Bundesrechnungshof zur Mehrwertsteuer:Vernichtendes Zeugnis für Schwarz-Gelb

Anfällig für Betrug, ungeheuer bürokratisch und ein Verstoß gegen geltendes EU-Recht: Rechnungshof-Präsident Engels kritisiert die Mehrwertsteuer - und die Untätigkeit der Regierung bei deren Reform. Kein einziges Vorhaben sei umgesetzt worden. Dem Staat entgehen Milliarden.

Von Guido Bohsem, Berlin

Natürlich gab es auch Erfolge bei der Reform der Mehrwertsteuer. Natürlich war die schwarz-gelbe Koalition nicht völlig untätig. Das räumt auch der Präsident des Bundesrechnungshofes ein: zum Beispiel die Sache mit den Schifffahrten. Die immerhin wurde geregelt, schreibt Dieter Engels. Dort galt bis Ende 2011: Wer mit dem Schiff befördert wird, zahlt den ermäßigten Mehrwertsteuersatz. Es sollte eine Übergangsregelung sein. 27 Jahre lang wurde sie immer wieder verlängert. Union und Liberale ließen sie auslaufen.

Das war's dann aber auch mit dem Lob. Für so ziemlich jeden anderen Aspekt, der mit der Mehrwertsteuer zu tun hat, stellt der Rechnungshof-Präsident der Koalition ein vernichtendes Zeugnis aus. "Kein einziges Reformvorhaben wurde entscheidend voran gebracht", schreibt Engels in einem Bericht an den Haushaltsausschuss.

Das Finanzministerium habe Empfehlungen des Rechnungshofes nicht umgesetzt. Die eigens zur Reform der Mehrwertsteuer eingerichtete Kommission habe bis heute nicht getagt, obwohl ihre erste Sitzung für den 23. Februar 2011 angesetzt war. Dabei wird es vorerst bleiben. Die Regierung hat eingeräumt, dass es in dieser Legislaturperiode keine Änderungen mehr an der Mehrwertsteuer geben wird.

Es drohen Strafen von der EU

Diese Untätigkeit hat nach Engels Meinung verheerende Konsequenzen. Denn die Mehrwert- oder auch Umsatzsteuer ist mit einem Aufkommen von etwa 140 Milliarden Euro die wichtigste Einnahmequelle des Staates. Durch den katastrophalen Zustand des Umsatzsteuer-Gesetzes entgehe Bund, Ländern und Gemeinden in jedem Jahr ein hoher einstelliger Milliardenbetrag, schreibt Engels - Geld, für das sich der Staat weiter verschulden muss.

Doch nicht nur auf diese Weise entsteht dem Land durch die Reformmüdigkeit ein großer Schaden. Nach Engels Worten drohen inzwischen immer öfter hohe Strafen durch die EU, und es entsteht ein unangemessen hoher Bürokratieaufwand. Das liegt vor allem an der Einteilung in Dinge, die mit dem regulären Steuersatz von 19 Prozent besteuert werden und in solche, auf die nur der ermäßigte Satz von sieben Prozent fällig ist.

So chaotisch ist die Mehrwertsteuer geregelt

Ein paar Beispiele: Für Lebensmittel gilt der ermäßigte Satz, es sei denn, es geht um Luxusartikel. Trotzdem werden auch Feinschmeckerprodukte wie Gänseleber, Froschschenkel, Wachteleier, Süßwasserkrebse, Riesengarnelen und Schildkrötenfleisch begünstigt. Auf frische Trüffel sind sieben Prozent fällig, sind sie in Essig eingelegt, gilt der hohe Satz. Ermäßigt besteuert wird ungesunder Kram wie Schokolade, Speiseeis und Kartoffelchips. Mineralwasser hingegen: voller Satz.

Unterschiede gibt es sogar bei eigentlich identischen Produkten. Beim Adventskranz gilt nur dann der niedrige Satz, wenn "frisches Material charakterbestimmend ist". Wird er dagegen aus Trockenpflanzen hergestellt, zahlt man 19 Prozent Umsatzsteuer. Das Finanzministerium weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass "Trockenmoos durch Anfeuchten nicht wieder zu frischem Moos wird" - es könnte ja einer auf dumme Gedanken kommen.

Auf 140 Seiten haben die Finanzbeamten einzelne Produkte in ein Mehrwertsteuer-Raster einsortiert. "Teilweise mutet die Abgrenzung willkürlich an", schreibt der Rechnungshof - und leistet sich damit die Untertreibung des Jahres.

Engels fordert deshalb, den Katalog gründlich auszumisten. Zudem müsse es ein EU-einheitliches Kontrollverfahren geben, um die grenzüberschreitenden Betrügereien mit der Mehrwertsteuer zu verhindern. Daten sollten automatisch abgeglichen werden. Bereits vor sieben Jahren habe der Rechnungshof ausführliche Reformvorschläge vorgelegt. Nichts davon sei bislang angegangen worden. Außer eben der Sache mit den Schifffahrten.

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