Süddeutsche Zeitung

Briefkasten:Tabuzone für Politik und Werbung

Die Wahl kommt, die Parteien schlagen zu: Briefkastenwerbung lässt sich unterbinden - notfalls gerichtlich.

Andreas Lohse

Fast magnetisch ziehen gerade Mehrfamilienhäuser jene an, die große Kontingente von Zetteln loswerden müssen: mit Angeboten vom Supermarkt, den Diensten von Reparaturfirmen oder Offerten für Kaffeefahrten. In diesen Wochen kommt noch Wahlwerbung hinzu.

Immer Eintritt

"Vom Handzettel bis zur Broschüre ist alles dabei", weiß Achim Deutsch, Bewohner eines Vielgeschossers in Berlin-Mitte. Und obwohl die Hauseingangstür von außen ohne Schlüssel nicht zu öffnen ist, kämen "die immer irgendwie rein". Familie Deutsch hat schon vor geraumer Zeit einen kleinen Aufkleber auf den Briefkasten montiert: "Keine Werbung". Vergebens. "Offenbar meinen Parteien, Wahlwerbung sei keine Werbung, sondern politische Aufklärung", mutmaßt der genervte Hochhausbewohner.

So wie Achim Deutsch geht es vielen Bundesbürgern, die sich gerade vor Wahlen mit den papierenen Produkten der Parteien herumquälen müssen, bis sie sich zu den tatsächlich wichtigen Dingen in ihren Briefkästen durchgewühlt haben.

Politische Tabuzone

Sie alle können jedoch geeignete Schritte in die Wege leiten, wenn sie sich belästigt fühlen: Auch in Zeiten des Wahlkampfes sind Briefkästen für politische Parteien tabu, wenn deren Inhaber dies so wünschen, urteilte in einem Fall das Berliner Kammergericht.

Demnach sind auch politische Flugblätter Werbung, Verstöße lassen sich gerichtlich unterbinden (Az. 9U 1066/00). Dem Recht der Parteien, ihrer politischen Arbeit ungehindert nachzugehen, entspreche keine Pflicht der Bürger, sich informieren lassen zu müssen, so die Richter sinngemäß. Der auf diese Weise "Über-Informierte" könne sich direkt an den Bundesverband einer Partei wenden, der dann alles dafür tun müsse, Belästigung durch unerwünschte Werbung zu verhindern.

Keine Wurfsendungen

Das Kammergericht folgte damit der Ansicht auch anderer Juristen. So entschied das Oberlandesgericht Frankfurt, dass so genannte Briefkastenwerbung zwar nicht sittenwidrig sei. Ein Verstoß gegen das Persönlichkeitsrecht des Briefkasteninhabers liege allerdings dann vor, wenn sich das werbende Unternehmen bewusst über Aufkleber mit dem Hinweis "keine Werbung" hinwegsetze (Az. 6U 136/88) - was auch für Parteien gelten dürfte.

Das sah auch das Oberlandesgericht Köln so. Die Betroffenen haben demnach einen Unterlassungsanspruch (Az. 6U 32/91).

Werbung per Brief

Anderes gilt bei Briefwerbung: Die Deutsche Post darf Werbesendungen auch in Briefkästen einwerfen, deren Besitzer durch Aufkleber klar gemacht haben, dass sie von solchen Sendungen verschont bleiben wollen. Hier sei es Sache des Empfängers zu entscheiden, welche Postsendungen er annehmen will und welche nicht.

Er kann also den Zusteller im Hausflur abfangen und die Annahme einzelner Sendungen verweigern. Oder er kann generell die Zustellung jeglicher Post ablehnen - was aber nicht in seinem Sinne sein dürfte. Die Entscheidung kann jedoch "nicht pauschal für bestimmte Arten von Sendungen getroffen werden" (VGH Mannheim, Az. 10 S 560/89).

Also: Wahlwerbung per Post lässt sich nicht verhindern, wenn sie direkt an einen Empfänger adressiert ist. Das aber gilt nicht für allgemeine Postwurfsendungen - "An alle Haushalte": "Die Post ist nicht berechtigt, bei eindeutig durch Aufschrift oder Aufkleber am Hausbriefkasten erklärter Annahmeverweigerung Wurfsendungen zuzustellen" (VG Stuttgart, Az. 3 K 795/88).

Mieter mit politischer Meinung

Jedoch nutzen auch manche Hausbewohner die Gunst der Stunde, ihre politische Meinung im Mietshaus kundzutun. Sie machen Aushänge in Fenstern und Treppenhaus oder pappen klebrige Embleme mit den Wahrzeichen ihrer Lieblingspartei an die Briefkästen.

Das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern, ist durch das Grundgesetz garantiert, sofern dadurch nicht gegen andere Gesetze verstoßen wird. Wann diese Grenze überschritten wird, lässt sich allerdings nicht generalisieren.

Extremistische Parteien ohne Halt

Während Aufkleber der größeren Parteien außen an der Wohnungstür oft stillschweigend geduldet werden, müssen Mieter Werbung für extremistische Parteien nicht hinnehmen. "Das Recht des Mieters zur freien Meinungsäußerung und Anbringen von Plakaten und Aufklebern innerhalb des Mietbereiches - auf und um Balkon, an den Fenstern und außen an der Wohnungstür - steht in unmittelbarem Zusammenhang mit einer Friedenspflicht gegenüber der Hausgemeinschaft", betont der Berliner Mieterverein.

Ein Mitglied hatte gefragt, ob er sich das Bekleben des Briefkastens eines Mitmieters mit Emblemen einer rechtsradikalen Partei gefallen lassen müsse. "Nein", meinten die Mietrechtsexperten, denn besagte Friedenspflicht verlange "Rücksichtnahme auf die unterschiedliche Struktur innerhalb eines Wohngebäudes, etwa nach Alter, Familienstatus und Beruf" sowie die Achtung von Glauben und Weltanschauung, aber auch sonstiger politischer Überzeugungen. "In Anbetracht der Ziele einer rechtsradikalen Partei", heißt es dort weiter, "ist Werbung - und sei es durch Aufkleber auf Briefkästen - nicht geeignet, den Hausfrieden zu erhalten." Der Rat: "Man sollte notfalls gegenüber dem Vermieter auf Unterlassung bestehen."

Plakatieren im Fenster oder Treppenhaus kann unter Umständen als "vertragswidriges Verhalten" gewertet werden, was den Vermieter zu der Forderung berechtigen kann, dies zu unterlassen - notfalls auf dem Weg der Klage, nachdem eine Abmahnung nicht fruchtete. Doch lassen sich Schwere und Folgen eines solch widrigen Gebrauchs nicht verallgemeinern, sondern nur im Einzelfall feststellen. Ist im Mietvertrag geregelt, inwiefern der Mieter Schilder oder Plakate anbringen darf, so muss er sich daran halten. Ohne vertragliche Regelungen kann es von Haus zu Haus durchaus verschieden sein, ob Plakate im Fenster üblich sind oder nicht - in Villenvierteln sicher weniger als beispielsweise in den von Studentengegenden.

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