Süddeutsche Zeitung

IWF-Kandidatin Christine Lagarde:Alle für eine

Frankreich, Deutschland, jetzt auch Großbritannien: Im Rennen um den IWF-Chefposten wächst die Unterstützung für die französische Finanzministerin Christine Lagarde. Der bisherige Direktor Dominique Strauss-Kahn steht in New York unter Hausarrest - sein Aufenthaltsort wird zur Touristenattraktion.

Bei der Suche nach einem Nachfolger für den zurückgetretenen IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn erhält Frankreichs Finanzministerin Christine Lagarde immer mehr Rückendeckung aus Europa. Ihr britischer Kollege George Osborne erklärte, gemessen an ihren Verdiensten sei Lagarde eine "herausragende Kandidatin" für die Spitze des Internationalen Währungsfonds (IWF). "Und deshalb wird Großbritannien sie unterstützen."

Lagarde habe im Rahmen des Vorsitzes der G-20-Finanzminister in diesem Jahr "internationale Führungsstärke" bewiesen und verstehe es auch, die Interessen von Ländern mit finanziellen Schwierigkeiten zu vertreten, erklärte Osborne weiter. Zudem würde er es begrüßen, den IWF-Chefposten erstmals mit einer Frau zu besetzen.

Lagardes Vorgänger Strauss-Kahn, der in den USA unter anderem wegen versuchter Vergewaltigung und sexueller Belästigung angeklagt ist, war am Donnerstag zurückgetreten. Seitdem ringt der IWF um seine Nachfolge, über die bis Ende Juni entschieden werden soll.

Unterstützung erhielt Lagarde auch von ihrer österreichischen Amtskollegin Maria Fekter. Die französische Finanzministerin sei eine "sehr kompetente Persönlichkeit", sagte sie am Samstag im österreichischen Radio. Sie kenne sie selbst gut und könne sich vorstellen, dass Österreich ihre Kandidatur für die IWF-Spitze unterstütze.

In Deutschland hatten zuvor auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble (beide CDU) ihre Präferenz für Lagarde als neue IWF-Chefin erkennen lassen. "Ich habe immer gesagt - ohne dass das die Bestätigung einer Kandidatur ist - dass die französische Finanzministerin eine ausgezeichnete und erfahrene Persönlichkeit ist", sagte die Kanzlerin.

Derselben Meinung sind die Grünen. "Frau Lagarde ist eine bessere Kandidatin als es die Unterstützung durch Kanzlerin Merkel vermuten lässt", sagte der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Jürgen Trittin, der Süddeutschen Zeitung. Aus europäischer Sicht sei Lagarde die wahrscheinlich beste Kandidatin. Trittin hält es wegen des derzeit starken IWF-Engagements in Europa für richtig, dass die Europäer sich nun noch einmal um die Führung des Fonds bemühen. "Spätestens beim nächsten Mal" aber müssten die Schwellenländer zum Zug kommen.

SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier warf Bundeskanzlerin Angela Merkel mangelnden Einsatz für einen deutschen Kandidaten vor. "Es ist bemerkenswert, dass es Angela Merkel offenbar überhaupt nicht mehr in den Sinn kommt, einen deutschen Kandidaten ins Spiel zu bringen", sagte Steinmeier zu Spiegel Online. Die CDU-Vorsitzende sei mit ihrer Personalpolitik in Europa "komplett gescheitert". Deutschland stehe in den internationalen Gremien so schlecht da wie selten zuvor.

Zu einer möglichen Kandidatur der französischen Finanzministerin äußerte sich Steinmeier zurückhaltend. Sie sei "sicher im Feld der sechs bis acht Kandidaten, die ernsthaft diskutiert werden. Aber das Feld ist größer." Der nächste IWF-Chef müsse aber aus Europa kommen und nicht aus einem Schwellenland.

Der ehemalige IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn hat unterdessen den ersten Tag nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft unter Hausarrest verbracht. Das Gebäude in Manhattan, in dem er vorübergehend untergebracht ist, wurde am Samstag von Medienvertretern und Schaulustigen belagert. Der 62-Jährige war nach Angaben der New Yorker Behörden am Freitag einer Sicherheitsfirma anvertraut worden, die für seine Überwachung zuständig ist. Zuvor war er gegen eine Kaution in Höhe von einer Million Dollar (700.000 Euro) und einer Bürgschaft von fünf Millionen Dollar aus der Untersuchungshaft freigekommen.

Strauss-Kahn wohnt nun vorerst unter strengen Auflagen in einer Wohnung am Broadway. Dort wird er rund um die Uhr von bewaffneten Sicherheitsleuten überwacht und muss eine elektronische Fußfessel tragen. Seine Reisedokumente inklusive seines Diplomatenpasses von den Vereinten Nationen musste er bereits abgeben.

Verlassen darf er die Wohnung nahe Ground Zero, wo die Zwillingstürme des World Trade Centers standen, nur aus medizinischen Gründen. Erst später, wenn er in ein ständiges Domizil umgezogen ist, sind auch begleitete Fahrten zu Gerichtsterminen, zu Treffen mit seinen Anwälten oder zu Gottesdiensten erlaubt - allerdings nur nach sechsstündiger Voranmeldung. Von 22.00 bis 06.00 Uhr darf Strauss-Kahn die Wohnung gar nicht verlassen. Besuch darf er nur nach Einwilligung der Justiz empfangen.

Vor dem Gebäude versammelten sich zahlreiche Neugierige, Kamerateams von US-Medien und internationale Journalisten. Das Haus schaffte es zudem prompt in Stadtführungen für Touristen: "Auf der rechten Seite sehen Sie das Gebäude, in dem Strauss-Kahn unter Hausarrest steht", sagte ein Touristenführer zu seiner Gruppe, die an dem Haus im Finanzviertel der Metropole vorbeiging.

In einem Brief an die Bewohner, aus dem das Wall Street Journal zitierte, erklärte die Hausverwaltung des Gebäudes, sie sei vorab nicht darüber informiert worden, dass Strauss-Kahn hier die ersten Tage seines Arrests verbringen werde. Es sei ihr aber versichert worden, dass er nur ein paar Tage bleiben werde. Einige Anwohner reagierten indes kritisch auf das Blitzlichtgewitter vor ihrem Haus. "Ich finde das beängstigend", sagte etwa die Bewohnerin Gemma Harding.

Strauss-Kahn wird vorgeworfen, vor einer Woche in einem New Yorker Luxushotel ein Zimmermädchen sexuell bedrängt und zum Oralsex gezwungen zu haben. Bei einer Verurteilung drohen Strauss-Kahn, der als aussichtsreicher Kandidat für die französischen Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr galt, bis zu 74 Jahre Haft. Sein Anwalt rechnet jedoch mit einem Freispruch für seinen Mandanten. "Er wird sich für nicht schuldig erklären, und am Ende wird er freigesprochen werden", sagte Benjamin Brafman der israelischen Zeitung Haaretz. Wegen der Vorwürfe war er am Donnerstag als Chef des Internationalen Währungsfonds zurückgetreten.

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