Die großen Erbfälle: Geld - Macht - Hass:Mit Dynamit zu höchsten Ehren

Am Anfang wollte keiner den Nobelpreis. Heute gilt er als Spitzenauszeichnung der Wissenschaft - ein weiter Weg für das Vermächtnis des Alfred Nobel.

G. Herrmann

Als Ragnar Sohlmann im Dezember 1896 vom Tod Alfred Nobels erfährt, weiß er noch nicht, wie sehr das Ereignis sein Leben verändern wird. Der 26-jährige Schwede steht gerade am Anfang seiner Karriere, seit einigen Jahren hat er einen guten Job in Nobels Konzern. Zum Chef pflegt er ein gutes Verhältnis. Der hat ihn schließlich persönlich eingestellt und stets gefördert.

KIM DAE JUNG

Eine begehrte Medaille: Alfred Nobels Porträt.

(Foto: AP)

Dass er ihn außerdem in seinem Testament als Vollstrecker einsetze, das hat der alte Industriemagnat seinem jungen Mitarbeiter jedoch nie erzählt. Erst bei der Testamentseröffnung erfährt Sohlmann, welche Aufgabe ihm zugedacht ist: Er soll das riesige Vermögen des Verstorbenen in einer Stiftung sammeln und dafür sorgen, dass künftig in Nobels Namen Preise für Chemie, Physik, Medizin, Literatur und Verdienste um den Weltfrieden vergeben werden.

Keine leichte Aufgabe, denn Nobel verabscheute zeit seines Lebens Anwälte. Sein Testament ist nur eine Seite lang und hat schwere juristische Mängel. Für Menschen hatte der Millionär jedoch offensichtlich ein besseres Gespür als für Paragraphen. Sein Vertrauter Sohlmann jedenfalls erweist sich trotz seines Alters als überaus gewiefter Vollstrecker.

In den kommenden Jahren gelingt es ihm, den etwas ausgefallenen letzten Willen seines Chefs gegen Widerstände zu verwirklichen. Selbst König Oscar II. hält die Sache mit den Nobelpreisen zunächst für eine Schnapsidee und meint, dem alten Nobel habe wohl "ein Frauenzimmer Grillen in den Kopf gesetzt".

Heute ist die Nobelpreisverleihung ein Höhepunkt im Terminkalender der Königsfamilie. Und Sohlmann hat im holzgetäfelten Sitzungssaal der Stiftung einen Ehrenplatz. Streng blickt er dort aus einem Ölgemälde auf den schweren Besprechungstisch, an dem inzwischen sein Enkel Michael Sohlmann Platz genommen hat. Der ist seit 1992 Geschäftsführer der Stiftung und damit Herr über das Erbe, das sein Großvater einst gesichert hat.

Michael Sohlmann hat eine Karriere als Politiker, Beamter und Diplomat hinter sich. Und er legt Wert auf die Feststellung, dass er die Stelle an der Spitze der Stiftung deshalb bekommen hat - und nicht wegen seiner Familiengeschichte.

Verwandte zweifeln am Testament

Michael Sohlmann hat natürlich schon als Kind viel über seinen Vorfahren und den berühmten Preis gehört. Man spürt deutlich, dass er sich dem Stifter, den er beim Vornamen nennt, persönlich verbunden fühlt. "Großvater und Alfred haben sich ergänzt", sagt er. "Nobel hatte keine Kinder, mein Opa keine Eltern." Vielleicht war der junge Chemiker für den alten Millionär so etwas wie der Sohn, den er nie hatte. Trotzdem war es kein leichtes Vermächtnis, das seinem Großvater da aufgebürdet wurde.

Nobels schwedische Verwandte bezweifeln 1896 zuerst die Rechtmäßigkeit des Testaments. Sie hätten gerne mehr von dem Erbe bekommen, als ihnen zugedacht ist. Erschwert wird Sohlmanns Aufgabe außerdem dadurch, dass der Besitz Nobels, den er vor allem mit der Erfindung des Dynamits erworben hat, über viele Länder verteilt ist. Die meisten Wertpapiere befinden sich in Frankreich.

