Celle:Alle Mieter müssen raus

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2019 findet das 100-jährige Gründungsjubiläum des Bauhauses statt. Aber nicht überall gibt es einen Grund zum Feiern - der Siedlung des Neuen Bauens in Celle droht der Abriss.

Von Joachim Göres

Wenn im kommenden Jahr 100 Jahre Bauhaus gefeiert wird, stehen vor allem Weimar und Dessau im Mittelpunkt, wo die Bauhausbewegung ihren Ursprung hatte. Neben avantgardistischen Einzelgebäuden entstanden zahlreiche Siedlungen des Neuen Bauens, die in den 20er- und 30er-Jahren angesichts großer Wohnungsnot und Armut die Lebenssituation der Menschen verbessern sollten. Niedrige Mieten wurden durch die Nutzung neuer Materialien erreicht, durch vorgefertigte Serienteile und durch den Verzicht auf Ornamente. In Berlin tragen heute unter anderem die Hufeisensiedlung, die Großsiedlung Siemensstadt, die Weiße Stadt und die Wohnstadt Carl Legien den Unesco-Welterbetitel, wie auch einzelne Häuser des Architekten Le Corbusier in der Stuttgarter Weißenhof-Siedlung.

Während es 2019 wegen des runden Jubiläums vermutlich mehr Besucher als sonst an diese besonderen Orte ziehen wird, könnte eine einzigartige Siedlung bis dahin verschwunden sein: Der 1930 in Celle nach Plänen des Architekten Otto Haesler erbauten Siedlung Blumläger Feld, die damals wegen der neuartigen Stahlskelettkonstruktion und der niedrigen Baukosten international für Aufsehen sorgte, droht der Abriss.

Die städtische Wohnungsbaugesellschaft (WBG) als Eigentümer fordert ihre Mieter in den Haesler-Blocks im Blumläger Feld Nord auf, bis zum 31. August die Wohnungen zu räumen. "Die Standsicherheit sämtlicher WBG-Gebäude im Vogelsang, Rosenhagen und Galgenberg 20 ist durch Korrosion des Stahlgerüstes gefährdet", hieß es zur Begründung in einem Schreiben an die Mieter Ende 2017. Im Dezember wurden dann in sämtliche Wohnungen Stützen eingebaut. Nach der Stellungnahme eines Statikers schreibt die WBG in einem weiteren Brief in diesem Jahr: "Wie Sie wissen, ist auch eine Notabstützung nur ein Provisorium und nicht von Dauer. ...Ab dem 1. 9. 18 haben alle Wohnungen aus Sicherheitsgründen als unbewohnbar zu gelten. ...Wegen des erheblichen Sanierungsaufwandes ist noch nicht entschieden worden, ob die Immobilie abgerissen oder saniert wird."

Die Schäden am Stahlskelett der Gebäude wurden bei Vorarbeiten für die eigentlich geplante Sanierung entdeckt. "Das Skelett ist marode, jede Stichprobe war unzufriedenstellend", sagt WBG-Mitarbeiter Viktor Jäger und fügt hinzu: "Man muss alle Wände aufmachen, um ans Stahlskelett ranzukommen." Die Fassade der Gebäude ist schon seit vielen Jahren heruntergekommen. "Wir wollen schon seit 15, 20 Jahren sanieren, jedes Mal wurden uns Steine in den Weg gelegt", so Jäger - was er damit genau meint, lässt er offen.

"Es gibt gleichalte Siedlungen von Haesler in anderen Städten, die denkmalgerecht saniert sind."

Nach den Worten von Eckart Rüsch vom niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege wird die genauere Untersuchung eines Gebäudes vorbereitet. "Aus den bisherigen Proben kann man nicht sagen, wie groß die Schäden sind. Von den Ergebnissen der Untersuchung an einem Musterhaus hängt es ab, wie es danach weitergeht", sagt Rüsch. "Das Mauerwerk hält die Feuchtigkeit nicht ab. Die Gebäude im Blumläger Feld sind mit Sicherheit nicht für 90 Jahre gebaut worden", sagt der Architekt Michael Wagner, der die Schäden festgestellt hat.

"Es gibt gleichalte Siedlungen von Haesler in anderen Städten, die denkmalgerecht saniert und gut erhalten sind wie die Rothenberg-Siedlung in Kassel. Die Pflege ist das A und O, daran hat es in Celle gemangelt", entgegnet die Potsdamer Bauhistorikerin Simone Oelker. Ihr ist kein vergleichbarer Fall bekannt, bei dem wegen Schäden eine Siedlung des Neuen Bauens abgerissen wurde. Auch Experten beim Bauhaus-Archiv in Berlin sprechen davon, dass ein Stahlskelett eine hervorragende Konstruktion sei und bei ordentlicher Instandhaltung keine Korrosionsgefahr bestehe.

