Brokerfirma MF Global ist pleite:Vom Mini-Goldman-Sachs zum Mini-Lehman

Papandreous Referendum würgt die Euphorie nach dem EU-Gipfel wieder ab. An den Weltbörsen kommt es zum Kursrutsch, an der Wall Street wird MF Global zum ersten prominenten Opfer der Krise. Es ist die achtgrößte Pleite in der US-Geschichte. Die Firma hatte auf Staatsanleihen von Eurostaaten gewettet - und verloren.

Nikolaus Piper, New York

Die Euro-Angst an den Weltfinanzmärkten hat schlagartig wieder zugenommen. Die Ankündigung des griechischen Ministerpräsidenten Giorgios Papandreou, die Vereinbarungen mit EU und Internationalem Währungsfonds (IWF) einem Referendum zu unterwerfen, löste einen Kursrutsch an den Weltbörsen aus. Besonders Bankaktien brachen regelrecht ein. In Frankfurt sackte der Deutsche Aktienindex (Dax) um fünf Prozent auf 5835 Punkte ab, das war der viertgrößte Absturz in diesem Jahr. Im Verlauf hatten die Verluste zeitweise mehr als sechs Prozent erreicht. Der Euro gab zeitweise über drei Cent auf 1,36 Euro nach.

File photo of Jon Corzine at the Prudential Center in Newark New Jersey

MF-Global-Chef und Demokrat Jon Corzine mit US-Präsident Barack Obama im November 2009. Die Nähe zur Politik hat Corzine in der Schuldenkrise auch nicht helfen können: sein Rohstoff- und Derivatehändler MF Global ist pleite.

(Foto: REUTERS)

Die Entscheidung Papandreous hat weltweit das gerade gewachsene Vertrauen in die Fähigkeit Europas erschüttert, die Schuldenkrise einzudämmen. Die Finanzmärkte stellen sich jetzt auf eine längere Phase extremer Unsicherheit ein. Damit hat sich an den Börsen die zuversichtliche Stimmung der vergangenen Woche in ihr Gegenteil gedreht. "Der größte Fehler, den die Anleger im Oktober begangen haben, war es, die Illusion zuzulassen, dass irgendeine Lösung schnell und effizient sein würde", sagte Jeffrey Sica, Chef einer Vermögensverwaltung in New York. "Dies ist ein langwieriges, schmerzhaftes Problem. Es gibt keine schnellen Lösungen."

Der Dax hat den größten Teil seines Gewinns von 11,6 Prozent im Oktober wieder abgegeben. Die Aktien der Commerzbank verloren 9,4 Prozent, die der Allianz und der Deutschen Bank jeweils acht Prozent. In New York gab der Dow Jones zur Handelsmitte um 2,5 Prozent nach. Gleichzeitig flohen die Investoren in als sicher geltende amerikanische und deutsche Staatsanleihen.

Wie die Euro-Krise die Weltfinanzmärkte im Griff hat, lässt sich an der Investmentbank Morgan Stanley ablesen. Deren Aktien standen am Dienstag mit einem Minus von 9,3 Prozent ganz oben auf der Verliererliste. Seit Wochenbeginn hat das Geldhaus damit über 15 Prozent verloren. Nach Marktgerüchten ist Morgan Stanley mit netto 2,1 Milliarden Dollar in den Peripherie-Staaten der Euro-Zone engagiert. Vorige Woche, als in Sachen Europa noch Euphorie herrschte, hatte die Aktie 27 Prozent gewonnen.

Europas Schuldenkrise hat indes an der Wall Street ihr erstes prominentes Opfer gefordert. Nach einer Reihe fehlgeschlagener Wetten auf Staatsanleihen mehrerer Euro-Staaten musste die Investmentfirma MF Global am Montag Gläubigerschutz beantragen. Mit einer Bilanzsumme von 41 Milliarden Dollar ist MF Global die achtgrößte Pleite der US-Geschichte und die größte Bankpleite seit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers 2008.

Der Chef der Investmentfirma, Jon Corzine, hatte vorige Woche verzweifelt versucht, MF Global zu verkaufen. Der Versuch kam jedoch zu spät, Kunden und Geschäftspartner hatten bereits begonnen, wegen des hohen Engagements in Europa zu fliehen. MF Global hielt zuletzt Anleihen aus Italien, Spanien, Portugal, Belgien und Irland von 6,3 Milliarden Dollar bei einem Eigenkapital von 1,2 Milliarden.

Aktie fiel in einer Woche um 75 Prozent

Am 25. Oktober hatte die Firma einen Quartalsverlust von 191 Millionen Dollar gemeldet. Daraufhin setzten die Ratingagenturen die Qualität von MF-Global-Schulden auf Schrott-Status herab. Die Aktie der Firma fiel um 75 Prozent. Nach Medienberichten ermitteln zudem die Behörden, weil Einlagen von Kunden von 700 Millionen Dollar fehlen. Dies deutet auf erhebliche Mängel in der Buchführung hin.

Die Investmentfirma, die außerhalb der Wall Street unbekannt ist, war spezialisiert auf den Handel mit Rohstoffen und Derivaten. Der jetzige Chef Jon Corzine hatte seinen Posten 2010 mit dem Ziel übernommen, MF Global zu einer richtigen Investmentbank auszubauen, die auch mit dem eigenen Geld spekuliert. In der Branche war von einem "Mini-Goldman-Sachs" die Rede.

Beruhigend aus globaler Sicht ist die Tatsache, dass MF Global trotz seiner Größe nicht systemisch relevant ist. Der Konkursantrag hat bis Dienstag keine größere Störung der Kreditmärkte ausgelöst. Für die Europäer liefert die Pleite allerdings ein Warnsignal: Der Run auf MF Global setzte ein, obwohl die Firma gar keine griechischen Anleihen besitzt. Es reichte, dass die Renditen italienischer, spanischer und anderer Anleihen nicht so zurückgingen wie erhofft, um bei den Kunden Panik auszulösen. Die Finanzmärkte schätzen die Lage in Europa also als extrem labil ein.

Auf der Liste der Gläubiger steht eine Tochter der Deutschen Bank, mit Außenständen von 1,02 Milliarden Dollar. Dabei handele es sich nicht um eigenes Geld, das Institut trete als Vermögensverwalter für Investoren auf, hieß es. Das Engagement der Bank selbst bei MF Global liegt im niedrigen zweistelligen Millionenbereich.

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