Sohlmann fürchtet, dass die französische Regierung den Erbstreit ausnutzt und das Vermögen einfach beschlagnahmt. Also reist er nach Paris, holt die Papiere aus den Bankschließfächern und schafft sie nach Schweden. Man erzählt sich, dass Sohlmann Aktien und Obligationsscheine in Koffer packte und sie in einer Kutsche zum Bahnhof fuhr. Er soll sich für die Fahrt eine Pistole zugelegt haben, aus Angst vor Räubern.

Zuerst will keiner den Nobelpreis vergeben

Zurück in Stockholm erwartet ihn Widerstand - nicht nur in Nobels Verwandtschaft, auch in höchsten Gesellschaftskreisen. Die rechten Parteien und König Oscar II. halten das Testament für unpatriotisch, weil Nobel verfügt hat, die aus seinem Vermögen finanzierten Preise sollen "ohne Rücksicht auf die Nationalität der Kandidaten" vergeben werden. Auch finden sie es suspekt, dass über den Friedensnobelpreis in Norwegen entschieden werden soll, das von Stockholm aus regiert wird und dessen Unabhängigkeitsbestrebungen man mit Sorge verfolgt.

Auch die linken Parteien Schwedens sind gegen Nobels Testament. Der Sozialdemokrat Hjalmar Branting sieht darin nur den Versuch eines kapitalistischen Ausbeuters, sein schlechtes Gewissen zu beruhigen. Das wird ihn übrigens nicht daran hindern, 1921 selbst den Friedensnobelpreis anzunehmen. Tja, 1921 ist schon jedem klar, wie positiv die Preise für den Ruf Schwedens in der Welt sind.

Anfang 1897 denken daran nur wenige. Wegen des öffentlichen Widerstands zögern auch die Schwedische Akademie, die Akademie der Wissenschaften und das Karolinska Institut. Die Institutionen sollen dem Testament zufolge die Preise für Literatur, Chemie, Physik und Medizin vergeben - fürchten aber, diese Aufgabe könne ihnen schaden.

Als Erste begreifen die Norweger, welche Möglichkeiten ihnen Nobel eröffnet hat. Das Parlament in Oslo beschließt 1897, die Vergabe des Friedenspreises zu übernehmen. Damit bricht langsam das Eis. Ragnar Sohlmann findet überdies einen Verbündeten in Emanuel Nobel, der den russischen Zweig der Familie vertritt. Er kann den Streit mit der schwedischen Verwandtschaft schlichten. Im Juni 1900 bestätigt der König die Gründung der Nobelstiftung, im Jahr darauf werden erstmals die Preise vergeben.

Das Preisgeld: zehn Millionen Kronen

Über 31 Millionen Kronen verfügte die Stiftung am Anfang. Sie wurden gemäß dem Willen des Stifters in sicheren Papieren angelegt. Heute, einige Kriege und Währungskrisen später, hat sich die Anlagestrategie verändert, etwa 50 Prozent sind in Aktien investiert. Das Stiftungsvermögen beläuft sich derzeit auf über drei Milliarden Kronen.

Trotz einiger Rückschläge durch die jüngste Finanzkrise konnte man das Preisgeld auf dem Niveau von zehn Millionen Kronen pro Preis halten. Neben den Preisgeldern ist ein großer Posten im Haushalt für "Recherche" reserviert: 5,9 Millionen Kronen - etwa eine halbe Million Euro.

"Die Arbeit der Juroren ist das Wichtigste", sagt Sohlmann. Der Anspruch, die gesamte Forschung im Blick zu behalten und die besten Denker zu finden, sei einzigartig. Erst das mache den Nobelpreis zu einer "Olympiade der Gehirne", einem Wettstreit für die ganze Welt.

Dieser internationale Ansatz unterstreicht die Philosophie Alfred Nobels. Der Industrielle interessierte sich vor allem gegen Ende seines Lebens sehr für Friedensbewegung und Völkerverständigung, sein Denken war stark von der Rationalität der Aufklärung geprägt. Nobels Vermächtnis, meint Sohlmann, bestehe eben nicht nur aus Geld, sondern vor allem aus einer Idee.

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