für Produktion und Beschäftigung, wird die Maßnahme kaum Effekte haben.

sueddeutsche.de: Sie nennen es "Symbolik" - hätte der Zinsschritt angesichts der hohen Inflation in der Euro-Zone von 4,0 Prozent größer ausfallen müssen?

Zimmermannn: Nein, die Zentralbank hat klargemacht, dass ihr die Inflation wichtig ist. Alle Akteure innerhalb des Euro-Raumes, die Einfluss auf die Inflationsentwicklung haben, sollen wissen: Die EZB ist aktiv! Und es ist ein Signal dafür, dass die Zentralbank auch versuchen wird, die im Zuge der Finanzmarktkrise in das Finanzsystem eingeschleusten liquiden Mittel wieder herauszuziehen - denn die haben letztlich ein Inflationspotential.

sueddeutsche.de: Höhere Zinsen erschweren Banken das Geschäft - für sie wird es teurer, sich bei der Notenbank mit frischem Geld einzudecken. Wann kommt der höhere Leitzins beim normalen Bankkunden an? Oder anders gefragt: Wann werden die Überziehungszinsen für meinen Dispokredit teurer?

Zimmermannn: Aufgrund dieser Zinsentscheidung sehe ich das fast gar nicht. Nichts wird beim Endverbraucher ankommen. Monetäre Prozesse dauern sehr lange, bis sie im System wirken. Selbst ein Zinsschritt von einem Prozentpunkt hätte die Verzögerung nicht verkürzt.

sueddeutsche.de: Das Drehen an der Zinsschraube könnte ziemlich schnell verpuffen. Ignoriert die EZB, dass die größten Einflussfaktoren für die Inflation von außen kommen?

Zimmermannn: Ein größerer Zinsschritt, etwa von 0,5 Prozentpunkten, hätte den Eindruck vermittelt, die EZB könne die importierte Inflation massiv bekämpfen. Die Maßnahme soll den Euro stärken und damit die Abwehrkräfte der europäischen Wirtschaft mobilisieren. Weltweit ist sie ein Signal, auch an die amerikanische Zentralbank, denn die hat ebenfalls ein Inflationsproblem.

sueddeutsche.de: Die Zinserhöhung trifft auch Finanzminister Peer Steinbrück. Geriete die Konjunktur ins Stottern, würde der angestrebte ausgeglichene Haushalt schnell ein Luftschloss - und der Bund müsste für den Ausgleich seiner Schulden noch mehr Geld aufbringen.

Zimmermannn: Finanzminister Steinbrück hat nur im Auge, dass bei einem steigenden Zinsniveau auch seine Zinszahlungen erheblich zunehmen.

Lesen Sie auf Seite zwei, wann die aktuelle Zinserhöhung wirkt.

sueddeutsche.de: Zinsanhebungen wirken immer mit Zeitverzögerung. Wie groß ist die Gefahr, dass die Erhöhung mitten im Abschwung die Krise verschärft?

Trotz Zinsanhebung: DIW-Präsident Klaus F. Zimmermann bangt nicht um die konjunkturelle Entwicklung. (Foto: Foto: dpa)

Zimmermannn: Man muss mit weit über einem Jahr rechnen, bis restriktive Maßnahmen der Zentralbank im realen Sektor ankommen. Dann sind wir im Herbst 2009. In unserer Einschätzung stellt der Zinsschritt kein Problem dar: Der Effekt auf die Realwirtschaft ist verschwindend klein, die Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts wird nicht spürbar beeinflusst. Für Herbst nächsten Jahres erwarten wir außerdem ein Wachstum von 1,7 Prozent - das ist immer noch ganz ordentlich. Von daher kann man auch nicht von einer besonders kritischen konjunkturellen Lage sprechen, auf die es dann trifft.

sueddeutsche.de: Sie nennen es eine nicht beunruhigende Situation - viele Verbraucher werden jedoch beim Blick auf die Preistreiber Energie und Lebensmittel nervös.

Zimmermannn: Das signalisiert relative Knappheit und drückt die relative Wertschätzung der Nachfrager aus. Das verändert die sogenannten Relativpreise und ist in der Marktwirtschaft normal. Ob daraus Inflation entsteht, muss man sehen. Inflation heißt ja, dass alle Preise auf Dauer steigen. Wir prognostizieren für die anderen Preise beruhigende Zahlen von um zwei Prozent. Die Zuwachsraten bei den Lebensmitteln und bei der Energie werden auch wieder deutlich zurückgehen.

sueddeutsche.de: Manche spekulieren schon auf eine kurzfristige Inflation in einer Größenordnung von 4,2 bis 4,3 Prozent - gehen Sie da mit?

Zimmermannn: Temporär ist das gut möglich, das wird sich aber auch wieder zurückbilden. Für Deutschland rechnen wir für 2008 mit einer Preissteigerung von 2,7 Prozent, 2009 sogar mit 2,2 Prozent. Das heißt aber nicht, dass die Energiepreise nicht noch einmal zulegen können.

sueddeutsche.de: Die Zinserhöhung könnte den ohnehin schon starken Euro-Kurs weiter in die Höhe treiben, zugleich erhöht ein hoher Leitzins die Attraktivität des Euros als Anlagewährung. Ein Teufelskreis?

Zimmermann: Der steigende Euro-Kurs ist nicht überraschend, er wird wegen der Erhöhung der Zinsdifferenz weiter zulegen. Das genau schirmt uns aber vor den Preissteigerungen außerhalb des Euroraumes ab, ist also in der jetzigen Situation gut für uns.

sueddeutsche.de: Die US-Notenbank hat den Leitzins in der vergangenen Woche nicht erhöht.

