Deutsche Bank: Ackermann-Nachfolge:Der große Graben

Die ewige Nachfolgersuche für Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann reißt alte Gräben zwischen London und Frankfurt wieder auf. Scheitert das Projekt, ist Ackermanns Lebenswerk gefährdet. Wohin steuert die Deutsche Bank?

H. Freiberger, M. Hesse und A. Oldag

Die Atmosphäre ist urbritisch. Ein knarzender Holzfußboden, große Sprossenfenster aus viktorianischer Zeit. In der Bar "The Mercer" treffen sich Abend für Abend Analysten, Anwälte und Broker aus dem Londoner Bankenviertel, der "Square Mile". Hier ballen sich auf der Fläche eines Dorfes 500 Banken und Finanzfirmen. Und mitten drin, nur wenige Schritte von der Londoner Zentrale der Deutschen Bank entfernt, der "Mercer", ein Marktplatz für Informationen, Klatsch und Gerüchte aus der Finanzwelt. Ein Thema wird hier in diesen Tagen heiß diskutiert: das Königsdrama bei der Deutschen Bank.

Hauptversammlung Deutsche Bank - Josef Ackermann

Offiziell läuft der Vertrag von Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann erst in zwei Jahren aus. Intern jedoch ist längst ein Machtkampf um die Frage ausgebrochen, wer die Bank künftig führen soll.

(Foto: dpa)

Seit Wochen jagt ein Gerücht das andere. Wer wird Josef Ackermann beerben? Ex-Bundesbankchef Axel Weber, den Ackermann selbst favorisiert? Der Inder Anshu Jain, den die Londoner Investmentbanker gerne an der Spitze sähen? Was will Clemens Börsig, der als Aufsichtsratspräsident formal die Nachfolge regelt? Es geht um mehr als die prominenten Namen. Ein Machtkampf tobt, zwischen Ackermann und Börsig, aber auch zwischen Londoner Investmentbankern und deutschen Traditionalisten.

Es geht darum, in welche Richtung die größte deutsche Bank mit ihren gut 100.000 Mitarbeitern und fast zwei Billionen Euro Bilanzsumme steuert. Auch Ackermann könnte schwer beschädigt aus dem Machtkampf hervorgehen.

"Die müssen ihr Führungsproblem endlich lösen", sagt ein braun gebrannter 50-jähriger Broker im "Mercer". Er hat seine Krawatte lässig auf den Bar-Tresen gelegt. Der Hemdkragen ist geöffnet. Ein jüngerer Nachbar zuckt mit den Schultern. "Wenn Anshu Jain den Chefposten nicht kriegt, wird das sicherlich für Unruhe im Hause sorgen", sagt er. Unruhe könnte ein zu schwaches Wort für das sein, was der Bank blüht.

Jains Investmentbanking steuerte im vergangenen Jahr sechs Milliarden Euro zum Vorsteuergewinn von sieben Milliarden bei. Kein Wunder, dass der gebürtige Inder in London als unumschränkter Herrscher gilt. Die Frankfurter Konzernzentrale gilt aus Londoner Sicht als solide geführt, doch auch als ein wenig zu deutsch und zu hausbacken. Es gibt viele in Jains Umgebung, die sagen, er solle jetzt nach der Krone greifen.

Kein Rückhalt in Frankfurt

So unterschiedlich kann man die Dinge sehen. Feierabend in Frankfurt: Die Mitarbeiter strömen aus dem 23-stöckigen Turm in der Großen Gallusstraße, wo die Deutsche Bank ihren Handelssaal hat. Doch obwohl sie alle Investmentbanker sind, gibt es fast keinen, der sich für Jain ausspricht. Hier haben sie Verständnis für die neue Strategie von ganz oben: Dass es nach der Finanzkrise nötig ist, nicht mehr nur auf das Investmentbanking zu setzen. "Jain als Chef wäre keine gute Lösung", meint einer der Händler. "Ich glaube nicht, dass der in erster Linie an die Kunden denkt, sondern an Cash und Aktionäre."

