Süddeutsche Zeitung

Bunker:Zwei Meter Wand

Immer mehr Bunker werden in extravagante Immobilien umgebaut. Für Architekten ist das eine besondere Herausforderung - aber auch für die späteren Bewohner.

Von Steve Przybilla

Nackter Beton. Massiv, wuchtig, grau. So dick, dass selbst eine mit Kunstdiamanten besetzte Säge mehrere Tage braucht, um ein einzelnes Stück herauszutrennen. "Als Architekt ist das schon eine besonders spannende Aufgabe", sagt Robert Tyborski, während er sein aktuelles Bauprojekt inspiziert: einen Hochbunker in Düsseldorf, erbaut 1943, ausgelegt für mehr als 2000 Personen. Die bis zu 2,5 Meter dicken Wände sollten im Zweiten Weltkrieg den alliierten Bomben trotzen. Fast 80 Jahre später hat die modernste Technik noch immer Mühe, das imposante Bauwerk zu knacken.

"Das Gebäude war in einem erstaunlich guten Zustand", sagt Tyborski. Der Bunker sei 1999 vom Staat noch einmal ertüchtigt worden, nur um kurz darauf dann doch aufgegeben zu werden. "Notstrom-Aggregate, Lüftungsanlagen, Toiletten - alles voll funktionsfähig", sagt der Architekt. Vieles davon kann er leider trotzdem nicht gebrauchen: Ein Treppenhaus musste schon weichen, ebenso ein ummantelter Luftfilter. "Insgesamt haben wir 350 Tonnen Beton abtransportiert", sagt Tyborski. Dafür sei ein neuer Aufzugsschacht entstanden, der im gleichen Grau schimmert wie die Originalwände. "Alles sehr aufwendig", sagt der Architekt, "aber es lohnt sich."

2000 Bunker

wurden in etwa bis Mitte 1943 gebaut. Am 10. Oktober 1940 hatte Adolf Hitler per "Führererlass" das sogenannte Luftschutz-Sofortprogramm angeordnet. Dadurch sollte der Zivilbevölkerung in Städten ab 100 000 Einwohnern ein "absoluter Volltrefferschutz" geboten werden. Material und Arbeitskräfte reichten jedoch bei Weitem nicht aus, um diese Vorgabe zu erfüllen. Zu Zeiten des Kalten Krieges wurden viele Weltkriegsbunker ertüchtigt - unter anderem, um sie gegen atomare Bedrohungen zu rüsten. In den vergangenen Jahren wurden viele Bunker erkauft. Sie werden als Kulturräume, Gewerbeimmobilien oder Wohnungen genutzt. Steve Przybilla

Warum es sich lohnt, wird klar, wenn man die Baupläne betrachtet. Die unteren Geschosse sollen sich in ein Kulturzentrum verwandeln, in dem Konzerte, Lesungen und Ausstellungen stattfinden. Hinzu kommen Proberäume für Bands sowie ein Fahrradparkhaus. Auf dem Dach des Bunkers entstehen fünf Eigentumswohnungen. "Durch die Vermarktung der Immobilien können wir den Umbau des Bunkers finanzieren und damit auch das kulturelle Leben unterstützen", erklärt Tyborski. Mit dem Konzept sicherte sich der Investor außerdem Bundesmittel in Höhe von 960 000 Euro - und das Wohlwollen der Anwohner. Denn diese hatten sich in einer Bürgerinitiative stets für den Erhalt "ihres" Bunkers ausgesprochen.

Dabei ist Düsseldorf längst nicht die einzige Stadt, in der leer stehenden Bunkern neues Leben eingehaucht wird. So hat der Bund seit 2005 fast 300 Hochbunker verkauft, die sich zuvor in staatlichem Besitz befanden. Eine Behörde, die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima), kümmert sich um die Vermarktung der außergewöhnlichen Objekte, zu denen nicht nur Bunker, sondern etwa auch der (inzwischen verkaufte) "Koloss von Prora" zählen. Meist geht es dabei um die Schaffung von Wohnraum, manchmal haben die neuen Eigentümer allerdings auch andere Pläne. Erst im vergangenen Jahr stürmte die Polizei einen Bunker in der Eifel, in dem Cyberkriminelle ein hochmodernes Datenzentrum betrieben.

Das sind freilich Ausnahmen. Die meisten Bunker, die die Bima verkauft hat, werden in Wohnungen verwandelt, manche auch in Hotels (München), Kraftwerke (Hamburg) oder Museen (Schweinfurt). "Die Nachfrage ist extrem gestiegen", bestätigt Lars Drewes, der sich bei der Bima um die Bunker-Vermarktung kümmert.

Vor allem in Bremen haben die Käufer zugeschlagen: Von den ursprünglich 60 Bunkern seien heute nur noch fünf auf dem Markt. Insgesamt stünden aktuell 90 Bunker zum Verkauf, die meisten in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. Dass es so gut läuft, führt Drewes auch auf den technischen Fortschritt zurück. "Bis vor wenigen Jahren war es kaum möglich, Fenster in meterdicke Betonwände zu schneiden", sagt der Experte. Inzwischen gebe es Firmen, die sich darauf spezialisiert hätten.

