Die Schweiz und das Bankgeheimnis:Ganz offen verschwiegen

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Wenn Kanzlerin Merkel in Bern nun über Steuerflucht spricht, geht es nicht nur um Geld - für die Eidgenossen ist ihre Diskretion die Frage der Nation.

Hans Leyendecker und Nicolas Richter

Kaum zu glauben, dass hier bald eine Ausstellung namens Secrets beginnt, auch an weniger verschwiegenen Orten wäre das ja ein Widerspruch in sich. Aber, in der Tat: Es werden Dessous, Stickereien und Spitzen zu sehen sein, und das Textilmuseum in St.Gallen gewährt erste Einblicke. Ein paar Modejournalisten sind da, sie bekommen schwarze Mappen, auf denen ein Schlüsselloch zu sehen ist. Vor dem Aperitif, der hier Apéro heißt, erfahren sie vom Chef des Textilverbands, dass sich unter der geschäftigen Oberfläche der Schweizer "ein nicht zu verachtendes Fünklein glühender Leidenschaft" verbirgt.

Die Ästhetik des Geheimen

Dann ergreift ein stattlicher Mann das Wort, er sitzt neben den anderen Machern von Secrets und hat hin und wieder unter seinem Schnauzbart in sich hineingelacht. "Wer Ästhetik im Verborgenen pflegt, hat einen aufrechteren Gang", sagt Konrad Hummler, Geschäftsführer der Privatbank Wegelin und Sponsor der Dessous-Schau. Die Bank entstand einst aus einer Textilfirma, aber man merkt, dass sich Hummler weniger für Négligés interessiert als für die Parallelen zu seinem Beruf. "Das Geheime", findet er, "hat durchaus ästhetischen Reiz. Dies gilt für die intimste Kleidung, aber auch und gerade für das Bankgeschäft."

Der Reiz des Geheimen: Konrad Hummler beschwört ihn bei jeder Gelegenheit - gegen einen Zeitgeist, der alles offenlegen will. Der 55-Jährige ist anders als die glatten Banker am Zürcher Paradeplatz, er ist unabhängig, direkt und sehr streitlustig. Da freut er sich auf die starke Gegnerin, die am Dienstag die Schweiz besucht. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kommt, und sie wird wohl fordern, dass die Schweiz Geheimnisse preisgibt: dass sie hilft, deutsche Steuerhinterzieher zu verfolgen. "Sie würde mich schon enorm enttäuschen, wenn sie das nicht anspricht", sagt Hummler, Liebhaber der Konfrontation.

Töne, scharf wie nie

Hummler hat unzählige Angriffe auf das Geschäft mit den Geheimnissen erlebt, aber diesmal, sagt er, ist etwas anders. Die Schweiz ist geschwächt: Die Großbanken haben in der Finanzkrise Milliarden verloren, und der Ton der Deutschen ist scharf wie nie. Es gehe diesmal nicht nur um das Bankgeheimnis, sondern darum, was die Schweiz in Europa eigentlich wolle. Will sie eine Insel bleiben und Geheimnisse hüten, oder will sie sich öffnen und so werden wie alle anderen in der EU? Meist ist diese Debatte vermieden worden wie ein Tabu, aber jetzt, in der Bankenkrise und nach der Steueraffäre im benachbarten Liechtenstein, beginnt das Land zu grübeln über sein Selbstverständnis. Hummler sagt: "Die Schweiz steht jetzt an einer Weggabelung." Er weiß nicht, welchen Weg sie wählen wird.

Gian Trepp würde den linken nehmen. Der Autor und Ökonom lebt, als hätte er in Bezug auf Geld ein Keuschheitsgelübde abgelegt. Sein Arbeitsplatz in Zürichs Zwinglistraße ist ein Tisch im Schaufenster, er blickt auf einen Afro-Laden und ein Bordell mit Balkongittern, von denen der Rost tropft. Ab und zu wird jemand auf der Straße umgebracht, die Anwohner haben neulich dagegen demonstriert.

Trepp sieht sich als "befreiter Marxist-Leninist", er hat Banken und Staat immer misstraut. In seinem Buch "Swiss Connection" schrieb er über schwarzes Geld und dubiose Kunden, woraufhin ihn einige Reiche verklagt haben, allerdings ohne Erfolg. Trepp hat nie viel verdient, er lebt von der Genugtuung, sich dem Establishment nie gebeugt zu haben. In diesen Tagen fühlt er sich bestätigt, da die Großbanken UBS und Crédit Suisse wieder mal neue Milliardenverluste beichten müssen. In singendem Tonfall erklärt der leicht überdrehte Marxist, dass der Staat die Banken viel stärker kontrollieren müsse, sonst werde der Größenwahn der Manager nochmal richtig teuer für das Land.

Darin ist er sich mit der Schweizer Linken einig, die immer gewarnt hat vor dem, was jetzt passiert. Bei einer Grundsatzdebatte im Berner Nationalrat vor wenigen Wochen erklärte der Sozialdemokrat Roger Nordmann, es hänge ja alles miteinander zusammen: die Gier der Bankiers, die fehlende Kontrolle und ein Bankgeheimnis, das von Steuerhinterziehern missbraucht werde. "Die Gehörnten dieser Hinterziehung sind in der Schweiz wie im Ausland letztlich die Angestellten, Rentner und die kleinen Selbständigen - nur weil sich die Elite über den Gesetzen fühlt. Das muss ein Ende haben." So forderten auch die Grünen, die Schweiz müsse ihre "verkrampften Versuche" aufgeben, den Nachbarn jede Hilfe beim Kampf gegen Steuerhinterziehung zu verweigern. Allerdings haben Rote und Grüne gerade ein Drittel der Sitze im Parlament, weswegen sie auf ausländischen Druck hoffen, damit sich etwas ändert.

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