Bürgerstiftungen in Deutschland:"Jeder kann zum Stifter werden"

Orte zum Spielen und Lernen sind in sozialen Brennpunkten oft rar. Wo der Staat überfordert ist, springen immer öfter Bürgerstiftungen ein. Auch weniger reiche Bürger können so nachhaltig spenden. Doch nicht alle Stiftungen arbeiten professionell.

Kristina Läsker

Lautes Johlen dröhnt durch die Turnhalle, etwa 30 Kinder rennen umher. Hinten auf dem Trampolin hüpfen zwei Jungs. Vorne seilt sich ein Kind von der Decke ab, und in der Mitte schwingt ein Reifen umher, der an einem langen Seil hängt. In dem Ungetüm aus Gummi schaukelt ein Mädchen mit schwarzen Rasta-Zöpfchen: "Hier kann man toll toben", sagt sie. Die Kleine heißt Barbara, ist "fast elf Jahre" alt und kommt aus Ghana. Aufgewachsen ist sie im Hamburger Stadtteil Veddel, der sich über drei Inseln der Elbe erstreckt. "Zuhause ist kaum Platz zum Spielen", erzählt Barbara, die drei Geschwister hat. Deshalb kommt sie oft hierher. Wie viele der 500 Kinder und Jugendlichen, die auf der Veddel, einer Elbinsel, leben. Seit zwei Jahren dürfen Zwei- bis Zwölfjährige nachmittags in der Turnhalle toben, spielen und bauen. "Die Halle ist ein geschützter Raum", sagt Ivo Hoin, der das Projekt namens Tollhafen betreut.

Das Angebot füllt eine Lücke, denn auf der Veddel gab es lange keinen Sportverein für Kinder. Ohne privates Geld würde es auch den Tollhafen nicht geben: Er ist eines von etwa 50 Projekten der Bürgerstiftung Hamburg. Ob gemeinsames Spielen, Lesen, Tanzen oder Musizieren: Die Stiftung erreicht 5000 Kinder und Jugendliche der Hansestadt. Häufig gehen die Ehrenamtlichen an soziale Brennpunkte - also dahin, wo sonst keiner hingeht. Sei es aus Mangel an Geld oder Ideen: "In den benachteiligten Stadtteilen ist der Staat oft überfordert", sagt Geschäftsführer Reimar Tietjen.

Im Tollhafen etwa lernen die Kinder, sich selbst zu organisieren und mit anderen zu spielen, erzählt der Sportwissenschaftler Hoin. Das ist nicht leicht: Ob Türken, Albaner oder Ghanaer: Auf der Veddel haben mehr als 90 Prozent der Schüler ausländische Wurzeln. In die Halle kommen Kinder aus 30 Nationen, und meist spielen sie nur nebeneinander, nicht miteinander, erzählt Hoin. Doch das sei bereits ein guter Weg. "Hier klaut kein Kind oder haut sich mit anderen."

Der Geldgeber, die Hamburger Bürgerstiftung, wurde 1999 von 13 Bürgern gegründet, und sie ist seither rasant gewachsen. Mit einem Vermögen von 16 Millionen Euro gehört sie zu den größten Bürgerstiftungen des Landes. Doch nicht nur im Norden, auch anderswo in Deutschland boomen die Bürgerstiftungen. Wie in Hamburg sind es Gruppen von Bürgern, die ihr Geld zusammenlegen, um einen Missstand zu beheben. Zusammen bringen sie Stiftungskapital auf und fördern gemeinnützige Anliegen mit Geld, Zeit und Ideen. Im Fokus stehen immer Projekte aus der Region.

Noch ist der Anteil der Bürgerstiftungen an den mehr als 18.100 selbständigen Stiftungen der Republik sehr klein; doch er wächst stetig. Ob Gütersloh, Weimar, Wiesloch oder Kassel: Nach Angaben der Initiative Bürgerstiftungen gibt es etwa 300 solcher lokalen Bündnisse. Allein im vergangenen Jahr sind 50 neue Bürgerstiftungen hinzugekommen. Es ist ein schnelles Wachstum in kurzer Zeit: Fast alle Bündnisse sind in den vergangenen 15 Jahren entstanden.

