Deutsche Innenstädte:Die Diktatur der Shoppingmalls

Immer gleich anmutende Einkaufszentren dominieren das Stadtbild und zerstören genau das, was doch erhalten werden soll: die lebendige Stadt.

Gert Kähler

In Braunschweig wird die Fassade des 1963 gesprengten, spätklassizistischen Schlosses rekonstruiert. Die Schlosshülle soll einem neuen, 30.000 Quadratmeter großen Einkaufszentrum dienen. Im nächsten Jahr wird es eröffnet. Passau wünscht sich für die "Neue Mitte" ein Center mit 20.000 Quadratmeter Verkaufsfläche. In Saarbrücken geht es um 8000 Quadratmeter für die "Saar-Galerie". Und in Ludwigshafen entstehen bis zum Jahr 2009 etwa 30.000 Quadratmeter als "Rhein-Galerie".

Im gleichen Jahr sollen in Leverkusen 23.000 Quadratmeter als "Rathaus-Galerie" eröffnet werden: Die Stadt kann sich in neue Räume einmieten, nachdem für den Neubau das Rathaus abgerissen wurde.

Die Einkaufszentren erobern Schlösser und Rathäuser

Architektur ist verräterisch: Bald wird in Leverkusen die "Bürgervertretung" durch eine "Konsummeile" ersetzt. In Oldenburg baut man gegen die Bedenken der Denkmalpflege ein Einkaufszentrum neben dem Schloss. In Hameln entsteht eine "Stadt Galerie", obwohl doch "Rattenfänger-Zentrum" viel zutreffender wäre: "Es gibt noch jede Menge Platz für neue Center", sagt Alexander Otto. Das klingt wie eine Drohung.

Bauherr und Betreiber der sich wie nie zuvor in den Innenstädten vermehrenden Einkaufsmeilen ist die ECE Projektmanagement GmbH & Co KG. ECE steht für "Einkaufs-Center-Entwicklungsgesellschaft". Sie ist die größte Firma dieser Art in Europa. Alexander Otto, Sproß der Otto-Versand-Familie, ist der vorsitzende Geschäftsführer der ECE. In den Innenstädten tobt eine Center-Bauwut, die vor allem von seinem Unternehmen bedient wird.

Die Argumente sind einfach - mehr Arbeitsplätze, mehr Umsatz

Die Argumentation zugunsten der ECE folgt dabei einem Muster. Gegen die Malls auf den grünen Wiesen - also gegen die "drohende Verödung der Innenstädte" - werden die ECE-Renditeversprechungen ins Spiel gebracht. Von den neuen ECEs verspricht man sich Umsatzsteigerungen in der Stadtmitte.

Der Niedergang der Innenstädte ist allerdings nur eine Behauptung. Das Gegenteil ist richtig: Die Innenstädte auch der Klein- und Mittelstädte werden längst wieder verstärkt besucht. Den Geschäften in den "1a-Lagen" geht es gut.

Nur die 1b-Lagen haben teilweise Probleme, für die man Konzepte entwickeln müsste. Aber das kostet Mühe, und die Hilfe der ECE in Form eines fertigen Stückes Innenstadt kostet den Stadtrat nicht einmal einen Anruf - sie kommt von allein.

Die Diktatur der Shoppingmalls

Eine typische Mittelstadt hat eine Einkaufsstraße mit Querstraßen links und rechts, dazu ein mittelgroßes Kaufhaus. Man bekommt alles, was man so braucht, und die Nahversorgung wird durch Discounter abgedeckt. Ein neues Einkaufszentrum vergrößert die Verkaufsflächen der Innenstadt oft um ein Drittel - Grundstücke finden sich meist am unmittelbaren Rand der Zentren.

Nun erhöht eine Zunahme der Verkaufsfläche noch nicht die Geldmenge, über die Kunden verfügen. Gehen sie jetzt in die leicht angegraute Innenstadt, wo man mit den Unbilden der Witterung und einem nicht immer angenehmen Publikum konfrontiert wird? Oder in dieses neue Gebäude, in dem es immer gut geheizt ist und Frauenparkplätze ein Gefühl der Sicherheit verbreiten?

