Süddeutsche Zeitung

Dämmen: Sinnvoll oder überflüssig?

Deutschland, das Land der Dichter und Dämmer? Von wegen: Die Fassadensanierung steht stark in der Kritik. Daher verzichten die meisten Hausbesitzer darauf, ihre Wände nachträglich zu isolieren.

Von Ralph Diermann

Es hat sich in der Architektur im Grunde gar nicht so viel verändert, seit die Menschen in der Jungsteinzeit die ersten festen Bauten errichteten. Wie wohl man sich im Innern fühlt, hängt vor allem von der Gebäudehülle ab. Sie lässt Licht hinein, hält Wind und Wetter draußen und die Wärme drinnen. Anfangs sorgten Holz, Lehm und Stein für Behaglichkeit, später Ziegel und Beton. Mittlerweile sind die Anforderungen an den Wärmeschutz aber so hoch, dass die traditionellen Materialien allein Bauherren oft nicht mehr genügen. Im Neubau ist es heute daher Standard, die Außenwände zusätzlich mit Polystyrol zu dämmen - allein schon deshalb, weil die Politik strenge Vorgaben für den Energieverbrauch neuer Gebäude setzt.

Ganz anders dagegen der Immobilienbestand: Die Deutsche Energie-Agentur (dena) schätzt, dass bei etwa zwei Dritteln aller bis zum Ende der Siebzigerjahre errichteten Gebäude die Außenwände ungedämmt sind. Bei Häusern aus den Achtziger- und Neunzigerjahren ist die Dämmschicht meist nur wenige Zentimeter dick. Eine allgemeine Pflicht zur Nachrüstung gibt es nicht. Stattdessen sollen Informationskampagnen und eine finanzielle Förderung Eigentümer motivieren, den Wärmeschutz ihrer Immobilien zu verbessern. Doch mit wenig Erfolg - nicht einmal jedes hundertste Haus wird pro Jahr umfassend energetisch saniert. Denn um die Fassadendämmung tobt ein Glaubenskrieg, der viele Hausbesitzer verunsichert. Gegner führen gleich ein ganzes Bataillon an Argumenten zu Felde: Das nachträgliche Dämmen der Außenwände sei nicht rentabel, steigere das Brand- und Schimmelrisiko und schaffe ein Entsorgungsproblem. Stimmt die Kritik?

"Dämmen rentiert sich nicht"

Will ein Hausbesitzer seine Fassade dämmen, muss er tief in die Tasche greifen. Zwischen 80 und 150 Euro pro Quadratmeter kostet es, die Wände in Polystyrol, auch bekannt unter dem Markennamen Styropor, einzupacken. Der Eigentümerverband Haus & Grund rechnet anhand eines sanierungsbedürftigen Einfamilienhauses vor, dass es bis zu 51 Jahre dauert, bis sich die Investition amortisiert hat. Die Energieagentur dena hält eigene Zahlen dagegen, nach denen sich die Dämmung der Fassaden eines typischen Einfamilienhauses aus den Siebzigerjahren schon nach 14 Jahren bezahlt macht.

Wer hat recht? Dirk Mobers von der Energieagentur Nordrhein-Westfalen hält solche Musterkalkulationen für wenig aussagekräftig, unabhängig vom Ergebnis. "Um die Wirtschaftlichkeit beurteilen zu können, muss man immer den Einzelfall betrachten", sagt der Experte. Die Praxis zeige aber, dass sich vor allem bei Häusern, die vor Inkrafttreten der ersten Wärmeschutzverordnung 1977 gebaut wurden, eine nachträgliche Fassadendämmung in vielen Fällen durchaus lohnt - "vorausgesetzt, dass dort ohnehin ein Gerüst aufgestellt wird, etwa für Malerarbeiten oder die Putzausbesserung", sagt Mobers. Mieter zahlten bei der Dämmung allerdings meist drauf, wenn die Eigentümer - wie derzeit noch gesetzlich erlaubt - jährlich elf Prozent der Sanierungskosten auf die Miete schlagen. "Bei den heutigen Energiepreisen lässt sich die Mieterhöhung nur schwer durch Einsparungen bei den Nebenkosten kompensieren", sagt Mobers. Er verweist jedoch darauf, dass die Fassadendämmung auch den Komfort verbessere. "Die Temperatur der Wandoberflächen steigt, sodass die Räume behaglicher werden. Der Wohnwert für die Mieter nimmt damit zu."

"Die Brandgefahr ist größer"

Meist beginnt es harmlos, mit einem brennenden Müllcontainer zum Beispiel. Ein paar Minuten später steht dann plötzlich die ganze Fassade in Flammen. In den vergangenen Jahren machten Fälle Schlagzeilen, bei denen aus einem kleinen Feuer ein gefährlicher Großbrand wurde, weil Flammen auf die Dämmung übersprangen. Zwar werden dem Polystyrol Flammschutzmittel zugesetzt, die solche Fälle verhindern sollen. Einen hundertprozentigen Schutz bieten sie aber nicht - im Gegensatz übrigens zu einer Dämmung aus Glas- oder Steinwolle, die nicht brennbar ist.