Herübergeschwappt ist die Idee - wie so vieles im Stiftungssektor - aus den Vereinigten Staaten. Dort wurden die so genannten Community Foundations bereits zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts gegründet. In Deutschland haben große Stiftungen wie Bertelsmann, Körber, Robert-Bosch und Breuninger die Bewegung angeschoben und finanziert. Unter ihrer Ägide wurden Gründer beraten und Gütekriterien für die Arbeit von Bürgerstiftungen entwickelt.

Ein Platz im Tollhafen

Die Idee ist jenseits wie diesseits des Atlantiks dieselbe: Hinter einer Bürgerstiftung steckt nicht ein einzelner, vermögender Wohltäter, sondern sehr viele Stifter. Diese bringen sich mit kleinen Beträgen ein. So können Menschen mit wenig Vermögen nicht nur spenden, sondern ihr Geld auch in eine Stiftung stecken - und das kann sehr nachhaltig sein. Denn eine Spende muss immer zeitnah verwendet werden. Gestiftetes Kapital aber wird langfristig angelegt und die Projekte werden aus Erträgen bezahlt. Die Bürgerstiftungen sorgen also dafür, dass das sonst eher elitäre Stiften in die Breite getragen wird. "Jeder kann zum Stifter werden", schwärmt Nikolaus Turner, der den deutschen Arbeitskreis Bürgerstiftungen leitet.

Experten meinen, dass Bürgerstiftungen sogar zu mehr Gemeinnützigkeit in der Gesellschaft führen. Es würden auch Menschen gewonnen, die vorher kaum gestiftet oder gespendet hätten, sagt Reimar Tietjen von der Bürgerstiftung Hamburg. Das könne daran liegen, dass die Projekte vor der eigenen Haustür stattfinden, meint Tietjen. So könnten die Bürger "eine ganz andere Nähe" aufbauen. Nach dem Motto: Wer sieht, wohin sein Geld fließt, gibt gerne mehr. Zumindest steigt die Zahl der Engagierten stetig. Inzwischen bringen sich etwa 17.000 Menschen ein. Ein knappes Drittel der Projekte widmet sich nach Angaben der Initiative Bürgerstiftungen der Bildung und Erziehung (28 Prozent), gefolgt von Jugend (27), Sozialem (13) sowie Kunst und Kultur (10 Prozent).

Nutznießer sind nicht nur Kinder, es ist auch die Politik. Regelmäßig werden die neuen Bündnisse gelobt. Etwa von Bundesfamilienministerin Kristina Schröder. "Bürgerstiftungen sprechen mit ihrem breiten Angebot Bürgerinnen und Bürger aller Altersklassen und sozialen Schichten vor Ort passgenau an, und sind durch ihre eigenen Geldmittel in ihrer Arbeit flexibel und unabhängig," sagte die CDU-Politikerin kürzlich. Was dabei nicht vergessen werden darf: Bürgerstiftungen springen oft da ein, wo der Staat nicht kann oder will. Für Pilotprojekte mag das richtig sein. Doch was passiert, wenn Bürgerstiftungen originäre Aufgaben des Staates übernehmen - etwa in der Bildung?

Denn die Bündnisse haben Schwächen, und sie setzen ihre Ideen nicht automatisch besser um als der Staat. So sehr Ehrenamtliche ihre Arbeit auch lieben; nicht immer geht es professionell zu. Häufig fehlt das Geld, wenige Spender oder Stifter müssen die notwendigen Verwaltungskosten einer Stiftung aufbringen: "Etliche Bürgerstiftungen sind noch unterfinanziert", sagt selbst Experte Turner. Solche Bündnisse seien stark auf Spenden und Zustiftungen angewiesen.

Dennoch ist das Kapital aller deutschen Bürgerstiftungen 2010 kräftig geklettert. Es stieg um 28 Prozent auf 180 Millionen Euro. Wer wissen will, warum das so ist, muss wieder nach Hamburg schauen. Dort hat ein anonymer Spender der Stiftung 15 Millionen Euro geschenkt. Barbara und die anderen Kinder auf der Veddel dürfte das freuen. Ihre Turnhalle kostet schließlich 55.000 Euro im Jahr, und ihr Bestand ist - auch dank des frischen Geldes - für lange Zeit gesichert.

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