Crashkurs (3): Spekulieren mit Rohstoffen:Tödliche Geschäfte

Kampf um Lebensmittel: Es ist einer der größten Skandale in der Wirtschaftswelt, dass hemmungslose Spekulation mit Grundnahrungsmitteln möglich ist.

Dirk Müller

Die dramatischen Ereignisse entlarven die "Experten" mal wieder als fürchterliche Scharlatane. Was wurde in den Monaten der hohen Lebensmittelpreise nicht alles als Grund genannt!

Crashkurs (3): Spekulieren mit Rohstoffen: Ein Rohstofffonds kauft den gleichen Reis wie die Familie in Asien.

Ein Rohstofffonds kauft den gleichen Reis wie die Familie in Asien.

(Foto: Foto: dpa)

Expertenaussage eins: "Die Chinesen essen jetzt so viel, weil sie mehr Wohlstand haben. Besonders Fleisch. Daher werden die Preise immer weiter in astronomische Höhen steigen." Und jetzt? Essen die Chinesen plötzlich nichts mehr? Sind sie wegen der Tibetfrage geschlossen in den Hungerstreik getreten oder warum sind die Preise um 30 Prozent eingebrochen?

Expertenaussage zwei: "Das ist doch klar, dass die Preise so steigen, wenn Mais und Soja zu Treibstoff verarbeitet werden. Das wird sich weiter fortsetzen. Die Preise werden noch viel höher steigen." Und jetzt? Haben die Raffinerien Gewissensbisse bekommen und den Mais an die arme Bevölkerung Westafrikas verteilt? Wurde die Produktion von Biodiesel plötzlich eingestellt?

Expertenaussage drei: "Der Maispreis ist so explodiert, weil der Mississippi die ganzen amerikanischen Anbauflächen überflutet hat. Die Böden sind auf Jahre nicht mehr nutzbar!" Und jetzt? Gab es eine göttliche Schnellsanierung der Ackerflächen?

Erinnern Sie sich, wie aufgrund dieser Expertenaussagen alle Anlegerzeitungen für Rohstofffonds und Rohstoffzertifikate trommelten? Jede Hausfrau sollte plötzlich zum Weizenspekulanten werden. Wer braucht schon Aktien oder Festgeld? Das Glück liegt in Reiszertifikaten! Die Titelseiten überboten sich mit reißerischen Rohstoffthemen.

Was ist daraus geworden? Wer auf den Hype reingefallen ist, saß wenige Monate später mit rot verweinten Augen vor seinem Bankberater. Der hatte natürlich auch ins gleiche Horn geblasen und beruhigte den Anleger jetzt mit den Worten: "Das müssen Sie langfristig sehen. In Zukunft kann es mit den Lebensmittelpreisen nur nach oben gehen."

Gefährliche Spekulation mit Lebensmitteln

Natürlich hofft er, dass seine Kunden es langfristig sehen - mindestens so lange, bis er die Zweigstelle gewechselt hat, bevor ihnen der Kragen platzt.

Noch ein Wort zur Spekulation mit Lebensmitteln: Ich halte es für einen der größten Skandale unserer freien Wirtschaftswelt, dass hemmungslose Spekulation mit Grundnahrungsmitteln überhaupt möglich ist. Wenn ich Aktien kaufe, stelle ich der Aktiengesellschaft Geld zur Verfügung, damit sie Ertrag erwirtschaftet und im Idealfall auch noch Arbeitsplätze schafft und die Wirtschaft insgesamt voranbringt.

Das nenne ich investieren, um etwas zu schaffen und weiterzuentwickeln. Wenn ich Öl oder Gold kaufe, in der Hoffnung, dass die Preise steigen, dann ist das kein Investieren, sondern Spekulieren.

Ich wette nur auf den Preisanstieg. Wenn viele Marktteilnehmer Gold kaufen, weil sie auf einen steigenden Goldpreis wetten, steigt die Nachfrage, und der Goldpreis schießt tatsächlich in die Höhe. Daraus entsteht jedoch kein großer Schaden, außer dass Gold für die Industrie teurer wird oder auch die Schmuckhersteller ihre Preise anheben müssen. Das tut niemandem wirklich weh. Aber wenn ich mit Grundnahrungsmitteln spekuliere, sieht die Sache ganz anders aus.

Stellen Sie sich folgendes Szenario vor: Wir legen alle jeweils nur 100 Euro im Monat als Sparrate in einen Rohstofffonds. Da kommen weltweit einige Milliarden zusammen.

