Deutschland und USA in der Eurokrise:Verpackte Wahrheiten

Einig im Ziel, aber nicht im Weg: Bis zuletzt bleibt US-Finanzminister Timothy Geithner höflich. Nur versteckt erinnert er Deutschland an die Notwendigkeit, auch den Konsum und die Binnennachfrage zu stärken.

Claus Hulverscheidt, Berlin

China. Ausgerechnet China! Es ist die letzte Frage, die Timothy Geithner an diesem Donnerstagmittag in Berlin beantwortet, der Flieger des US-Finanzministers wartet längst startklar auf dem Flughafen Tegel.

Schäuble trifft Geithner

Viel Platz zwischen US-Finanzminister Timothy Geithner und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble: Bei manchen Fragen zur Bekämpfung der Eurokrise liegen die USA und Deutschland noch weit auseinander. 

(Foto: dpa)

Ob er der Meinung sei, will ein Journalist wissen, dass die Bundesregierung genug zur Stärkung des globalen Wirtschaftswachstums tue oder ob sie sich zu sehr auf den Abbau des Haushaltsdefizits kapriziere. Geithner holt zunächst aus, spricht darüber, dass alle großen Industrie- und Schwellenländer einen angemessenen Beitrag zu einer stabilen, nachhaltigen Entwicklung der Weltkonjunktur leisten müssten. Das bedeute beispielsweise, dass ein Land nicht auf Dauer in ganz großem Stil Waren exportieren könne, wenn die Bürger und Unternehmen dieses Landes nicht zugleich in ähnlicher Größenordnung im Ausland einkauften.

China, sagt Geithner und kommt damit zum Punkt, habe das begriffen und Schritte zur Stärkung der Binnennachfrage unternommen. Nur die Höflichkeit hält ihn davon ab, seinen Satz andersherum zu formulieren: Deutschland hat es nicht begriffen.

Höflich verschwiemelte Aussagen

Geithner und sein Berliner Amtskollege Wolfgang Schäuble sind lange genug im Geschäft, um zu wissen, dass man sich auf internationalem Parkett tatsächliche oder auch nur vermeintliche Wahrheiten nicht einfach um die Ohren haut. Und so verpacken die beiden diese Wahrheiten bei ihrem gemeinsamen Auftritt im Bundesfinanzministerium in höflich verschwiemelte Aussagen, die dennoch keinen Zweifel daran lassen, dass sich hier zwei Regierungen zwar einig im Ziel sind- stabiles, kräftiges weltwirtschaftliches Wachstum bei möglichst niedrigen Haushaltsdefiziten -, nicht aber im Weg.

Es geht, vereinfacht gesagt, um die Frage, ob Wachstum die Voraussetzung für solide Staatsfinanzen ist, weil nur so die für die Etatkonsolidierung notwendigen Steuereinnahmen hereinkommen, oder ob umgekehrt gesunde Staatsfinanzen die Prämisse für wirtschaftliches Wohlergehen sind, da Bürger und Unternehmen nur so frei von Angst vor Zins- und Steuererhöhungen konsumieren und investieren können.

Die USA gehen ohne jedes Wenn und Aber den ersten Weg - und das, aus ihrem Blickwinkel betrachtet, mit gutem Grund. Denn anders als etwa in Deutschland ist nicht nur die Höhe des Etatdefizits direkt von der Wachstumsrate abhängig, sondern vor allem auch der Arbeitsmarkt.

USA auf hohes Wachstum angewiesen

Bricht die Konjunktur ein, schnellt die Zahl der Erwerbslosen sofort und ungebremst in die Höhe, weil es keine langen Kündigungsfristen, keine Tarifverträge, keine Kurzarbeiterregelung nach deutschem Muster gibt. Die US-Regierung ist also - auch politisch - auf hohes Wachstum angewiesen.

Sie kann sich andererseits aber auch ein höheres Defizit leisten, weil die Zahl der Menschen, die die Schulden einst werden begleichen müssen, anders als im Großteil Europas nicht beständig sinkt. In Deutschland wie in vielen anderen EU-Ländern hingegen ist der demographische Wandel bereits in vollem Gange.

Die Europäer haben zudem im Fall Griechenland gerade die Erfahrung gemacht, wie die Finanzmärkte mit Staaten umgehen, die sie für kaum noch kreditwürdig halten. Und so unternimmt Schäuble gleich zwei Anläufe, um - an die Journalisten gewandt, aber Geithner meinend - zu erklären, warum ein Land mit der Demographie der Bundesrepublik alles, aber auch alles Erdenkliche tun muss, um die Haushalte in Ordnung und möglichst viele Menschen in Arbeit zu bringen.

Bereits Ende nächster Woche, beim G-20-Finanzministertreffen in Südkorea, werden Schäuble und Geithner das Thema weiter diskutieren können. Dann wird auch China mit am Tisch sitzen.

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