Die Griechen plündern ihre Konten:Das große Abräumen

Panik in Europa: Wenn die Griechen weiter massenhaft Geld von ihren Banken abziehen, könnte das Finanzsystem des ganzen Landes kollabieren.

Alexander Hagelüken

Wer in einem Land der Dritten Welt lebt, ist so etwas gewöhnt. Durch Währungschaos oder einen Putsch kann Geld auf Bankkonten plötzlich unerreichbar werden. Deshalb empfiehlt es sich, Ersparnisse bei Anzeichen von Gefahr schnell abzuräumen.

Neu ist, dass solche Panikreaktionen mitten im hochindustrialisierten Europa vorkommen: Seit Anfang des Jahres haben die Griechen zehn Milliarden Euro von ihren Konten abgezogen, was etwa fünf Prozent aller Guthaben entspricht.

Gerüchteweise überwiesen sie es nach Zypern oder Luxemburg, wo es vor einem Kollaps heimischer Banken sicher wäre. Die erst jetzt bekannt werdende Abhebewelle zeigt: Die Griechen erwarten Schlimmes in ihrem Land, das weit höhere Schulden aufgehäuft hat als es im Jahr erwirtschaftet- und jetzt nur noch schwer Geld auftreiben kann.

Zitterprämie größer als bei Island

Die Ängste sind verständlich in einer Nation, die fast täglich schlechte Nachrichten produziert. Diese Woche stieg die Zitterprämie für griechische Staatspapiere erstmals über den Wert Islands. Jenes kleinen Landes, das seine Bankgeschäfte riesig aufblähte und deshalb im schlimmsten Moment der Finanzkrise 2008 fast pleitegegangen wäre.

Überall stehen Menetekel an der Wand. Die Panikabhebungen erinnern an die Weltwirtschaftskrise vor der Machtergreifung Hitlers. Und sie bringen die griechischen Banken in Bedrängnis, die rasch Kredite brauchen und von ausländischen Finanzhäusern womöglich keine mehr bekommen - eine solche Klemme ließ im September 2008 die US-Bank Lehman zusammenkrachen und die Finanzkrise richtig eskalieren, so dass sie bis heute Millionen Arbeitsplätze vernichtete.

Die Zinsen, die Griechenland auf neue Staatsschulden zahlen muss, stiegen diese Woche jeden Tag auf ein Rekordhoch. So teuer war es für die Regierung in Athen noch nie, seitdem sie ihre kränkliche Drachme gegen den harten Euro austauschen durfte.

"Ausfall kein Thema"

Viele Beobachter erstaunt, dass sich die Krise jetzt so verschärft. Denn Ende März hatten die EU-Regierungen nach wochenlangen Verhandlungen erklärt, Griechenland im Notfall Geld zuzuschießen. Damit müßte ein Bankrott des östlichsten Euro-Staats ausgeschlossen sein.

"Ein Ausfall griechischer Staatskredite ist kein Thema", versuchte Jean-Claude Trichet, Präsident der Europäischen Zentralbank, die Anleger am Donnerstag zu beschwören. Doch die Investoren stoßen weiter griechische Papiere ab.

An den Finanzmärkten ist die Nervosität so groß, dass Gerüchte selbst dann die Kurse drücken, wenn sie sich als falsch erweisen. Warum ist die Ankündigung der EU-Hilfe so schnell verpufft?

Schäden kaum absehbar

Anleger fürchten, dass sich eine Finanzspritze im Kompetenzgerangel zwischen Europas Institutionen und dem Weltwährungsfonds hinauszögern könnte. Sie sehen noch keine echten Sparerfolge in einem Land, dessen Bürger sich gegen die Reformen wehren.

Ein Konflikt, der sich zuspitzen wird, falls die Wirtschaft dieses Jahr tatsächlich um vier Prozent schrumpft und viele Jobs wegfallen. Schon in den Tagen vor Ostern waren kaum ausländische Investoren bereit, neue griechische Staatspapiere zu kaufen.

Für die Regierung wird die Lage prekär. Sie muss dieses Jahr mehr als 30 Milliarden Euro an neuen Krediten aufnehmen. Wenn sie dafür Zinsen von rund sieben Prozent bezahlen muss wie derzeit, kann sie sich das auf Dauer kaum leisten - Schwellenländer wie Mexiko finanzieren sich zur Zeit weit billiger als das Euro-Mitglied Griechenland.

Zwei Szenarien

Die Verschärfung der Krise bedeutet, dass die EU-Regierungen wohl schneller einspringen müssen, als sie dachten. Wenn der Notfall kommt, wird sich zeigen, was ihre Hilfe wert ist.

Es gibt zwei Szenarien, was passieren könnte. Wenn die Bürger weiter massenhaft Geld von den Banken abziehen, droht das Finanzsystem des Inselstaats zu kollabieren - mit Schäden, die bisher kaum absehbar sind. Die EU-Regierungen werden alles tun, um eine solche Panik zu verhindern.

Die zweite Gefahr ist, dass die Regierung in Athen nicht mehr genug Kredite bekommt und die EU-Hilfe benötigt. Dann tragen Europas Steuerzahler die Kosten jahrelanger griechischer Misswirtschaft. Wie hoch diese Kosten sind, hängt davon ab, wie schnell Anleger einem Griechenland unter Europas Rettungsschirm wieder vertrauen.

Bei aller Besorgnis gilt weiter, dass Griechenland eine relativ kleine Volkswirtschaft ist, große Nationen wie Deutschland und Frankreich eine Hilfe also relativ leicht stemmen könnten.

Die wirkliche Gefahr, die von der Verschärfung der Griechenland-Krise ausgeht, ist eine andere. Falls sich internationale Anleger von anderen angeschlagenen Euro-Staaten wie Portugal oder Italien abwenden, dann wankt die Währungsunion. Noch gibt es dafür aber kaum Anzeichen.

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