Deutschland in der Krise:Das laute Ticken der Schulden-Uhr

Die Krise reißt tiefe Löcher in die Haushaltskassen: Steuern rauf oder Steuern runter? Jedes Land bekämpft die Krise auf seine Art.

A. Mühlauer

Mitten in Berlin gibt es eine Uhr, die geht so schnell, dass einem ganz schummrig vor Augen wird, wenn man die roten Digitalziffern so dahinrasen sieht. Man mag gar nicht genau hinsehen, zeigt die Uhr doch, wie schnell die Schulden der Republik steigen. 4439 Euro sind es pro Sekunde. Im vergangenen Jahr waren es gerade mal 474 Euro.

Schulden, dpa

Die Schulden-Uhr des Steuerzahlerbundes zeigt die Staatsverschuldung an.

(Foto: Foto: dpa)

Kein Zweifel, die Wirtschaftskrise reißt tiefe Löcher in die Haushaltskasse. Deutschland steht im Bann der schärfsten Rezession der Nachkriegszeit. Die Parteien scheint das aber nicht weiter zu interessieren, jedenfalls nicht im Wahlkampf. Sie vermeiden den Blick auf die Schuldenuhr, die an der Eingangstür des Bundes der Steuerzahler hängt. Allesamt versprechen sie Wahlgeschenke, so wie damals, als die Zeit besser und Finanzkrise noch ein Fremdwort war.

Union und FDP wollen die Steuern für Arbeitnehmer und Selbständige rasch senken. Das hält Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) zwar für "total durchgeknallt", stattdessen will seine Partei die Altersteilzeit verlängern, die Prävention im Gesundheitswesen ausbauen und Weiterbildung stärker bezuschussen. Auch bei den Wahlprogrammen von Grünen und Linkspartei beschleicht den Steuerzahler das Gefühl, dass besonders die sozialpolitischen Versprechen überhaupt nicht zur absehbaren Haushaltslage passen.

Arbeitslosigkeit wird weiter wachsen

Selbst wenn die Wirtschaft im Herbst wieder wachsen sollte, fehlt es an Geld, die Schulden langfristig zu tilgen. Nach Einschätzung des Internationalen Währungsfonds (IWF) wird die Arbeitslosigkeit in den Industrienationen sogar noch im Jahr 2011 zunehmen. Die Folge: Die Steuereinnahmen des Finanzministers werden genauso schrumpfen wie das Beitragsaufkommen für die Arbeitslosen-, Kranken- und Rentenversicherung. Spätestens beim Kassensturz der neuen Bundesregierung wird sich die Frage stellen: Wer soll das bitte bezahlen?

Michael Eilfort sitzt in seinem Büro mit Blick auf den Berliner Gendarmenmarkt: "Was wir brauchen, ist eine neue Agenda 2010", sagt er. Die jetzigen Leistungen des Sozialstaats seien auf Dauer nicht haltbar. Eilfort ist Vorstand der Stiftung Marktwirtschaft, er war Büroleiter von Friedrich Merz (CDU), mit ihm zusammen wollte er die Steuererklärung so vereinfachen, dass sie auf einen Bierdeckel passt. Eilfort ist davon überzeugt, dass spätestens im Winter die Geldnot so groß sein wird, dass der Regierung nichts anderes übrig bleiben wird, als Ausgaben zu streichen.

Das allein, meint Stefan Bach, Steuerexperte beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), werde aber nicht reichen. Bach sitzt in seinem Büro, blickt auf die Pflanze vor dem Fenster, und sagt: "Um eine Mehrwertsteuer-Erhöhung werden wir nicht herumkommen." Hebt man den Steuersatz um ein Prozent an, bringe das etwa 8,5 Milliarden Euro. Das Problem dabei: Untere Einkommensschichten träfe diese Erhöhung härter als die Wohlhabenden.

Verschiedene Rezepte gegen Schulden

Ein Weg, Reiche stärker zur Kasse zu bitten, wäre eine Anhebung des Spitzensteuersatzes, wie sie in den Vereinigten Staaten und in Großbritannien längst diskutiert wird. US-Präsident Barack Obama will bei Topverdienern stärker kassieren. Wer mehr als eine Million Dollar im Jahr verdient, soll künftig 45 Prozent bezahlen, bisher sind es weniger als 40. Bereits ab einem Einkommen von 35.0000 Dollar im Jahr sollen Bürger mehr zahlen. Nur so würden sich die Staatsschulden von 1600 Milliarden Dollar in diesem Jahr senken lassen, sagt Obama.

Auch die britische Regierung will Reiche künftig mit höheren Steuern belasten. Schatzkanzler Alistair Darling möchte den Steuersatz für Bürger, die mehr als 150 000 Pfund im Jahr verdienen, nächstes Jahr von 40 auf 50 Prozent anheben. Für die Labour-Partei wäre das ein Kurswechsel. In ihrer elfjährigen Regierungszeit hat sie es stets vermieden, Spitzeneinkommen stärker zu besteuern.

Doch wegen der milliardenschweren Bankenrettungen braucht der Staat Geld. Die britischen Staatsschulden werden sich bis 2013 fast verdoppeln. Sogar die konservativen Tories plädieren deshalb für einen Spitzensteuersatz von 45 Prozent. 1988 hatte die Regierung Thatcher diesen Wert auf 40 Prozent gesenkt. Keine Regierung wagte es seitdem, daran zu rütteln.

Mehrwertsteuer als Konjunkturmotor

Um die Konjunktur wieder anzukurbeln, haben die Briten die Mehrwertsteuer von 17,5 auf 15 Prozent gesenkt. Das kostet. Aber die Regierung will die konsummüden Briten dazu animieren, mehr Geld auszugeben. In Japan diskutiert man das Gegenteil: Auch dort sind die Staatsschulden so hoch, dass die künftige Regierung wohl nicht daran vorbeikommt, die Mehrwertsteuer zu erhöhen.

Sobald hierzulande eine neue Bundesregierung feststeht, werden genau diese Themen auf die Tagesordnung rücken. Es geht dabei nicht allein um die Staatsverschuldung. Es geht auch um die Frage der Gerechtigkeit im Land. Noch nie war die Kluft zwischen Arm und Reich in der Nachkriegszeit so groß wie heute. Da liege es nahe, so DIW-Forscher Bach, die Reichen stärker zur Kasse zu bitten. Aber: "Wer den Steuersatz erhöht, muss damit rechnen, dass Reiche der Steuer ausweichen, selbst wenn die Kapitalflucht erschwert wird", warnt er.

Allein auf Wachstum zu setzen, da sind sich die Experten einig, wird nicht genügen, um die massiven Staatsschulden abzubauen. "Die nächste Regierung muss in großem Stil Ausgaben kürzen. Und da das nicht reichen wird, die Steuern erhöhen", meint Ökonom Bach.

Das wissen auch die Experten im Finanz- und Wirtschaftsministerium. Nur sagen dürfen sie es nicht. Noch nicht.

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