Um die Betonklötze loszuwerden, hat sich der Staat einiges einfallen lassen. So betreibt die Bima nicht nur eine eigene Website ("Faszination Bunker"), sondern gibt auch Broschüren und ein eigenes Buch ("Bunker beleben") heraus. Sogar ein "Bunker-Quartett" gehört zum Repertoire des staatseigenen Betriebs. Das Kartenspiel umfasst Fotos und Eigenschaften der Gebäude, die aktuell zum Verkauf stehen. "Bunker kann man eben nicht wie Brot verkaufen", sagt Drewes, da brauche es schon ein geeignetes Konzept. Manche Kommunen seien zum Beispiel dringend auf der Suche nach einem Ort, an dem sie Akten lagern können. Andere kämpften um jeden Zentimeter Wohnraum und machten es Investoren daher zur Auflage, einen Teil des Bunkers in Sozialwohnungen umzuwandeln, so etwa in Hamburg.

Verkauft werden die Bunker in einem Bieterverfahren: Das höchste Angebot gewinnt. Wobei die Preise je nach Lage und Zustand stark schwanken. "Wir haben Objekte im Portfolio, die für 20 000 Euro zu haben sind", sagt Drewes. "Andere kosten vier Millionen." Wer zuschlage, müsse jedoch gut kalkulieren: "Ein solches Gebäude umzubauen, ist oft um ein Vielfaches teurer, als es einfach abzureißen", warnt Drewes. Es gebe durchaus Unternehmen, die sich an einem Bunker verhoben hätten und inzwischen insolvent seien.

Doch was bringt Menschen überhaupt dazu, in ein solches Bauwerk zu ziehen? In ein Gebäude, das trotz aller Modernisierungen immer noch die Schrecken des Krieges symbolisiert? Für Lars Drewes ist die Antwort klar: "Bunker sind etwas Besonderes." Während Familien sich hinter meterdicken Wänden gut behütet fühlten - gewissermaßen der heimische SUV-Effekt -, fänden es andere einfach nur hip, im Bunker zu wohnen. Auch er selbst gehört dazu. "Der Baustoff Beton fasziniert mich", sagt Drewes. "Außerdem bieten Bunker eine extrem große Spielwiese, was die Nutzung angeht." Am Ende ist er trotzdem nicht eingezogen - seine Verlobte pochte auf eine Wohnung, die näher am Arbeitsplatz liegt.

Sebastian Herchet, 30, und Patrik Kolbe, 35, haben den Schritt schon vollzogen. Zusammen mit Labrador Kalle lebt das Paar seit 2017 als Mieter in einem Bonner Hochbunker. "Wir wollten zusammenziehen und sind bei der Suche zufällig darauf gestoßen", erzählt Herchet. Für Bonner Verhältnisse findet er die Mietpreise im Bunker passabel: zehn Euro kalt pro Quadratmeter. "Es ist eben keine 08/15-Wohnung", ergänzt Kolbe. "So blöd das klingt, aber die dicken Wände vermitteln eine bestimmte Geborgenheit. Hier wackelt nichts, wenn draußen der Sturm tobt. Hier hat man seine Ruhe. Und der Balkon hält was aus, auch wenn 30 Leute zu Besuch sind."

Von außen sieht man dem Gebäude seinen früheren Zweck nicht an. Die Wände sind mit Efeu bewachsen, die Eingangstür besteht aus Holz. Erst das Treppenhaus offenbart den Luftschutz-Charakter: Eine dicke rote Stahltür erinnert an früher, ebenso ein Foto, das den Bunker im Originalzustand zeigt. Zwei Pfeile sind an die Wände gemalt, einer weist zum Treppenhaus, der andere zum Aufzug - der direkt in die jeweiligen Wohnungen fährt. In der Wohnung selbst ist ein Teil der Decke unverputzt. Die Stelle, an der die meterdicken Seitenwände zu Gunsten von Fenstern aufgefräst wurden, fällt kaum auf. Ein Sessel und eine Zimmerpflanze stehen dort, eine ganz normale Lese-Ecke.

Es sind vor allem persönliche Begegnungen, die die aktuellen Bewohner an die Vergangenheit ihres Hauses erinnern: Freunde, die zum ersten Mal zu Besuch kommen und sich neugierig umschauen. Nachbarn, die fragen, wie es sich in einem Bunker so wohnt. Und dann ist da noch die Putzfrau. "Sie ist eine Ur-Bonnerin und erzählt manchmal von früher", sagt Herchet. "Den Krieg hat sie nicht mehr miterlebt, aber sie hat als Kind oft in dem leer stehenden Bunker gespielt, genau hier, wo wir jetzt wohnen." In solchen Momenten komme man schon ins Grübeln, sagt Herchet. Ansonsten fielen ihnen die meterdicken Betonwände kaum noch auf.

Gibt es auch Nachteile im Bunker? Die beiden Mieter überlegen. "Manchmal beschlagen die Fenster", sagt Patrik Kolbe, was er aber eher als Kleinigkeit betrachtet.

"Bohren ist die Hölle", ergänzt Sebastian Herchet. Doch selbst das habe seine Vorteile: "Was einmal drin ist, bleibt drin. Und zwar für immer."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4995832
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 15.08.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.