Süddeutsche Zeitung

Die großen Erbfälle - Geld, Macht, Hass:Ein Geniestreich politischer Mythenbildung

Napoleons Testament mutet auf den ersten Blick lächerlich an. In Wahrheit ist es ein politisches Manifest, das die bonapartistische Legende stiftete.

Johannes Willms, Paris

Auch ein gestürzter, auf eine ferne Insel im Südatlantik verbannter und seiner gesamten Macht beraubter Kaiser wird nicht einfach zu einem Privatmann, zu einem Rentner ohne alle Ambitionen. Solche Resignation lag zumal Napoleon in den mehr als fünf Jahren, die er bis zu seinem Tod am 5. Mai 1821 auf Sankt Helena zubringen musste, sehr fern.

Nachdem sich seine anfangs gehegten Hoffnungen, dieses Schicksal zu wenden, endgültig zerschlagen hatten, konzentrierte er seine ganze Energie darauf, der Mit- und Nachwelt ein verklärtes, gegen Einwände resistentes Bild seiner Herrschaft und seiner weiteren Ziele zu vermitteln.

Dem verdankt sich das "Evangelium von Sankt Helena", wie die Erinnerungen genannt werden, die seine Begleiter nach seinem Tod veröffentlichten und die über weite Strecken Protokolle von Napoleons Äußerungen sind, mit denen er sein Tun und Lassen rechtfertigte, mit dem er zeitweilig Kontinentaleuropa seinem Willen unterwarf.

Geniestreich politischer Mythenbildung

Dieses Vermächtnis stiftete die bonapartistische Legende, ein Geniestreich politischer Mythenbildung, auf den gestützt rund dreißig Jahre nach Napoleons Tod dessen Neffe Charles Louis Napoleon von einer überwältigenden Mehrheit der Franzosen zum Kaiser Napoleon III. proklamiert wurde.

Damit erfüllte sich die Absicht, auf deren Vorbereitung Napoleon zeit seiner Verbannung all seine Energie konzentriert hatte. Diesem Kalkül genügt auch das umfangreiche Testament, das der vom Tod gezeichnete Ex-Kaiser zwischen dem 13. und dem 24. April 1821 aufsetzte und an das deshalb nicht die Maßstäbe gelegt werden können, die für die letztwilligen Verfügungen eines Privatmanns gelten, der verbindliche Anordnungen über die Verteilung seines Erbes trifft.

Tatsächlich war Napoleon auch gar nicht in der Lage, ein solches Testament zu verfassen. Zum einen hatte er auf Sankt Helena keinen genauen Überblick über die Vermögenswerte, die er, von der wenigen Habe abgesehen, über die er in seinem Exil verfügte, als Privatmann besaß und die er vererben konnte.

Ansonsten nur rührend und lächerlich

Zum anderen beschlichen ihn, wie die Instruktionen an die Testamentsvollstrecker zeigen, leise Zweifel, ob das kumulierte Vermögen der "domaine privé", also die Erträge aus der Zivilliste, die ihm sowohl als Kaiser von Frankreich wie als König von Italien zuflossen, auch nach seinem Sturz widerspruchslos als sein Privateigentum anerkannt werden würden.

Ungeachtet dieser Unklarheiten verfasste Napoleon ein detailliertes Testament, das deshalb auch und gerade in seinen vermögensrechtlichen Aspekten als ein politisches Manifest verstanden werden muss. Allein in dieser Perspektive erweist sich das Dokument als eine in sich sinnvolle letztwillige Verfügung, die ansonsten nur rührend oder lächerlich anmutet.

Eben das wird auch dadurch zweifelsfrei erhellt, wie das Erbe verteilt werden soll. Die Familie, die schon während seiner Herrschaft üppig ausgestattet wurde, wird im Testament von Napoleon nur mit einigen wenigen persönlichen Erinnerungsstücken bedacht.

Der Löwenanteil an Reliquien und Memorabilien, an Dokumenten und Bildern, die vom Ruhm und der einstigen Macht des Kaisers Zeugnis geben und die in umfangreichen Listen einzeln aufgeführt und beschrieben sind, wird dem Sohn vererbt. Alle diese Gegenstände sollen, wie es in den Anweisungen für die Testamentsvollstrecker verschiedentlich ausgeführt wird, dazu dienen, den Sohn vor der Indoktrination mit falschen Urteilen über die Lebensleistung des Vaters zu bewahren.

Das ihm zugedachte Erbe erschöpft sich also konkret darin, der Repräsentant des Bildes zu sein, das der Erblasser von sich entwarf und mit dem ihn die Nachwelt identifizieren soll.

Ebendieser Absicht entspricht auch die Verteilung des Kapitalvermögens, das Napoleon ausweislich der im Testament wie in den insgesamt acht Kodizillen aufgeführten Legaten auf über 210 Millionen Franc beziffert! Das Vermögen der "domaine privé", das Napoleon allein auf 200 Millionen Franc veranschlagt, soll zur einen Hälfte den Veteranen ausbezahlt werden, die zwischen 1792 und 1815 für den "Ruhm und die Unabhängigkeit der Nation" gefochten haben.

Die andere Hälfte dieser Summe wird als Entschädigung den Städten, Dörfern und Landstrichen in Frankreich zugesprochen, die unter den Folgen der alliierten Invasionen von 1814 und 1815 zu leiden hatten.

Das verbleibende Geldvermögen, das in Bankguthaben, Schuldforderungen, Wechselbriefen oder auch fünf Krondiamanten besteht, die Napoleon als Privatbesitz betrachtet, soll hingegen in teilweise üppig dotierten Legaten im Wesentlichen zwei Personengruppen zugutekommen: der kleinen Gruppe von Getreuen einschließlich der Dienerschaft, die Napoleon in die Verbannung folgten, und einer großen Anzahl von Waffenkameraden oder ihren Nachkommen, deren Verdienste um seinen Feldherrnruhm er so besonders zu würdigen suchte.

Vermächtnisse zu großzügig

Auch wenn das der von Napoleon stets geübten Praxis entsprach, militärische Erfolge mit geldschweren Dotationen zu belohnen, so erinnern vor allem die Legate für Witwen und Waisen gefallener Kriegshelden von ungefähr an Johann Peter Hebels zu Herzen gehende Kalendergeschichte "Kaiser Napoleon und die Obstfrau in Brienne" aus dem "Schatzkästlein des Rheinischen Hausfreunds" von 1811.

Die wahre Absicht, die mit diesen letztwilligen Zuwendungen verbunden war, verrät aber, dass mit je 100.000 Franc auch drei Autoren mit der Maßgabe bedacht wurden, dass sie ihre seiner Herrschaft gewidmeten historischen Werke vollendeten.

Wie nicht anders zu erwarten, stellte sich nach dem Erbfall rasch heraus, dass das Vermögen Napoleons bei weitem nicht ausreichte, die zahlreichen und großzügig dotierten Vermächtnisse auszuzahlen, die deshalb, wenn überhaupt, erheblich gekürzt und lediglich anteilig erfüllt wurden. Diese Nachlassabwicklung zog sich über Jahrzehnte hin und konnte erst 1859 abgeschlossen werden, nachdem sich Napoleon III. auch in dieser Hinsicht des Vermächtnisses seines Onkels angenommen hatte.

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SZ vom 21.08.2010/pak
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