Deflation in Japan:Ein Paar Jeans für elf, sieben - nein, fünf Euro

In Japan herrscht Deflation, die Preise sinken und sinken. Doch die Menschen jubilieren nicht. Denn auch die Löhne kennen nur eine Richtung: abwärts.

Christoph Neidhart, Tokio

In Japan herrscht ein Jeans-Krieg. Im September bot die Kaufhauskette Seiyu die blaue Hose noch für 1470 Yen, umgerechnet elf Euro, an. Ein unschlagbarer Preis, wie es schien. Dann brachte Uniqlo, Japans Antwort auf Benetton, Blue-Jeans für 990 Yen (7,50 Euro) in die Läden.

Deflation in Japan: In Japan sinkt die Kauflust trotz laufender Preissenkungen.

In Japan sinkt die Kauflust trotz laufender Preissenkungen.

(Foto: Foto: AP)

Möglich wurde dies, weil Uniqlo die Herstellung von China nach Kambodscha verlagerte. Die Aeon-Kette zog mit Jeans für 880 Yen nach. Und Seiyu schließlich konterte mit 850 Yen. Inzwischen erhält man beim Discounter Don Quijote eine Bluejeans sogar für 690 Yen (fünf Euro).

Verdient wird an diesen Sonderangeboten schon lange nichts mehr; die Billigjeans sollen die Kunden in die Läden locken. Für Schuhe und Kleider geben die Japaner dieses Jahr im Schnitt zehn Prozent weniger Geld aus als 2008. Ähnliche Preisstürze meldet die Musik-Branche: CDs, auch solche von europäischen oder amerikanischen Plattenlabels, gibt es schon ab 1000 Yen.

Noch viel höher

Japan steckt in der Deflation, im Oktober lag das allgemeine Preisniveau gegenüber dem Vorjahresmonat um 2,2 Prozent tiefer. Manche Ökonomen glauben gar, dieser Wert zeige nicht den realen Preisverfall, da die Statistik nur Markenartikel berücksichtige. Der wahre Wert sei noch viel höher.

Regierung und Zentralbank fürchten, das Land könne in eine Deflationsspirale geraten, wie sie die Jeans-Branche diesen Herbst bereits durchmacht. Schon während der Rezession der 1990er Jahre und Mitte dieses Jahrzehnts fielen die japanischen Einzelhandelspreise, nachdem sie während des Immobilien-Booms ins Absurde geklettert waren. 1990 zahlte man für eine geschenkverpackte Melone in Tokio ohne weiteres 70 Euro.

Preiskriege wie im Jeans-Geschäft sind nicht selten, aber doch die Ausnahme. Im Alltag macht sich die Deflation nicht immer ganz so deutlich bemerkbar, zumal Preisstürze als Sonderangebote daherkommen - allerdings manche auf Dauer, um Kunden zu ködern.

Alle nicht mehr da

Auf den zweiten Blick allerdings sieht man die Folgen: So sind aus der Einkaufsstraße von Kyodo, eines mittelständischen Wohnviertels in Tokio, in den vergangenen Jahren nach und nach die meisten Fachgeschäfte verschwunden. Der Futonladen, der Farben- und der Werkzeughändler, auch der sympathische Sushi-Imbiss - sie sind alle nicht mehr da.

Die Ladenlokale wurden von Fastfood-Ketten und Drogerie-Filialen übernommen. Sogar der Supermarkt beim Bahnhof musste seine Verkaufsfläche verkleinern; er vermietet einen Teil des Ladens nun an eine Café-Kette. Im Supermarkt selbst lauern gegen Abend stets einige Kunden bei den Kühltruhen für Sushi und Sashimi. Sobald ein Angestellter auftaucht und neue Aufkleber mit halbierten Preisen auf die Sushi-Boxen pappt, stürzen sie sich auf die Packungen. Der rohe Fisch darf am nächsten Tag nicht mehr verkauft werden.

Von drei Supermärkten der Umgebung hat fast immer einer Fruchtsäfte im Sonderangebot. So muss, wer darauf achtet, nie mehr den vollen Preis zahlen. Im Obergeschoss des Supermarkts befindet sich ein 100-Yen-Laden, er hat die Verkaufsfläche kürzlich vergrößert. Er ist vergleichbar den 1-Euro-Shops in deutschen Innenstädten.

Geringere Kauflust

Jeder Artikel nur 100 Yen. Der Laden ist immer voll. In einem Vorort hat Daiso, der größte Betreiber von 100-Yen-Läden, ein sechsstöckiges Kaufhaus. Und im ganzen Land bereits 2500 Filialen. Der Preiszerfall ist mittlerweile auch auf der Ginza sichtbar, einer der teuersten Einkaufsmeilen der Welt. Immer mehr Luxusmarken müssen dort billigeren Ketten wie Uniqlo, H&M, GAP und Zara weichen.

Die Japaner haben allerdings wenig Grund, sich über die fallenden Preise zu freuen. Die Deflation wirkt sich auch auf ihre Boni aus, die in Japan ein wichtiger Bestandteil des Lohnes sind. Damit verringert sich die Kaufkraft der japanischen Arbeitnehmer. Und vor allem deren Kauflust. Was die Preise zusätzlich drückt - ein Teufelskreis.

Ökonomen definieren Deflation als einen deutlichen und anhaltenden Rückgang des Preisniveaus für Waren und Dienstleistungen. In Japan könnte man auch sagen: Deflation ist, wenn alle sparen. Immer mehr Menschen in Japan schieben den Kauf neuer Kleidung, neuer Schuhe und erst recht den eines neuen Autos immer weiter auf. Angesichts der Qualität japanischer Industriegüter ist das auch kein Problem, im Gegenteil: Bisher haben die Japaner ihre Geräte tendenziell zu früh ersetzt.

Einige Elektronikketten haben sich diese Haltung zu eigen gemacht: Sie frischen mittlerweile gebrauchte Sub-Notebooks, also Laptops in DIN-A4-Größe, auf und verkaufen die Produkte zusammen mit einem Abo für einen mobilen Internetanschluss spottbillig. Das wiederum drückt die Neupreise für Laptops.

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