38 Siedlungen des Neuen Bauens aus den 20er- und 30er-Jahren bestehen in Deutschland nach einer Aufstellung des Leipziger Leibniz-Institutes für Länderkunde, die meisten davon in Berlin (11), gefolgt von Frankfurt (4), Magdeburg, Celle (je 3), Leipzig, Erfurt, Stuttgart (je 2) sowie München, Dessau, Köln, Hamburg, Gera, Dresden, Rathenow, Bad Dürrenberg, Kassel, Karlsruhe und Hermsdorf. "Ab den 70er-Jahren war man sich des Wertes dieser Siedlungen bewusst, die großen Anlagen werden gepflegt", sagt Mark Escherich, Amtsdenkmalpfleger in Erfurt. Er nennt als positive Beispiele Hamburg-Jarrestadt (Architekt Karl Schneider) und Karlsruhe-Dammerstock (Walter Gropius/Otto Haesler).

Escherich, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Bauhaus-Universität Weimar mit dem Schwerpunkt Denkmalpflege für Architektur und Städtebau der Moderne, betont: "In der DDR blieben die Siedlungen von Sanierungen verschont, was dazu führt, dass man bis heute hier noch oft die originalen Fenster und den Ursprungsputz findet, im Gegensatz zum Westen." Er weiß um die Schwierigkeiten beim Erhalt angesichts gestiegener Anforderungen beim Einsparen von Energie. "Der Putz erfüllt nicht den energetischen Standard, er ist aber zum Beispiel in Dessau zwingender Teil des Baudenkmals. Bei nicht so prominenten Siedlungen wie zum Beispiel in Erfurt wird eher überlegt, ob man einen Wärmedämmputz benutzt, der aber optisch nicht mehr dem Original entspricht", sagt Escherich. Zu den typischen Schwachstellen gehören nach seiner Erfahrung die in Siedlungen des Neuen Bauens verbreiteten Laubengänge sowie die Vordächer, an denen das Wasser nicht abläuft.

Die Entwicklung in Celle sieht er mit Sorge: "Haesler gehört mit Gropius, Scharoun und van der Rohe in die erste Reihe der bedeutenden Architekten des Neuen Bauens. Nicht zuletzt, weil er mit der Stahlskelettkonstruktion experimentiert hat, die relativ selten im Neuen Bauen eingesetzt wurde. Sie hat sich nicht durchgesetzt, war aber für die bautechnische Entwicklung wichtig. Deswegen wäre der Erhalt dieser Gebäude von großer Bedeutung."

Bei einer Sanierung würde der Quadratmeterpreis von derzeit gut vier Euro auf 14,50 Euro steigen

Umso gravierender, dass die WBG in Celle 2005 bereits den größten Teil der Siedlung Blumläger Feld abreißen ließ - die Gebäude waren intakt, aber der Eigentümer sah keinen Bedarf an kleinen Mietwohnungen, die heute sehr gefragt sind. Jetzt droht das Ende für die übrigen 52 Wohnungen in innenstadtnaher Lage, die sich wegen der günstigen Miete sowie den angrenzenden Gärten großer Beliebtheit erfreuen. Sollte es zu einer Sanierung kommen, würde nach WBG-Berechnungen der Quadratmeterpreis von derzeit gut vier Euro auf 14,50 Euro steigen. Das hätte nichts mehr mit dem Grundgedanken zu tun, über den die Haesler-Initiative schreibt: "Haesler hatte mit dieser Siedlung sein Ziel erreicht, indem er mit rationellen Baumethoden kostengünstigen Wohnraum für die minderbemittelte Bevölkerung geschaffen hatte. In der Weimarer Republik ist keine vergleichbare Siedlung entstanden."

Dass Celle letztlich kein Einzelfall ist, zeigt die Geschichte des August-Bebel-Hofes in Braunschweig. 1930 wurden am Rande der Stadt 450 Wohnungen in dreistöckigen Blocks mit weißer Fassade und Flachdach nach Plänen des Architekten Friedrich Ostermeyer errichtet. Großzügige Grünflächen und eine Nord-Süd-Ausrichtung sollten Licht und Luft in die für finanzschwache Bevölkerungsschichten geplante Siedlung bringen, mit Wohnungen zwischen 48 bis 68 Quadratmetern, mit Zentralheizung und Bad. Die Siedlung wurde von der nationalsozialistischen Presse als "Denkmal roter Überheblichkeit, das sich baulich als eine widerwärtige Massenansammlung syrischer Wohnhöhlen darstellt" verunglimpft. Doch nicht die Nazis, die das Neue Bauen immer bekämpft hatten, zerstörten den Charakter der Siedlung - die heutige Form mit einem zusätzlichen Stockwerk, mit Satteldach und dunklem Putz bekam der Bebel-Hof 1956. Aus wirtschaftlichen und gestalterischen Gründen, so die Begründung des Besitzers, der Nibelungen-Wohnungsbaugesellschaft.

© SZ vom 29.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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