Süddeutsche Zeitung

Büros:Dann eben an den Rand

In vielen Städten finden Unternehmen kaum noch geeignete Flächen. Sie müssen daher zunehmend auf Nebenlagen ausweichen.

Von Susanne Osadnik

In Kreuzberg kennt man das Haus gut. Es ist alt, seine Fassade heruntergekommen. Einst wurde es für die Victoria Versicherung gebaut. Das war im 19. Jahrhundert, als Zentralheizung und Kantine in einem Bürogebäude noch ein Novum waren. Sehr viel später saßen hier auch mal die Senatoren für Stadtentwicklung. Gleich nach der Wende, als man die "neue" Hauptstadt plante. Jetzt soll der einstige Prachtbau wieder schick gemacht werden. Die Firma Cresco Capital plant, den Gründerzeitkomplex um ein neues Gebäude zu erweitern und in ein Hotel- und Bürogebäude zu verwandeln. Im nördlichen Teil planen die Architekten von GBP "großzügige Coworking-Räumlichkeiten". Jede Menge Büros also, in denen unterschiedliche Mieter nebeneinander arbeiten können und nur für die genutzte Zeit ihren Obolus leisten.

Mittlerweile gibt es an der Spree mehr als hundert solcher "Coworking-spaces". Freiberufler, Arbeitsnomaden und Start-ups schätzen es, tage- oder wochenweise Arbeitsplätze mieten zu können. Und selbst Vertreter der "old economy" wie American Express, Ernst & Young oder die Berliner Verkehrsbetriebe nutzen diese neue Form des Büroalltags. Inzwischen macht Coworking laut dem Immobiliendienstleister Savills drei Prozent des Büroflächenumsatzes in Berlin aus, Tendenz steigend. Auch in Hamburg werden demnächst in einem ehemaligen Fabrikgebäude auf 7500 Quadratmeter offene Arbeitsbereiche, Einzelbüros, Veranstaltungsräume sowie Wohnungen gebaut, für Geschäftsleute, die "Flexibilität und Komfort" suchen. In München gibt es ebenfalls schon Hunderte solcher Arbeitsplätze. Zurzeit bereitet der weltweit größte Anbieter für Coworking-spaces, das New Yorker Start-up "Wework", seinen Markteintritt in Bayerns Landeshauptstadt vor.

Wie viel traditionellen Büroraum braucht man eigentlich noch in den deutschen Metropolen? Der Pro-Kopf-Bedarf an Fläche sinkt seit Jahren; Büroarbeit wird immer flexibler, Banken und Versicherungen reduzieren ihre Mitarbeiterzahlen. Alles richtig, sagt Matthias Pink. "Reine Büroprojekte sehen wir in der Tat immer seltener, der Trend zu gemischt genutzten Gebäuden nimmt zu", sagt der Researcher von Savills. "Dennoch benötigen wir in den kommenden fünf Jahren noch dringend mehr klassischen Büroraum. In manchen Städten ist es jetzt schon problematisch, geeignete Flächen zu finden. Und das wird in diesem Jahr nicht besser werden."

Allein 2016 sind in Hamburg, München, Frankfurt, Düsseldorf, Köln, Berlin und Stuttgart fast vier Millionen Quadratmeter Bürofläche vermietet worden - zwölf Prozent mehr als im Vorjahr und etwa ein Viertel mehr als im Durchschnitt der Jahre 2007 bis 2016. Entsprechend sinken die Leerstandsquoten. Laut der Gesellschaft für Immobilienwirtschaftliche Forschung (gif) stehen mittlerweile im Durchschnitt nur noch fünf Prozent der Büroflächen leer, 2015 waren es noch 5,9 Prozent. Es kommen zwar nach Angaben von Colliers International in diesem Jahr deutschlandweit 878 000 Quadratmeter an neuen Flächen dazu - aber schon 69 Prozent davon sind vermietet. Für 2018 sei schon die Hälfte der mehr als eine Million Quadratmeter Büroneubau vergeben.