Der alte Graben zwischen London und Frankfurt bricht bei der Deutschen Bank wieder auf. "Ich weiß, dass es im Hintergrund einen enormen Machtkampf gibt", sagt einer, der jahrelang in verantwortlicher Position dabei war. Klar ist auch, wer dabei im Moment die Oberhand hat: die Zentrale, verkörpert durch Ackermann.

Rund um die Hauptversammlung am Donnerstag letzter Woche hat sich die Situation noch einmal zugespitzt: Die Financial Times zitierte Getreue Jains, die kurz davor stünden, eine Revolte anzuzetteln, weil sich immer stärker abzeichnet, dass Jain keine Chance mehr hat. Ackermanns Rede auf der Hauptversammlung war ein deutliches Signal, dass die Londoner Investmentbanker im Konzern nicht mehr unangefochten die erste Geige spielen. "Deutschland hat für uns eine deutlich größere Bedeutung gewonnen", sagte er. Manche Passagen wirkten wie ein Seitenhieb auf Jain, der die zweifelhaften Geschäfte verantwortet, wegen denen die Deutsche Bank derzeit in den USA angeklagt wird. "Wir wollen unsere Gewinne auf verantwortungsvolle Weise erwirtschaften", sagte Ackermann.

Anshu Jain saß auf dem Podium und bekam das auf seinen Knopf im Ohr übersetzt. Jener Knopf, der inzwischen fast zu einem Symbol dafür geworden ist, dass er nicht Chef der Deutschen Bank werden kann. Immer wieder heißt es, dass er Deutsch lerne. Aber es reicht noch nicht, um ohne Knopf auszukommen. "Ich verstehe nicht, warum er sich nicht mehr darum bemüht hat, er hatte mehr als zehn Jahre Zeit", heißt es in der Zentrale. Will er gar nicht an die Spitze? Fühlt er sich wohl als Macht im Hintergrund, solange er volle Rückendeckung beim Chef hat? Und: Hat er die noch?

Ackermann und Jain, das ist eine ganz besondere Beziehung. Ackermanns Aufstieg an die Spitze der Bank ist eng mit zwei Namen verknüpft: Edson Mitchell und Anshu Jain. Beide kommen Mitte der 90-er Jahre zur Deutschen Bank. Sie sind bald wichtige Gewinnbringer, doch erst Ackermann sichert ihrem Bereich, dem Investmentbanking, dauerhaft größte Bedeutung in der Deutschen Bank. Im Gegenzug helfen Mitchell und Jain Ackermann, sich gegen Rivalen wie Thomas Fischer durchzusetzen. Gemeinsam kippen sie die Übernahme der Dresdner Bank, und im Herbst 2000 wird Ackermann zum Vorstandssprecher ab 2002 bestimmt. Und nach dem tödlichen Flugzeugabsturz Mitchells ein paar Wochen später lotst Ackermann den jungen Jain an die Spitze des Investmentbanking.

Jain gilt schon als Ackermanns Kronprinz, seit dieser 2005 wegen des Mannesmann-Prozesses auf der Kippe stand. Doch er überstand den Prozess und 2006 machte ihn der Aufsichtsrat vom Sprecher zum Vorsitzenden des Vorstands. Die Bank, die so lange von einer Doppelspitze und später von einem Sprecher geführt wurde, der als primus inter pares galt, wird seitdem mehr denn je von einem Mann dominiert: Josef Ackermann.

Wohin steuert die Bank?

Doch nun scheint sich die Geschichte zu wiederholen, mit anderen Vorzeichen. Die Investmentbanker um Jain revoltieren wieder, sie fürchten um ihren Einfluss. Diesmal aber könnte sich ihr Widerstand gegen Ackermann richten, ihren einstigen Anführer. Das liegt auch daran, dass die Deutsche Bank Fehler der Vergangenheit wiederholt. Zu früh lässt sie eine Nachfolgedebatte zu. Schon Rolf Breuer war fast zwei Jahre eine "lame duck", weil der Nachfolger Ackermann früh benannt war. Jetzt droht der Schweizer selbst zum Auslaufmodell zu werden. "Die wichtigen Leute in London schätzen Ackermann zwar, aber sie sehen auch, dass er nicht mehr der Jüngste ist", sagt ein Investmentbanker. "Die würden nicht mehr für ihn in den Krieg ziehen."

