Süddeutsche Zeitung

Derivate:Nur für abgebrühte Zocker

Differenzkontrakte werden beliebter - doch bergen die Finanzwetten so große Risiken, dass sie in den USA verboten sind.

Jörg Rieger

Derivate sind Finanzwetten, die enorme Gewinne und Verluste möglich machen. Zu dieser Gattung gehören die sogenannten Differenzkontrakte; sie werden nach ihrer englischen Bezeichnung Contracts for Difference auch als CFDs bezeichnet.

Diese Titel bieten Anlegern die Chance, an den Börsenplätzen dieser Welt einzukaufen, ohne sofort die finanziellen Mittel komplett bereitstellen zu müssen.

Auf dem Umweg über diese Papiere können von der Siemens-Aktie über den Schweizer Leitindex SMI bis hin zu Sojabohnen eine stattliche Zahl an Basiswerten gehandelt werden. Außerdem erlauben es CFDs, größere Summen zu bewegen, als es das eigene Budget hergibt.

Ganz so, als gehe man in ein Spielkasino, borge sich den Einsatz fast komplett vom Gastgeber und fange an einem beliebigen Tisch zu spielen an. Diese Schulden können sich im Verlustfalle stark negativ auf den Anleger auswirken.

Keine komplizierten und undurchsichtigen Berechnungen

Die Finanzinstitute werben mit der Transparenz solcher Derivate. "Eine simplere und flexiblere Art, abgeleitete Finanzprodukte zu konstruieren, gibt es nicht", sagt Stefan Riße, Direktor der deutschen Niederlassung des britischen Marktführers CMC Markets. Er bezeichnet CFDs als "günstigere Alternative" zu Futures, Hebelzertifikaten und Optionen. CFDs spiegeln einen Basiswert eins zu eins wider.

Komplizierte und undurchsichtige Berechnungen, wie sie bei anderen Derivaten oft kritisiert werden, sind nicht nötig. Folglich notieren CFDs auf dem Niveau des Basiswertes und vollziehen dessen Kursentwicklung zu 100 Prozent nach. Die Einfachheit hat aber ihren Preis: Komplexe Anlagestrategien können mit CFDs nicht umgesetzt werden.

Steht beispielsweise eine beliebige Aktie bei 100 Euro, notiert auch der CFD bei 100 Euro. Feste Laufzeiten gibt es nicht. Die Anbieter machen ihren Umsatz zu einem großen Teil mit dem sogenannten Spread, dem Unterschied zwischen dem niedrigeren Geldkurs (Verkauf) und dem höheren Briefkurs (Kauf) sowie den Finanzierungskosten.

Kauf auf Pump

Bei nahezu allen CFDs kann man sowohl auf steigende als auch auf fallende Kurse setzen. Letzteres bedeutet, dass ein Gewinn erwirtschaftet wird, sobald der zugrunde liegende Basiswert ins Minus rutscht - ein beliebtes Instrument in unruhigen Börsenzeiten und zur Absicherung schwankungsanfälliger Depots. "Die CFDs werden dann verkauft, in der Hoffnung, sie später zu niedrigeren Preisen zurückkaufen zu können", erklärt Riße.

Der bedeutendste Unterschied zum klassischen Aktienkauf ist jedoch der Hebeleffekt. Er tritt auf, weil nur ein Bruchteil des Basiswertes finanziell bereitgestellt werden muss. Die prozentuale Rendite aus dem Kurssprung einer Position von 10.000 Euro ist - wenn der Anstieg des Euro-Wertes der gleiche ist -rein rechnerisch kleiner als bei einem Einsatz von 500 Euro.

Die Sicherheitsleistung, die bereitgestellt werden muss, liegt in der Regel zwischen einem und zehn Prozent des Basiswertes; in der Tabelle beträgt sie fünf Prozent. Den Rest stellt der Anbieter zur Verfügung, was nichts anderes heißt, als dass die Wertpapiere auf Pump bewegt werden, also auch kein Eigentum daran erworben wird.