Urban, zentral und gut erreichbar - so sieht der gewünschte Standort aus

Frankfurt steht noch am komfortabelsten dar. Aufgrund von Revitalisierungen alter Büroflächen und spekulativem Neubau gibt es hier noch mehr Reserven als andernorts. Immerhin konnte Frankfurt (inklusive Eschborn und Offenbach Kaiserlei) laut Colliers International 2016 etwa 552 000 Quadratmeter Fläche umsetzen - ein Plus von 42 Prozent. Damit ist das Angebot um weitere fast 70 000 Quadratmeter gesunken; mehr als eine Million Quadratmeter stehen aber immer noch leer. Gerangelt wird indes um die modernen Büroobjekte: Die im vergangenen Jahr 130 000 Quadratmeter neu fertiggestellten Flächen sind schon zu 70 Prozent durch Mieter oder Eigennutzer belegt. In München sieht es nicht besser aus. Da bangt die Branche, dass es 2020 fast überhaupt kein Angebot mehr geben könnte. "Auf jeden Fall werden wir beim Leerstand eine Null vor dem Komma sehen", ist Peter Bigelmaier, Büromarktchef von Colliers International Deutschland, überzeugt. Denn einer Prognose des Forschungsinstituts Empirica zufolge wird München bis 2030 etwa 100 000 Bürobeschäftigte mehr haben als heutzutage - und damit gut zwei Millionen Quadratmeter mehr Bedarf an Arbeitsflächen.

Wie robust die deutsche Wirtschaft eingeschätzt wird, zeigt sich auch andernorts: In Stuttgart wurden dem Immobiliendienstleister JLL zufolge 2016 etwa 400 000 Quadratmeter Bürofläche vermarktet, in Köln waren es 435 000 Quadratmeter und in Hamburg mehr als 500 000 Quadratmeter Bürofläche. Gut die Hälfte davon entfiel auf citynahe Lagen. Innenstadt-Standorte sind nach wie vor ein Dauerbrenner, nicht nur in Hamburg, weiß Stephan Leimbach, neuer Bürovermietungschef bei JLL Deutschland. "Wer in der Münchner Innenstadt Flächen sucht, wird dort zurzeit genauso wenig fündig wie in den angesagten Kiezen Berlins."

Weil sie nichts finden, müssen manche Firmen ihre Umzugspläne auf Eis legen

Urban, zentral, mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut erreichbar - da wollen immer noch alle hin, und deshalb ist nicht mehr viel drin. "Wir haben durchaus Kunden, die den Umzug verschoben und zunächst im Bestand verlängert haben", berichtet Leimbach. "Zum einen, weil das Angebot an passenden Flächen zu knapp ist, zum anderen, weil sie sich angesichts des Mietniveaus bei Neuvermietungen verschlechtert hätten - das gilt insbesondere für Berlin." In der Bundeshauptstadt, wo mit 863 000 Quadratmetern vermieteter Bürofläche der Vorjahresrekord gebrochen wurde, ist die Spitzenmiete innerhalb eines Jahres um 17,3 Prozent gestiegen und liegt aktuell bei 28,50 Euro pro Quadratmeter. Damit befindet sich Berlin hinter Frankfurt, wo man 37,50 Euro in der Spitze zahlt. Dazwischen behauptet sich München mit 35 Euro pro Quadratmeter.

Überall reagieren Unternehmen in Anbetracht der Flächenknappheit mit Ausweichen in die nächstbeste Lage oder auch in deutlich außerhalb gelegene Teilmärkte. Am deutlichsten ist die Verschiebung in die Peripherie in München zu beobachten: Mehr als ein Viertel des Flächenumsatzes entfiel laut Savills auf Stadtrandlagen wie Obersendling und auf Lagen wie Unterschleißheim oder Haar. Infolge der erhöhten Marktaktivität ist allerdings auch in diesen "Ausweichquartieren" das Flächenangebot zurückgegangen, und die Mieten haben zugelegt: "Die durchschnittliche Miete im Münchener Teilmarkt Stadtrand Nord stieg innerhalb des letzten Jahres um 5,5 Prozent auf 14,35 Euro und damit deutlich stärker als die Durchschnittsmiete des Gesamtmarktes München", sagt Researcher Pink.

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Quelle:
SZ vom 10.03.2017
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