Deutsche Bank: Anshu Jain:Das Monster der Geldflüsse

Das Gerangel an der Spitze der Deutschen Bank ist zu Ende: Gemeinsam mit Deutschland-Chef Jürgen Fitschen wird Anshu Jain Nachfolger von Josef Ackermann. Der Cricket-Fan Jain lebt asketisch, liebt dennoch das große Geld und besitzt einen gewissen George-Clooney-Charme. Ackermann selbst wird in den Aufsichtsrat gehen - weil sein Konkurrent ihm Platz macht.

Harald Freiberger, Martin Hesse, Hans-Jürgen Jakobs und Andreas Oldag

Der Mann, der künftig die deutsche Kathedrale des Geldes beherrschen wird, hat eine besondere Religion. Sie heißt so wie er selbst, wie der neue Chef der Deutschen Bank. Die indische Glaubensgemeinschaft der Jaina (Jainismus/Jinismus, Jina = "Sieger") fordert strikte Selbstdisziplin, höchstes Arbeitsethos und vegetarisches, die Planze nicht zerstörendes Essen. Alkohol ist tabu. Diese mehr als 2000 Jahre alte Religion besagt, dass jeder selbst seinen Platz finden muss. Einen Gott gibt es nicht. Und vom Geld darf man im Jainismus auch nicht viel Aufhebens machen.

Deutsche Bank - Anshu Jain

Anshu Jain, aufgenommen im Februar 2009 auf der Bilanz-Pressekonferenz der Deutschen Bank, spricht immer noch kein Deutsch - und trägt bei vielen öffentlichen Auftritten deshalb einen Knopf im Ohr.

(Foto: dpa)

Für Anshuman ("Anshu") Jain ist materielle Anerkennung nach eigenem Bekunden "keinesfalls das Wichtigste im Leben". Doch er redet von Berufs wegen ununterbrochen über Geld. Jetzt steht er hier in London im Juni 2011, der Beamtensohn aus dem indischen Jaipur, auf einer Konferenz seiner Deutschen Bank. Er schwärmt vom Investmentbanking, das er leitet, und sagt: "Wir sind die Gewinner." Es ist sein Lieblingssatz. "Was macht Sie so sicher, dass die Deutsche Bank ihre Gewinnziele in diesem Jahr erreicht?", will ein Jungspund der Barclays Bank wissen. Da setzt Jain einen geradezu väterlichen Blick auf, streicht sich kurz mit der Hand übers Haar und sagt nur: "Sehen Sie sich doch unsere Zahlen im ersten Quartal an!"

An diesem Dienstag feiert der 48-jährige Investmentbank-Chef den nächsten Karrieresprung, so hat es die Deutsche Bank schon am Montag verkündet: Der Aufsichtsrat erhebt ihn zum Mai 2012 vom Vorstand zum Vorstandsvorsitzenden, zum Herrn über 100.000 Mitarbeiter und 1,9 Billionen Euro Bilanzsumme, zum Allmächtigen des einzigen international bedeutenden deutschen Geldinstituts. Jain wird mit seinem älteren Vorstandskollegen Jürgen Fitschen, 62, eine Doppelspitze bilden. "Ich fühle mich zutiefst geehrt, diese großartige Institution zusammen mit Jürgen führen zu dürfen", erklärte Jain am Abend demütig.

Der Neue bringt ein starkes Argument ein: Geld. Allein im vorigen Jahr hat Anshus Armee sechs Milliarden Euro zum Vorsteuergewinn des Konzerns von insgesamt sieben Milliarden beigesteuert. Und der Bank-Chef in spe verdiente dabei mit zwölf Millionen Euro mehr als Ackermann (neun Millionen), der dem Geldinstitut seit neun Jahren vorsteht.

Der neue Jainismus der Bank drückt sich radikal in Euro und Cent aus. Er besagt: Zwar gibt es so Hässliches wie die Euro-Krise und Staatsschulden, doch die Deutsche Bank hat sich unabhängig gemacht von solchen Turbulenzen. Das Geldhaus schwebt wie ein großer Zeppelin über den dunklen Wolken der Weltwirtschaft. Und Jain, der neue Zeppelinführer, der sich persönlich in Askese übt, schwelgt im Rausch der Milliarden. Mitarbeiter berichten von knallhartem Führungsstil. Er werde nie laut, aber seine Worte kämen wie Pfeile. Sein Spruch "I disagree" ist gefürchtet. Wenn das Personal auf "Town Hall Meetings" den Chef ansprechen darf, müssen Fragen vorher abgestimmt werden. Noch schwieriger ist das Verhältnis zur Außenwelt: keine Homestorys, keine Interviews.

