Derivate:Wetten auf den Crash

Investoren versichern sich gegen die nächste Finanzschmelze - obwohl die große Katastrophe so unwahrscheinlich erscheint wie die Begegnung mit einem schwarzen Schwan. Doch statt viel Geld machen sie mit den riskanten Wetten meist Verluste. Deshalb rät ein Experte: Horten Sie ihr Bargeld!

Markus Zydra, Frankfurt

Es soll ja gerade in Deutschland immer mehr Leute geben, deren grundlegende Skepsis gegenüber Staat und Finanzwirtschaft sich dadurch ausdrückt, dass sie Krügerrand-Goldmünzen oder gleich den Kilo-Goldbarren horten. Diese Menschen beunruhigt die hohe Staatsverschuldung und das stetige Gelddrucken vieler westlicher Notenbanken. Folglich befürchten sie das Schlimmste.

Doch die Finanzmärkte wären nicht geworden, was sie sind, wenn sich ihre Akteure keine Gedanken über diese Grundbesorgnis gemacht hätten. Deshalb mag es wenig überraschen, dass sich Privatanleger, Pensionskassen, Versicherungen und Fonds gegen das "Schlimmste" auch anders versichern können. Und zwar mit Wertpapieren, die mancher Politiker als das Allerschlimmste bezeichnet: Die Rede ist von Derivaten.

Nehmen wir ein einfaches Beispiel: Der deutsche Aktienindex Dax steht derzeit bei 7200 Punkten. Ein Pessimist könnte annehmen, dass der Dax schon in einem Monat bei 4000 Punkten steht. Also kauft er sich jetzt ein Derivat, etwa eine Option, die ihm einen satten Gewinn ausbezahlt, wenn es tatsächlich zu diesem Crash kommt.

In den Jahren 2008 und 2009 hätte man - anders als die Mehrheit der Investoren - große Gewinne mit dieser Strategie eingefahren, die sich im Fachjargon "Tail-risk-hedging" nennt. Das bedeutet: Man sichert sich gegen sehr unwahrscheinliche Risiken ab. Denn in der Tat ist es statistisch unwahrscheinlich, dass der Aktienmarkt binnen vier Wochen um 50 Prozent einbricht. Aber es passiert, und es passiert häufiger als die Wahrscheinlichkeitsrechnung angibt.

Der Mathematiker und Wertpapierhändler Nassim Taleb hat diese großen und unkalkulierbaren Risiken als "Schwarzen Schwan" bezeichnet - denn die meisten Schwäne sind bekanntlich weiß. Mittlerweile gibt es einige "Schwarzer Schwan-Fonds" im Angebot, die nur auf eines wetten: dass es ordentlich rumst an der Börse.

Der Charme dieser Strategie ergibt sich aus dem Zeitfaktor: In turbulenten Zeiten sind die Versicherungen gegen eine Finanzschmelze teuer - Anfang 2009 waren sie nahezu unbezahlbar, weil jeder mit einer Fortsetzung der Kursverluste rechnete. Doch je länger der letzte Crash vergangen ist, desto ruhiger werden die Märkte. Die Kursschwankungen (die Volatilität) gehen zurück und die Derivate für Pessimisten werden dann immer billiger. Der Preis für eine Autoversicherung entwickelt sich ähnlich. Je länger der Fahrer keinen Unfall baut, desto günstiger wird die Police.

Nun sind die Finanzmärkte aber auch eine Art Modebetrieb. Die meisten machen das nach, was andere vormachen. Und in den Jahren 2009 und 2010 - als die Furcht noch präsenter war als heute - ächzten die Investoren geradezu nach solchen Versicherungen gegen weitere Finanzcrashs. Diese Produkte waren damals teuer, und durch die gestiegene Nachfrage nach Derivaten wurden die Versicherungen noch teurer.

Ausdruck von Gier oder von Furcht?

Die meisten Strategien haben sich nicht ausgezahlt, weil es seit 2008 zu keiner Katastrophe mehr gekommen ist", zitiert die Financial Times Jeroen Van Bezooigen, Investmentexperte der Fondsgesellschaft Pimco. Man kann es auch anders ausdrücken: Je länger der große Crash ausbleibt, desto mehr Verluste machen Anleger mit solchen Produkten, die auch von Hedgefonds angeboten werden.

"Die Popularität dieser Versicherungsprodukte sollte die Anleger misstrauisch machen", warnt James Montier, Analyst bei der amerikanischen Vermögensverwaltung GMO. "Man kann diese Versicherungen kaufen, wenn kein anderer sie haben will, aber nicht, wenn alle anderen von dieser Idee begeistert sind", schreibt der angesehene Analyst in seinem jüngsten Essay.

Montier hält die meisten Finanzkrisen für "vorhersehbare Überraschungen". Natürlich wisse man niemals, wann es soweit sei, aber man wisse ziemlich genau, dass es passieren werde. Für Investoren hat Querdenker Montier daher folgende Ratschläge: Niemals auf Kredit spekulieren, und tendenziell dort investieren, woran die Masse der Investoren gerade kein Interesse hat.

Schon der britische Ökonom John Maynard Keynes hat es als das zentrale Investmentprinzip bezeichnet, gegen die öffentliche Meinung anzugehen. "Wenn sich alle einig sind, dass eine Aktie attraktiv ist, dann ist sie auf jeden Fall durch die Nachfrage schon zu teuer."

Für Montier sind die Crash-Versicherungsfonds eher Ausdruck von Gier als von Furcht. "Bei der nächsten Finanzkrise sollten Investoren als Absicherung vielleicht eher Bargeld halten. "

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