"Das 1x1 der Geldanlage" (4): Zertifikate:Das Spielzeug des aufgeklärten Privatanlegers

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Zertifikate öffnen auch normalen Investoren das Tor zur Welt der Profis - doch wer nicht aufpasst, kann sein ganzes Geld verlieren.

Markus Zydra

Die Bedeutung eines Wortes kann je nach Zuhörer höchst unterschiedlich wahrgenommen werden. Das trifft auch für den Begriff "Zertifikat" zu, der bei einem Fachfremden zunächst viele Fragezeichen auslöst. Nach kurzem Nachdenken dürften die meisten Befragten aber auf jeden Fall zu dem Ergebnis kommen: "Das klingt kompliziert." Ironischerweise ist dieser lustarme finanztechnische Begriff gleichzeitig Ausdruck von Freiheit - und darunter kann sich wohl jeder etwas vorstellen.

Noch nie zuvor in der Geschichte der Geldanlage hatten einfache Bürger diese Möglichkeiten. Wetten auf den Öl- oder Weizenpreis - kein Problem. Hebelspekulationen, die mit geringem Einsatz eine Vervielfachung der Anlagesumme ermöglichen, aber auch den schnellen Verlust - jederzeit. Zertifikate sind der Joystick des aufgeklärten Privatsparers, der nun handeln kann wie die Profis. Das gab es früher nicht in dieser Form, wenn man von Optionsscheinwetten absieht, für die aber ganz besondere Regeln gelten und die deshalb dem Massenpublikum nie ganz geheuer waren.

Mehr Freiheit für die Anleger setzt Verantwortungsbewusstsein voraus, das wiederum speist sich aus Wissen, und daran hapert es häufig, was im krassen Widerspruch zur Beliebtheit dieser Wertpapiere steht. Rund 135 Milliarden Euro steckten zum Jahresende 2007 im deutschen Zertifikatemarkt, so der Deutsche Derivate Verband - ein beachtlicher Erfolg. Auf sechs Punkte sollten Anleger dabei besonders achten.

1. Eigenverantwortung

Der Zertifikate-Investor ist selbst verantwortlich. Wer ein Papier auf der Rohölpreis kauft, muss selbst entscheiden, wann er wieder aussteigt. Kein Fondsmanager assistiert ihm dabei. Das ist Ausdruck der neuen Freiheit. Der Zertifikatemarkt bietet mit seinen 400000 Papieren eine reichhaltige Auswahl für nahezu jedes Marktszenario: Steigender Weizenpreis und fallender Dax, mit oder ohne Währungsabsicherung, gehebelt oder in der Einfachvariante, mit Risikopuffer oder Knock-out-Schwelle. Die Vielfalt ist riesig, aber der Anleger muss wissen, was er tut. Er ist sein eigener Geldverwalter, der seine persönlichen Erwartungen für die Finanzmärkte durch selbstbestimmte Zertifikatekäufe abbildet.

2. Marktwissen

Anleger müssen sich deshalb über die Finanzmärkte ständig informieren: Wer in China investieren will, muss die dortige Wirtschaft kennen, und dafür reicht nicht ein Tag oder eine Woche. Beim Sparer muss generell ein grundlegendes Interesse an den Börsen der Welt vorhanden sein, weil sie alle miteinander mehr oder minder korrelieren. Der Weizenpreis hängt auch von Chinas Nachfrage, aber noch mehr vom Wetter oder von Handelsbeschränkungen ab. Wer den Finanzteil einer Tageszeitung meidet, der sollte die Geldanlage an einen Profi delegieren und Zertifikate meiden.

3. Produktwissen

Es ist unerlässlich, die Zertifikatestrukturen zu begreifen. Die Produktemittenten setzen voraus, dass der Anleger diese Vorarbeit leistet. Wer nicht weiß, dass bei einem Knock-out-Zertifikat im schlimmsten Fall das ganze Geld weg, der soll die Finger davon lassen. Begriffe wie Hebel (hier wird mit wenig Einsatz viel Kapital bewegt) oder Discount (man erhält eine Aktie billiger um den Preis einer Deckelung des Kurszuwachses) müssen verstanden werden. Alle emittierenden Banken bieten im Internet auf ihrer Homepage umfassende Erklärungen. Beim Finanzberater gilt es immer nachzufragen bei Unklarheiten. Bleiben Fragen offen, dann sollte der Kunde einen anderen Berater suchen.

4. Besonderheit

Zertifikate sind Inhaberschuldverschreibungen. Das heißt: Geht die Bank, die das Papier emittiert hat, Pleite, dann ist das Geld der Anleger nicht abgesichert. Im aktuellen Umfeld der Bankenkrise ist das durchaus ein wichtiges Thema. Dieser Aspekt ist auch der große Unterschied zu Fonds, bei denen die Einlagen als Sondervermögen geschützt sind.

5. Funktionsweise

Zertifikate gehören zur Gruppe der Derivate. Der Begriff geht auf das lateinische Verb "derivare" (ableiten) zurück. Das heißt: Jedes Zertifikat ist von mindestens einem so genannten Basiswert abhängig. Ein Indexzertifikat auf den Dax folgt der Wertentwicklung des Dax - der Kurs eines gehebelten Rohölzertifikats folgt dem Ölpreis um ein Mehrfaches. Den aktuelle Zertifikatekurs berechnet die emittierende Banken; er hängt also nicht von Angebot und Nachfrage ab.

6. Kritik

Die Zertifikatebranche ist regelmäßig scharfer Kritik von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) ausgesetzt. Im Kern geht es darum, dass bestimmte Zertifikate falsch bepreist, zum Schaden des Kunden vom Handel ausgesetzt oder ganze Geschäfte rückabgewickelt wurden, was in Einzelfällen passiert ist. Generell gilt: Bei stark fallenden Märkten kommen manche Emittenten mit der Preisberechnung ihrer Zertifikate nicht hinterher; es kommt dann zu Verzögerungen.

Immer kritisieren Verbraucherschützer zudem die Gebührenpolitik der Emittenten. Tatsache ist: Die Gewinnmarge steckt im Verkaufspreis. Bei einfachen Produkten wie Indexzertifikaten ist die Konkurrenz so stark, dass die Margen niedrig sind. Bei komplexen innovativen Zertifikaten ist die Marge höher. Wie hoch sie sind, weiß allerdings niemand:. Die Banken verraten sie nicht.

© SZ vom 01./02.03.2008/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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