Die Entfremdung zwischen Ackermann und den Londonern hat nicht erst mit der Nachfolgedebatte begonnen. Seit Jahren driftet der Schweizer langsam weg von seinen einstigen Weggefährten. Nach dem Ende des Mannesmann-Prozesses begann Ackermann um Ansehen in Deutschland zu buhlen. Er zeigte Verständnis für deutsche Befindlichkeiten, suchte den Dialog mit Berlin und baute das Geschäft mit Privatkunden aus. In London wurde dieser Prozess mit Misstrauen begleitet. Doch in der Finanzkrise büßten die Investmentbanker Einfluss ein, wohl oder übel mussten sie den neuen Kurs mittragen. "Es ist Ackermanns großes Verdienst, dass er die Gräben zwischen London und Frankfurt überbrückt hat", sagt einer seiner Gefolgsleute in der Bank. Doch jetzt brechen die alten Gräben auf. "Wie groß ist eigentlich Ackermanns vermeintliche Integrationsleistung, wenn die Investmentbanker jetzt wieder die Spaltung betreiben?", fragt ein Kommunikationsberater.

Der Unmut in London wächst

Noch ist nicht einmal sicher, wie lange Ackermann bleibt. Sein Vertrag läuft bis Mai 2013, doch immer wieder heißt es, er könnte Anfang 2012 ein Rekordergebnis präsentieren und dann seinen Abschied zum Mai verkünden. Gleichzeitig könnte Börsig den Nachfolger benennen. Die andere Spekulation geht so: Weber wird Anfang 2012 als Chef benannt, er bekommt aber noch ein Jahr Zeit zur Einarbeitung und Ackermann erfüllt seinen Vertrag. Der wachsende Druck könnte aber auch dazu führen, dass es schon im Herbst zu einer Entscheidung kommt.

Zumal nicht nur in London der Unmut wächst. "In Frankfurt sind einige Vorstände sehr unzufrieden mit der Situation", sagt ein ehemaliger Deutsch-Banker. Sie beklagen, Ackermanns Favorit Weber fehle jegliche Erfahrung, eine so komplexe Organisation zu führen wie die der Deutschen Bank. Doch Ackermann hat sich auf Weber versteift. Er hat ihm viel zu verdanken. Als Ackermann in der Finanzkrise von Kanzlerin Merkel und anderen Politikern kritisiert wurde, habe Weber ihn häufiger angerufen und ihm den Rücken gestärkt.

Doch mit dem Beharren auf Weber macht Ackermann sich intern viele Feinde. "Axel Weber ist ein guter Professor, aber in der Bank hat er nichts zu suchen", sagt ein Deutsch-Banker. Ackermann wischt Zweifel mit einem Satz weg: "Die richtige Persönlichkeit kann alles lernen, aber Persönlichkeit kann man nicht lernen." Einem hochrangigen Personalberater ist dagegen Webers Körperhaltung negativ aufgefallen: "Er geht nach vorne gebeugt, Gewinner sehen anders aus." Die Gefahr sei groß, dass dies noch zunehme, weil die Last des Amtes bei der Deutschen Bank viel größer sei als bei der Bundesbank. "Je mehr man es sich überlegt, umso weniger geht eigentlich Weber", resümiert der Berater.

Die Lage scheint fast aussichtslos verfahren. "Börsig hat versäumt, einen Externen zu suchen, Ackermann hat es versäumt, einen Internen aufzubauen", kritisiert ein Investmentbanker.

Scheitert der Prozess, könnte dies Ackermanns Lebenswerk schwer beschädigen, das darin bestand, die Bank zu einen und dauerhaft als eine der global führenden Banken zu etablieren.

Doch wohin steuert diese Bank jetzt? Ein besonders kritischer Insider resümiert schon jetzt: "Da ist Stillstand."

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