Deutschlands bekanntester Börsenhändler:Müller erklärt die Welt

Börsenmakler ist Dirk Müller längst nicht mehr - Geld macht er mit dem, was er sagt und schreibt. Dabei findet der Kritiker des Finanzsystems stets scharfe Worte, die in den Medien für seine Omnipräsenz sorgen. Manche, hört man, neiden ihm den Erfolg.

Markus Zydra

Dirk Müller ist so bekannt, dass er auch von unbekannten Menschen angesprochen wird. Neulich kam einer auf ihn zu und raunte: "Stellen Sie mein Erspartes sicher, Ihnen vertraue ich." Müller, 43, hat sich freundlich bedankt und geantwortet: "Nee, lassen Sie mal, so geht das nicht."

Dirk Müller

Dirk Müller: Sein Talent, die komplexe Finanzlinguistik in einfaches Deutsch zu übersetzen, schlägt manchmal ins Komödiantische um.

(Foto: dpa)

Die Deutschen fürchten um ihr Geld, wegen der Euro-Krise, wegen der hohen Staatsschulden, wegen der Börsenpanik. Ihrer Bank trauen sie nicht über den Weg, Müller hingegen schon. Vielleicht ist dem kräftigen Mann mit dem dünn rasierten grauen Bärtchen diese gewinnende Art in die Wiege gelegt worden, aber seine Ausbildung bei der Deutschen Bank und die langjährige Arbeit als Börsenhändler hätten ihn in der Öffentlichkeit auch zu einem der vielen Geld-Buhmänner qualifizieren können.

Beneidenswert cool

Das Gegenteil ist passiert, in der Öffentlichkeit hat sich der schlaglocherprobte Mann - im Sommer fuhr er mit Frau und Kind im Geländewagen durch die Ukraine - als scharfer Kritiker des Finanzsystems profiliert; und zwar, das ist das Bemerkenswerteste, als glaubwürdiger Kritiker. "Ich lebe davon, dass ich meine Meinung sage", räumt Müller ein, was beneidenswert cool klingt.

Und wie nennt man diesen formidablen Beruf? "Dolmetscher", antwortet er. Müller übersetzt die komplexe Finanzlinguistik in einfaches Deutsch.

Mit diesem Talent, das manchmal auch ins Komödiantische umschlägt, ist Müller in den Medien omnipräsent. Drei bis fünf Interviews gibt er am Tag. Dazu kommen Podiumsdiskussionen und Hintergrundgespräche mit Politikern. Sein aktuelles Sachbuch "Cashkurs" steht auf Platz eins der Bestsellerliste, schon das Vorgängerwerk "Crashkurs" war ein Renner.

Handel nur noch auf eigene Rechnung

Müller scheint alles richtig zu machen. Selbst seine zwei Börsenbriefe - ein in vielen Fällen umstrittener und zum Teil krimineller Abo-Markt mit Investmenttipps - haben ihm nicht geschadet. Warum? "Wir machen es korrekt, fundiert und ethisch sauber. Wir verzichten etwa auf Lebensmittelspekulationen." Doch Menschen mit einem solch glücklichen Händchen bleiben niemals stehen. Was geht Müller wohl als Nächstes an, wenn es nicht das Finanzministerium ist?

Er grinst statt zu antworten und marschiert voran in sein Büro, am Rande des Frankfurter Börsenparketts. Es ist ein kleines Kabuff mit einem Computerbildschirm, daneben - und das dokumentiert seine besondere Rolle hier - ein Empfangsraum für seine Gäste. Den Börsenmakler Müller gibt es schon anderthalb Jahre nicht mehr, er handelt Aktien nur noch auf eigene Rechnung. Als vereidigter Makler mit amtlicher Zulassung besitzt der Mann aus Relingen jedoch ein lebenslanges Zugangsrecht zur Börse. Er braucht den Stallgeruch, auch für seine neue Tätigkeit. Müller klatscht einige Ex-Kollegen ab, anderen winkt er zu. Man weiß nicht, ob Müller wirklich alle kennt, aber alle kennen Müller. Manche neiden ihm den Erfolg, hört man. Spricht man ihn darauf an, winkt er ab.

"Die Bürger zahlen die Zeche"

Seine Karriere als Finanz-Volkstribun begann 2008, zu Beginn der Finanzkrise. Müllers Gesicht wurde bekannt, weil sein Arbeitsplatz direkt unter der Dax-Tafel lag. So kam er mit Bild in die Zeitung. Dann wurde er interviewt und redete Klartext: gegen die Bankenmacht, gegen die Zocker. Und so gelangte er ins Fernsehen. Der Fachmann vom Börsenparkett wurde zum Kronzeugen dafür, dass etwas schief lief in der Finanzwirtschaft.

Dabei blieb er sachlich: "Ich hau ja nicht polemisch auf den Eimer, es gibt wichtige Teile der Finanzindustrie, die müssen gestärkt werden." Und der Kern seiner Glaubwürdigkeit? "Ich habe nie für den Teil der Finanzindustrie gearbeitet, den ich kritisiere." Seine Gegner in den Banktürmen? "Ich will die Banken ja nicht abfackeln, ich will keine Revolte, ich bin nicht destruktiv, ich freue mich, wenn das Problem gelöst ist."

Immer wieder und immer gerne spricht Müller von der alten Börsenwelt, die noch gar nicht lange zurückliegt. Die 1990er Jahre, damals, als er anfing. "Verkaufsoptionen waren früher ausschließlich Absicherungsinstrumente und nichts für Zocker. Heute treiben diese Derivate die Kurse in einem kranken Tempo." Ein typischer Müller-Satz, genau wie dieser: "Früher konnte der Preis für eine Daimler-Aktie eine Stunde konstant bleiben, es gab eine Kurskontinuität bis ein großer Auftrag reinkam oder eine relevante Unternehmensmeldung. Heute hat Daimler in jeder Sekunde einen neuen Aktienkurs, das hat doch mit dem Unternehmen nichts mehr zu tun, das ist Spekulation."

Oder dieser Satz: "Eigentlich soll die Börse Kapital für Unternehmen besorgen, jährlich gibt es in Frankfurt aber nur noch zehn Börsengänge. Dafür kommen täglich Tausende Derivate auf den Markt. Das bringt den Unternehmen nichts, aber den Börsen bringt es Umsatz."

Eine simple Lösung

Die Menschen mögen die Finanzkrise nicht vollständig begreifen, aber diese plakativen Aussagen - die können sie verstehen. Und als ob Müller das komplizierte Rettungsgerede der Politiker von Hebeln, Anleihekäufen und Brandmauer endgültig ad absurdum führen will, präsentiert er auch eine simple Lösung des Problems: "Wir machen einen Schuldenschnitt, und zwar in allen westlichen Industriestaaten, oder wir erzeugen Inflation. In beiden Fällen bezahlen die Bürger die Zeche. Das ist schlimm, aber danach geht es aufwärts."

Und wie geht es mit dem Dolmetscher weiter? Eigentlich steht bald die nächste Weihe an: Dirk Müller, der Vermögensverwalter und Fondsmanager. Das bedeutet: Verantwortung übernehmen für das Ersparte vieler Bürger, die ihm vertrauen. Da lächelt Müller. Ja, er scheint diese Idee zu mögen.

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