Der Rohstofffonds kauft dann am Terminmarkt Weizen oder Reis. Daraufhin steigt der Reispreis. Nicht weil ich den Reis essen will, sondern nur weil ich mir mal eben einige Tonnen virtuell in die Garage gepackt habe, um sie später zu einem höheren Preis an die Hungernden zu verkaufen.

Ich kaufe also mit meinem Rohstoffinvestment an der gleichen Börse den gleichen Reis wie die Familie in Indonesien. Für die Familie macht es der Großhändler, für mich der Fondsmanager. Das Problem der Hungernden in diesen Ländern besteht nicht darin, dass kein Reis da ist, sondern darin, dass sie ihn sich nicht leisten können, weil er zu teuer ist. Und ich bin derjenige, der den Preis mit nach oben treibt, um dann am Elend und der Not dieser Menschen zu verdienen.

Auf der nächsten Seite: Wie Rohstofffonds die Lebensmittelpreise treiben.

Tödliche Geschäfte

Ich gebe Ihnen ein anschauliches Bild: In einer abgelegenen Gegend steht ein einziger Stand mit Lebensmitteln. Davor befindet sich eine Schlange hungriger Menschen, die darauf hoffen, dass ihre wenigen Münzen ausreichen, um die mitgebrachte Reisschale zu füllen.

Da kommt der reiche Spekulant von hinten angerannt und schreit: "Ich kaufe den ganzen Stand!" Danach erhöht er die Preise um 50 Prozent und freut sich diebisch über seinen Profit, während die Menschen in der Schlange enttäuscht und mit nur halb gefüllten Reisschalen zu ihren wartenden Kindern zurückgehen.

Fürs Atmen bezahlen

Genau das tun wir im Prinzip, wenn wir mit Grundnahrungsmitteln zocken. Daher bin ich ausdrücklich für ein striktes Verbot von Spekulationsgeschäften jeder Art mit den Grundnahrungsmitteln Weizen, Reis, Mais, Getreide und - schon mal vorsorglich für die Zukunft - Trinkwasser.

Im August 2008 hat die ARD den international vielfach ausgezeichneten Dokumentarfilm "We Feed the World" von Erwin Wagenhofer ausgestrahlt, in dem ein Vorstand eines der größten Nahrungsmittelkonzerne der Welt darüber schwadroniert, dass es kein Grundrecht der Menschen auf kostenloses Trinkwasser gebe.

Trinkwasser sei ein Produkt wie jedes andere, und dafür müssten die Menschen in Zukunft eben bezahlen. Wenn es sich manche nicht leisten könnten, wäre das nicht sein Problem. Zumindest sinngemäß hat er das gesagt.

Es scheint also nur eine Frage der Zeit zu sein, bis auch Trinkwasser auf Termin gehandelt wird. Was kommt als Nächstes? Saubere Atemluft? Einmal kurz einatmen für drei Cent, einmal tief durchatmen für zehn Cent? Wie pervers kann unser System noch werden?

Was ist zu abwegig, um es sich vorzustellen? Es ist absolut nichts dagegen einzuwenden, wenn Landwirte ihre Ernte auf Termin an ihre Abnehmer verkaufen, um die Erträge frühzeitig kalkulieren zu können. Alle Vereinbarungen zwischen Lieferanten und Produzenten über jetzige und künftige Abnahmepreise sind vollkommen in Ordnung. Natürlich soll sich auch der Preis für Lebensmittel nach Angebot und Nachfrage richten. Aber nach echter Nachfrage. Nach Nachfrage von Essern.

Die Milliarden von Dollar, Euro und Yen, die nur zu Spekulationszwecken in diese Märkte fließen, haben dort schlichtweg nichts verloren. Gibt es in dieser Welt mit Abertausenden von Anlagemöglichkeiten nicht auch für Sie eine Alternative zu Ihrem Investment in Grundnahrungsmittel? Bei allem Streben nach Gewinn und Rendite sollten doch Ethik und Moral auch noch eine Rolle spielen. Sonst sind wir nicht besser als die, die wir hier so hart kritisieren. Lassen Sie uns die Welt ein klein wenig besser machen, wo wir die Möglichkeit dazu haben.

Der Text ist ein Auszug aus dem Buch "C(r)ashkurs - Weltwirtschaftskrise oder Jahrhundertchance? Wie Sie das Beste aus Ihrem Geld machen" von Dirk Müller, es ist kürzlich bei Droemer erschienen. Müller, besser bekannt als Mr. Dax, ist Deutschlands prominentester Kursmakler

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