Der Guru des Geldes herrscht in einem Glaskasten neben dem großen Händlersaal im dritten Stock des Deutsche-Bank-Gebäudes in der Londoner City. Seine Leute bewegen mit einem Mausklick Millionen und das Minute für Minute. Es ist die vibrierende Welt der Wertpapierprofis, Devisenmarkthändler und Rohstoffexperten, eine riesige Handelsmaschine. "Jain hat es geschafft, für sich und seine Leute ein ausgeprägtes Elitenbewusstsein zu entwickeln", sagt ein Gefährte.

Selbst Ackermann sorgt sich um Jain

Aus Sicht der 16.000 Investmentbanking-Leute, 7000 in London, gilt die Frankfurter Zentrale der Deutschen Bank als solide, doch auch als deutsch und hausbacken. Im hessischen Hauptquartier wiederum überwiegt die Kritik an der Außenstelle, wo viele junge Aufsteiger arbeiten, die von den britischen Elite-Unis kommen. Deutsch zum Beispiel könne Anshu Jain immer noch nicht, und das bei der "Deutschen". Wenn er hierzulande bei Konferenzen auftritt, trägt der Manager seinen Knopf im Ohr, der ihm alles ins Englische übersetzt. Spitzname: "Steiff-Tier".

Zuweilen haben die Sprachdefizite skurrile Folgen. Im vorigen November zum Beispiel hielt Anshu Jain in Frankfurt auf Englisch eine recht gute Rede über die "Herausforderungen an das Investmentbanking". Er traf genau den Ton zwischen Demut und Selbstbewusstsein. Dabei las er sich aber so schnell durchs Manuskript, dass die Zuhörer ihm kaum folgen konnten. Hinterher redete ihn ein forscher Journalist auf Deutsch an: "Sprechen Sie schon Deutsch?" Da drehte sich Jain schnell weg und sagte: "I'm not going to go there", das mache er nicht mit.

Er hat sich auf Deutschland nicht ausreichend eingelassen, obwohl er mehr als zehn Jahre Zeit dazu gehabt hätte", giftet ein Deutschbanker in Frankfurt. Er werde sich schwer tun, die besondere Rolle der Deutschen Bank in Deutschland zu begreifen, jenes Symbols des modernen Kapitalismus - für die einen ein Feindbild, für die anderen ein Erfolgsgarant. Jain und seine Leute sind genervt von solchen Attacken. Sie kontern. Als der britische Premier David Cameron zu seiner ersten Auslandsreise nach Indien aufbrach, gehörte Jain zur Entourage, als einziger nicht-britischer Banker. "In der Welt, in der Jain sich bewegt, in Großbritannien, Asien, den USA, ist er für die Politik ein gefragter Gesprächspartner", lobt ein enger Mitarbeiter. Auch Angela Merkel hat er schon vor Jahren getroffen und 2010 den Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) in Berlin.

Selbst Josef Ackermann treiben Sorgen um, Jain könnte die Bedeutung Deutschlands für die Deutsche Bank zu gering schätzen. Er hat das Institut neu ausgerichtet - etwas weniger riskantes Investmentbanking, etwas mehr solides Geschäft mit Firmen- und Privatkunden. Seinen "Regenmacher" Jain hat er zwar viermal befördert, doch für die eigene Nachfolge hatte er Ex-Bundesbank-Chef Axel Weber vorgezogen. Der aber ging lieber zur Großbank UBS.

Die Freude über die anstehende Beförderung lässt sich Anshu Jain nicht anmerken. Er meidet weiter, wann immer möglich, die Öffentlichkeit. Statusobjekte sind ihm unwichtig, er fährt sogar U-Bahn. Der begeisterte Tierfotograf lebt zurückgezogen mit seiner Familie im feinen Westen Londons, zwischen Kensington Gardens und Holland Park. Er ist seit 25 Jahren verheiratet und trug damals bei der Hochzeit eine knielange Kurta und einen weißen Turban. Seine Tochter besucht eine Privatschule. Der Sohn geht an eine US-Eliteuniversität.