Einkaufsmiles and more

Was aber geschieht dann mit dem alten Zentrum? Wenn die Kaufkraft zu dessen Lasten umverteilt wird, führt das viele Ladenbesitzer in den Ruin. Die Grundstückspreise verfallen dann genauso schnell wie die Innenstädte. Dennoch wächst die Lust der Bürger an neuen Einkaufszentren. Aber zugleich ist bei fast jedem neuen Vorhaben auch mit heftigem Bürgerprotest zu rechnen.

In Braunschweig finden viele Bürger ein Schloss als Einkaufszentrum absurd. Und in Saarbrücken will man die Bergwerksdirektion behalten. Heilbronn, Oldenburg, Hameln - unumstritten waren die Zentren nirgendwo, und in den Kommunalwahlen in Niedersachsen haben einige Stadtväter sogar ihre Quittung bekommen.

Einkaufen ist eine Form der Unterhaltung

Keine Frage: Das Einkaufen unterm Dach hat seine Vorteile. Die Wege sind kurz, man wird nicht gestört, leise rauscht die Musik - Einkaufszentren als Wohlfühl-Oasen. Alexander Otto: "Einkaufen ist eine Form der Unterhaltung. In der Nähe von Leipzig bauen wir gerade ein Center mit einem künstlichen See, auf dem die Besucher im Sommer mit Paddelbooten fahren können."

Dass man ständig beobachtet wird, von Videokameras und einem privaten Wachdienst, nimmt man gern in Kauf (sofern man es bemerkt), weil es doch der Sicherheit und Ordnung dient.

Teilzeitjobs und kaum Ausbildungsplätze

Weil die Bürger mit den Einkaufszentren zufrieden sind, sind es die Politiker auch. Sie müssten es allerdings besser wissen: Die versprochenen Arbeitsplätze, oft 400-Euro-Jobs, muss man gegen die in der alten Innenstadt verloren gehenden Arbeitsplätze aufrechnen. Neue Ausbildungsplätze gibt es kaum, denn die Geschäfte in den neuen Zentren bilden im Vergleich zum traditionellen Einzelhandel im Verhältnis eins zu acht aus.

Die Diplom-Ökonomin Monika Walther kommt nach der Untersuchung von 70 kreisfreien Städten zu diesem Ergebnis: Das "einzige Beispiel für eine eindeutig positive Umsatzentwicklung, die auf die Ansiedlung eines innerstädtischen Shopping-Centers zurückgeführt werden kann, ist die Stadt Wolfsburg." Dennoch handeln die Betreiber weiter munter mit Illusionen

Einkaufen in Bauten von Martin Gropius

Ein Beispiel: In Saarbrücken steht die "königlich-preußische Bergwerksdirektion", erbaut von Martin Gropius zwischen 1877 und 1880. Ein Wahrzeichen der Stadt. Im Jahr 2003 beschließt der Saarbrücker Stadtrat auf der Grundlage eines von der ECE bezahlten Gutachtens die Erweiterung der angrenzenden Saar-Galerie in diesem Gebäude - zunächst mit 3000 Quadratmeter. Das Gebäude gehört ihr nicht.

Die ECE verhandelt dennoch und bekommt von der städtischen Denkmalpflege zugesichert, die - ihr immer noch nicht gehörende - Bergwerksdirektion dürfe großzügig umgebaut werden. Das eigentlich zuständige Landesdenkmalamt wird nicht gefragt. 2005 gelingt es der ECE mit Hilfe der neuen Oberbürgermeisterin Charlotte Britz, das Gebäude zu erwerben. Dem Städtebaubeirat der Stadt wird erzählt, es ginge um höchstens 4000 Quadratmeter.

Die Diktatur der Shoppingmalls

Erst in diesem Jahr erfuhr die Öffentlichkeit vom Verkauf der Immobilie und den Umbauplänen. Die ECE erklärt, sie wolle 100 Millionen Euro investieren. Der Leiter des städtischen Denkmalamtes wird Leiter des Landesdenkmalamtes: Jetzt kann er sich selbst um Genehmigung bitten.