Fassadenbrände sind jedoch relativ selten, wie Zahlen des Bundesumweltministeriums zeigen. Danach kommt es bundesweit im Durchschnitt pro Jahr nur zu sechs Bränden an Fassaden mit Polystyrol-Dämmung - bei 160 000 bis 200 000 Wohnungs- oder Hausbränden insgesamt. Zudem hat das Deutsche Institut für Bautechnik vor einigen Monaten auf Beschluss der Bauministerkonferenz der Länder die Brandschutz-Anforderungen verschärft. So müssen mehrgeschossige Gebäude jetzt mit zusätzlichen Brandriegeln - unter anderem im Sockelbereich der Fassade - versehen werden, wenn dort eine neue Wärmedämmung angebracht wird. Sie verhindern, dass sich Brände von unten über die ganze Fassade hinweg ausbreiten. "Das verbessert die Sicherheit deutlich", sagt Peter Bachmeier, Branddirektor der Feuerwehr München.

Bei bereits gedämmten Gebäuden fehlen die Brandriegel im unteren Teil der Fassade allerdings meist. Sollten Hausbesitzer hier nachrüsten? "Das muss jeder Eigentümer selbst entscheiden", sagt Bachmeier. "Stehen die Mülltonnen ein paar Meter vom Haus entfernt und werden auch keine Autos oder Motorräder unmittelbar vor der Fassade geparkt, halte ich das nicht zwingend für notwendig."

"Gedämmte Häuser schimmeln"

Schimmel ist ein lästiger Untermieter. Er bildet hässliche Flecken an den Zimmerwänden und kann zudem Allergien und Erkrankungen auslösen. Schimmelpilze entstehen, wenn feuchte Raumluft an kalten Wänden kondensiert. Eine Fassadendämmung fördere dies, da sie den Luftaustausch einschränke, argumentieren Kritiker. Stimmt nicht, meint Dirk Mobers: "Eine Fassadendämmung erhöht die Temperatur auf der Oberfläche der Wände, sodass sich dort keine Feuchte mehr niederschlagen kann." Die Dämmung sorge dafür, dass die Wände nicht kälter als 17 oder 18 Grad werden. "Die Luftfeuchtigkeit müsste schon über einen längeren Zeitraum bei siebzig Prozent oder mehr liegen, damit dort dann noch Schimmel auftreten kann", sagt der Experte der Energieagentur Nordrhein-Westfalen. Die Dämmung mindere das Schimmelrisiko daher, statt es zu erhöhen. Das gilt jedoch nur für den Fall, dass die Handwerker sauber gearbeitet haben. Sie müssen beim Anbringen der Dämmplatten darauf achten, dass keine Wärmebrücken entstehen.

"Die Entsorgung ist ein Problem"

Dämmstoffe aus Polystyrol werden oft einfach vollflächig auf die Außenwände geklebt. Das geht schnell und einfach, macht es aber unmöglich, ausgediente Dämmplatten zu recyceln, da sie durch den aufgetragenen Kleber verschmutzen. Daher bleibt nichts anders übrig, als sie in einer Müllverbrennungsanlage zu verfeuern. Noch gibt es dafür keinerlei Auflagen - obwohl die Polystyrol-Hersteller ihre Dämmplatten bis vor Kurzem mit dem für Mensch und Umwelt problematischen Flammschutzmittel HBCD ausgerüstet haben. Das wird sich jetzt jedoch ändern: Mit der Novelle der Abfallverzeichnis-Verordnung werden Produkte mit einer HBCD-Konzentration über einem noch festzulegenden Grenzwert künftig als gefährlich eingestuft. "Diese Abfälle dürfen dann nur noch in den dafür genehmigten Müllverbrennungsanlagen thermisch verwertet beziehungsweise beseitigt werden", erklärt ein Sprecher des Bundesumweltministeriums. Alte Polystyrol-Platten werden dann wohl als Sondermüll verbrannt werden müssen. Die Entsorgung wird damit deutlich teurer. Nach Angaben des Ministeriums soll die Verordnung noch in diesem Frühjahr in Kraft treten. Die heute erhältlichen Produkte fallen allerdings nicht unter die neue Vorgabe, da die Hersteller mittlerweile ungefährlichere Flammschutzmittel verwenden. Sie kommen damit einem Verbot von HBCD zuvor.

"An der Fassade wachsen Algen"

Anders als Beton oder Ziegel können Polystyrol-Dämmplatten keine Sonnenwärme speichern. Daher kühlt ihre Außenfläche in der Nacht stärker ab. Zudem gelangt weniger Wärme aus dem Innern der Häuser nach Außen. Je kälter jedoch die Fassade ist, desto schneller kondensiert die Luftfeuchte an der Putzschicht auf dem Dämmstoff. In der Folge können sich dort Algen ansiedeln - schmutzig-dunkle Schlieren, die dafür sorgen, dass neue Gebäude schon nach wenigen Jahren heruntergekommen aussehen. Daher werden den Putzmaterialien und Farben Biozide zugesetzt, die Algen verhindern sollen.

Vor einigen Jahren haben Schweizer Wissenschaftler herausgefunden, dass diese Giftstoffe mit dem Regen nach und nach aus dem Putz gewaschen werden. Der Algenschutz wird also stetig schwächer. Zudem belasten die Biozide das Grundwasser, da die Kläranlagen sie nicht aus dem Abwasser filtern können. Zwar haben Baustoff-Hersteller längst Putze und Farben auf den Markt gebracht, die ohne Biozide auskommen. Die umweltfreundlichen Alternativen werden jedoch nur selten eingesetzt, da sie teurer sind als die konventionellen Produkte.

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Quelle:
SZ vom 19.02.2016
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