Diese Form der Aktienleihe verursacht Finanzierungskosten. Der Zins liegt bis zu vier Prozent über dem Eonia-Satz (Anlegerlexikon) und fällt in der Regel für das komplette Handelsvolumen an. Daher werden CFDs meist nur extrem kurz gehalten. In der Beispielrechnung beträgt der Zinssatz insgesamt acht Prozent.

Entscheidend für den Umfang des Gewinns oder Verlusts ist der sogenannte Hebel. In der Tabelle liegt angesichts der Sicherheitsleistung in Höhe von fünf Prozent der Wert bei 20. "Die Erfahrung zeigt aber, dass unsere Kunden eine größere Sicherheitsleistung hinterlegen als gefordert. Dadurch wird der Hebeleffekt entsprechend verringert", erklärt Riße.

Mittlerweile können bei CMC Markets etwa 2200 Arten von CFDs gehandelt werden. Nach Firmenangaben wurde im Geschäftsjahr 2006/07 hierzulande bei 13 Millionen Transaktionen ein Volumen in Höhe von 80 Milliarden Euro bewegt.

Verlust übertrifft Einsatz

Was meist nur am Rande erwähnt wird: Auch CFDs sind kein Synonym für den sicheren Weg zum schnellen Reichtum. Theoretisch kann der Anleger mehr Geld verlieren, als er eingesetzt hat. Nicht zuletzt deshalb sind CFDs beispielsweise in den USA verboten. "Ich halte es für bedenklich, dass solch spekulative Produkte hierzulande erfolgreich sind.

Vielen Anlegern ist offensichtlich nicht bewusst, dass Aktien theoretisch über Nacht einbrechen können und dann in der Regel eine Nachschusspflicht besteht. Das Verlustrisiko ist also immens", sagt Adolf Ropeter von der Independent Derivatives Consulting AG, einem Beratungsunternehmen für institutionelle Anleger. Beispielsweise bei Hebelzertifikaten, einer anderen Art von Derivat, "weiß ich dagegen im Voraus, was ich maximal verlieren kann".

Auch Dieter Lendle vom Deutschen Derivate Institut zeigt sich wenig euphorisch: "Diese Produkte sind nur für Profis und Zocker gedacht. Sie haben noch einen langen Weg vor sich, um das Vertrauen einer breiten Anlegerschicht zu gewinnen. Vor allem das Image der Preisbildung außerhalb der Börse auf Handelsplattformen ist nicht das beste."

Dem versuchen die Anbieter mit einer regen Öffentlichkeitsarbeit entgegenzusteuern - zuletzt mit großem Erfolg. CFDs, die ihre Wurzeln in Großbritannien haben, setzen sich aus Effizienzgründen vermehrt in Deutschland durch - genau wie zuletzt die börsengehandelten Indexfonds (Leserfrage). Seit kurzem bieten sogar Online-Banken einen Handel mit CFDs an.

ABN Amro einziger Anbieter

"Die Kunden haben solche Produkte gefordert", heißt es bei Cortal Consors, einem Tochterunternehmen der BNP Paribas. Große deutsche Finanzinstitute wie die Commerzbank sehen dagegen noch keinen Handlungsbedarf. Somit bleibt ABN Amro hierzulande vorerst die einzige Großbank, die CFDs komplett aus eigenem Hause anbietet.

Eine Verbreitung von CFDs wie in Großbritannien ist ohnehin unwahrscheinlich. Dort sind CFDs ohne zeitliches Limit steuerlich begünstigt, während in Deutschland ab dem 1. Januar 2009 auf alle Derivate die Abgeltungssteuer fällig wird. Für Anleger, die in solche Papiere investieren wollen, gibt es eine weitere Hürde: Sie müssen - wie bei Geschäften mit anderen Derivaten auch - zuvor ein Formular unterzeichnen, damit sie die sogenannte Termingeschäftsfähigkeit erreichen.

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Quelle:
SZ vom 19.01.2008/ckn
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