Das alles passt zur eigenen Biographie. Nach dem Besuch einer Privatschule in Neu-Delhi schließt Anshu Jain 1983 sein Volkswirtschaftsstudium an der Universität der indischen Hauptstadt ab. Den Mann aus Jaipur zieht es an die University of Massachusetts. Später beginnt er an der Wall Street als Börsenmakler bei Kidder Peabody. 1988 wechselt er zu Merrill Lynch, dort lernt er seinen Ziehvater kennen, den Investmentbanker Edson Mitchell. Der Amerikaner nimmt ihn 1995 mit zur Deutschen Bank. Der Mentor stirbt 2000 beim Absturz seines Privatjets im US-Bundesstaat Maine, Anshu Jain aber steigt unaufhaltsam auf. Das alles hätte Edson Mitchell gefallen - dessen Bild steht, schön gerahmt, in einem Regal in Jains Londoner Büro.

Eine Liebeserklärung ans Cricket

In der angelsächsischen Finanzszene ist Anshu Jain schon heute ein Held, ein "Flowmonster", wie das Fachblatt Euromoney würdigt, eine Art Monster der Geldflüsse also. Schlanke Gestalt, kurze, ergraute Haare, sauberer Scheitel, kantige Bügelfalte. Der Mann hat einen gewissen George-Clooney-Charme. Das einzige, was irritiert, ist sein schwarzer Rucksack. Jain verstaut seine Sachen nicht, wie es sich für Manager gehört, im Aktenkoffer, sondern in diesen Rucksack, den er lässig über der Schulter trägt. Das verleiht ihm etwas Jungenhaftes.

Doch der designierte Chef der Deutschen Bank ist nicht unfehlbar. Im September 2008, auf dem Höhepunkt der Finanzkrise, musste er jäh gebremst werden. Ober-Lenker Ackermann zwang ihn, riskante Wertpapiere zu verkaufen, um weitere Verluste zu vermeiden. Die Bank machte im vierten Quartal 2008 ein Minus von 4,8 Milliarden Euro. Als sich in diesem Frühjahr erneut negative Berichte häuften, führte die Spur wieder zu Jain und seinen Mannen. Es ging um riskante Zinswetten, die Firmen und Kommunen verkauft worden waren; der Bundesgerichtshof rügte die Praxis. Oder um Aktionen der Staatsanwaltschaft in Los Angeles gegen die Bank, weil sie angeblich Tausende Immobilien verkommen lasse. Schließlich ging auch die New Yorker Justiz gegen das Institut vor: Ihre 2007 akquirierte Tochter Mortgage IT soll bei der staatlichen Förderung von Immobilienkrediten betrogen haben.

Im Frühjahr kamen Gerüchte auf, die Bank suche den neuen Chef bei einem Dax-Konzern. Da erschien ein Artikel in der Financial Times, der Hauspostille Londoner Investmentbanker. Die Crew Jains stehe kurz vor einem "Krieg gegen die Zentrale", sollte sie bei der Besetzung des Spitzenjobs zu kurz kommen, hieß es. Viele Investmentbanken würden sich um Jain und seine Leute bemühen. Die PR-Nummer tat ihre Wirkung.

Leute, die ihn aus der Nähe kennen, sagen, der introvertierte Jain, der auf Hauptversammlungen still in sich hinein lächelt, der eine Mauer um sich herum aufbaut, das sei nicht der wahre Jain. Er sei, bei aller Härte, "offen, saugt jedes Argument seines Gegenüber auf und gibt etwas zurück", sagt ein Vertrauter. Und er halte sich zurück, weil ja noch Ackermann mit dem Kreditinstitut verbunden werde. "Das sind die Spielregeln, an die Anshu Jain sich diszipliniert hält."

Regeln, Disziplin, Fair Play, das alles ist Jain extrem wichtig. Das ist wie beim Cricket, seinem Lieblingssport. Das Cricket-Team der Deutschen Bank führt der Manager, wenn er Zeit findet, selbst auf den feinen englischen Rasen des Lord's Cricket Ground in London. Zeitweise war er mit zehn Prozent am indischen Team Mumbai Indians seines Freundes Mukesh Ambani beteiligt, eines der reichsten Asiaten. In Newsweek hat Jain sogar eine Art Liebeserklärung an Cricket abgegeben: Er philosophierte über den sportlichen und wirtschaftlichen Aufstieg Indiens und zog Parallelen zwischen dem Sport und der Finanzwelt. Und mit Blick auf ein Cricket-Weltcup-Finale scherzte Jain, "annähernd 1,5 Milliarden Menschen werden gespannt sein, der Rest gleichgültig". In Frankfurt werden einige lernen müssen, was es mit "Innings" oder "Bowler" so auf sich hat.

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