Denkmalpfleger, der Deutsche Werkbund, der Bund Deutscher Architekten, der Saarbrücker Städtebaubeirat und eine Bürgerinitiative - alle protestieren gegen den Umbau. Der Stadtrat meint, "zum Einkaufszentrum kein Mitspracherecht zu haben". Eine im Juni geplante öffentliche Diskussion scheitert an der Weigerung der ECE, die Pläne offenzulegen.

Sicherheit und Ordnung

Stattdessen führt Alexander Otto vor ein paar Wochen, nämlich am 30. Juni, ein Gespräch mit Ministerpräsident Peter Müller und dem für den Denkmalschutz verantwortlichen Minister Stephan Mörsdorf. Ergebnis: Wenn die Außenfassaden und das Haupttreppenhaus erhalten bleiben, kann der Rest, einschließlich der Geschossgliederung, beseitigt werden. Von einem "gelungenen Kompromiss mit der Denkmalpflege" spricht der Minister.

Was hier geschildert wird, ist der Normalfall: Eine Melange aus wirtschaftlicher Macht und politischer Ohnmacht. Es ist das, was sich an der Oberfläche zeigt: Was darunter geschieht, ist Spekulation.

Eine Stiftung als Feigenblatt

Keine Spekulation ist aber, dass ECE und Alexander Otto eine Stiftung mit dem Namen "Lebendige Stadt" ins Leben gerufen haben. Sie will "die Zukunft unserer Städte" mitgestalten: "Unsere Städte bieten Raum für Leben, Arbeit, Kultur, Handel und Wohnen. Diese Vielfalt gilt es zu erhalten." Recht hat der Mann. Aber trotzdem überzieht die ECE die Städte mit den innen stets gleich anmutenden Einkaufszentren und zerstört so genau das, was doch erhalten werden soll: die lebendige Stadt.

Die gemeinnützige Stiftung, dieses Feigenblatt für Einkaufszentren mit stadtzerstörerischer Wirkung, organisiert ein vielfältiges Netzwerk, in dem Politik, Stiftung und ECE verflochten sind. So ist der saarländische Minister für Wirtschaft, Hanspeter Georgi, Vorsitzender des Stiftungsrates der "Lebendigen Stadt". Zwei Geschäftsführer der ECE, Andreas Mattner und Robert Heinemann, sind Mitglieder der Hamburger Bürgerschaft und im Vorstand der Stiftung.

Minister, Architekten, Beamten - alle sind sie dabei

Wolfgang Tiefensee, Bundesbauminister, ist stellvertretender Vorsitzender im Kuratorium, sein Staatssekretär Engelbert Lütke-Dahldrup sitzt im Stiftungsrat. Aber auch Günther Beckstein, Matthias Platzeck, Krista Sager und der Hamburger Wirtschaftssenator Gunnar Uldall gehören ihm an.

Im Stiftungsrat sitzt auch der Geschäftsführer des Marktforschungsinstituts GfK Prisma, das einen großen Teil der "Verträglichkeitsgutachten" erstellt, die für die Genehmigungsfähigkeit von Einkaufszentren erforderlich sind.

Auch die Planerseite ist stark vertreten - von der Münchner Stadtbaurätin und Präsidentin der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung, Christiane Thalgott, über ihr Hamburger Äquivalent, Jörn Walter, bis zur renommierten Professorin Felizitas Romeiß-Stracke und Architekten wie Volkwin Marg oder Christoph Ingenhoven.

Der "Freiraum Stadt" wird zum Zweckraum

Die Stiftung betreibt hier also ein machtvolles Netzwerk, das von der ECE genutzt werden kann. Das nicht zu sehen, wäre naiv.

Nun kann den Kunden ja gleichgültig sein, ob alteingesessene Einzelhändler in die Knie gehen oder die Immobilienpreise der Innenstädte fallen: Er profitiert in beiden Fällen. Aber was hier geschieht, ist so etwas wie die schleichende Entmachtung der Bürger - mit deren Einverständnis, wohlgemerkt.

Der "Freiraum Stadt" wird zum Zweckraum degradiert. Öffentlicher Raum wird privatisiert und kontrolliert. Aufhalten darf man sich darin nur, solange man zahlungskräftig ist und Ruhe gibt. Früher machte Stadtluft frei. Diese Freiheit verspielen nun die Städte selbst.

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