Zimmermann: Meiner Meinung nach wird die amerikanische Zentralbank in absehbarer Zeit umschwenken, aber bis dahin hat die EZB die Zinsen vielleicht ein weiteres Mal erhöht. Die Zinsdifferenz wird einerseits dafür sorgen, dass die europäische Währung eine Tendenz zur Aufwertung hat. Andererseits hat die US-Wirtschaft noch nicht zur alten Stärke zurückgefunden - das begünstigt erfahrungsgemäß die Stärke des Euros. Hinzu kommt, dass die Amerikaner ihren Staatshaushalt mit großer Wahrscheinlichkeit noch weiter verschulden müssen.

sueddeutsche.de: Wann kommt die größte Volkswirtschaft der Welt wieder auf Kurs?

Zimmermann: Spätestens in zwei Jahren. Dann wird sich auch der Wechselkurs wieder in die andere Richtung bewegen.

sueddeutsche.de: EU-Kommissar Almunia hat den Euro kürzlich als "überbewertet" bezeichnet. Hat er recht?

Zimmermann: Die Aussage, dass realwirtschaftlich gesehen der Dollar unterbewertet ist, hilft im Augenblick nicht. Die flexiblen Wechselkurse sind ja dafür da, nötige Anpassungsprozesse zu beschleunigen. Man darf nicht über alles gleichzeitig besorgt sein. Unsere größte Sorge gilt im Augenblick der Inflation - da ist ein starker Euro-Kurs gut. In diesem Leben kommt nichts ohne Preis, ohne Gegenfinanzierung - deshalb müssen wir hinnehmen, dass es für die Europäer etwas schwieriger wird zu exportieren und etwas problematischer für die Amerikaner, ihre Produktionsprozesse mit ausländischen Gütern durchzuführen.

Lesen Sie weiter, warum Amerikaner und Europäer im gleichen Boot sitzen.

sueddeutsche: Die Europäer fürchten die hohe Inflation, die Amerikaner bangen um die Konjunktur - wie kommen die Handelspartner wieder zueinander?

Zimmermann: Die Amerikaner bangen im Augenblick noch nicht um die Inflation, weil sie größere Schwierigkeiten mit der Konjunktur haben. Die US-Inflationsrate ist aber noch höher als bei uns. Wir sitzen letztlich gewissermaßen im gleichen Boot.

sueddeutsche.de: In den siebziger Jahren stieg der Ölpreis noch schneller als heute, gleichzeitig war die Inflationsrate höher. Die Gewerkschaften setzten hohe Lohnabschlüsse durch, welche die Inflation weiter anheizten. Die Arbeitslosigkeit stieg, die Wirtschaft war im Abschwung - es kam zur Stagflation. Notenbanken sind in so einer Situation im Grunde genommen machtlos. Müssen wir uns darauf wieder einstellen?

Zimmermannn: Die Situation ist heute anders, insofern besteht berechtigte Hoffnung. Damals war der Auslöser ein Angebotsschock, die Ölproduzenten wollten Kasse machen. Jetzt steigen die Preise auch, aber die Anbieter versuchen mehr zu produzieren. Es geht darum, dass die weltweite Öl-Nachfrage gestiegen ist - aber die Nachfrage ist die gleiche Nachfrage, die dafür sorgt, dass mehr Güter und Dienstleistungen aus Europa und Amerika geholt werden. Das bedeutet auch mehr Exporte für uns. Wir haben also insgesamt jetzt eine erträglichere Preissteigerung, die auch durch den starken Euro abgefangen wird.

sueddeutsche.de: 2008 stehen noch einige Tarifrunden an, zuletzt gab es eher Realeinkommensverluste. Ihr Rat an die Gewerkschaften?

Zimmermannn: Die Gewerkschaften und die Zentralbanken haben in der Stagflationsthematik dazugelernt. Bei der ersten Ölpreiskrise haben die Zentralbanken hart restriktiv agiert und die Gewerkschaften hohe Lohnforderungen gestellt. Wenn jetzt die Gewerkschaften die volle Inflationsrate für entsprechende Lohnforderungen zum Anlass nehmen, droht die Gefahr einer weiter steigenden Inflation und einer Rezession.

sueddeutsche.de: Welche Lohnsteigerungen sind realistisch?

Zimmermannn: Steigerungen von über drei Prozent wären sehr gefährlich. Die Gewerkschaften dürfen schon einen Inflationsausgleich verlangen, aber nur für die Kerninflation, und die liegt eher bei zwei Prozent. Für die derzeit zurückgehende Produktivität kommt vielleicht noch ein schwacher Prozentpunkt hinzu. Bei drei Prozent liegt also insgesamt die obere Grenze.

sueddeutsche.de: Das werden die Gewerkschaften nicht gerne hören.

Zimmermannn: Sie wissen, dass sie nicht mehr durchsetzen dürfen, das würde Arbeitsplätze vernichten.

sueddeutsche.de: Erst wenn der Ölpreis nicht länger Rekorde bricht, wird die hohe Inflation zurückgehen - und die EZB wieder die Zinsen senken. Wann wird das sein?

Zimmermannn: Die EZB wird dann die Zinsen senken, wenn sich die Wirtschaft in einem Konjunkturtief befindet und die Inflationsgefahr beseitigt ist. Das sehe ich für dieses und nächstes Jahr nicht. Eventuell Ende 2010, wahrscheinlich sogar erst 2011.

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