Süddeutsche Zeitung

Bong Joon Ho:Horror und Humor

Der Koreaner Bong Joon Ho zeigt seinen neuen, in Cannes umjubelten Film "Parasite" und wird in München mit einer Retrospektive seines Werks geehrt.

Von Patrick Heidmann

Claude Chabrol und Henri-Georges Clouzot - vor diesen beiden legendären Kollegen verneigte sich Bong Joon Ho explizit, als er im Mai beim Festival in Cannes für seinen Film Parasite die Goldene Palme gewann. Diese Referenz als Selbstdefinition als Thriller-Regisseur zu verstehen, wäre aber ein Fehler. Schon die beiden für ihn so prägenden Franzosen (Clouzots Lohn der Angst sah Bong im Alter von neun Jahren) waren stets viel mehr als bloß Krimi-Experten, und auch er selbst beschränkt sich nie auf ein einziges Genre. Die Retrospektive, die das Filmfest dem Koreaner widmet, zeigt dies in Karriere-umfassender Deutlichkeit.

"Ich mache mir selten bewusst Gedanken über meine Arbeitsweise, sondern gehe sehr instinktiv vor", antwortet Bong wenige Tage vor seinem großen Gewinn beim Interviewtermin in Cannes auf die Frage nach dem komplexen Stilmix seiner Filme. "Wie ein Barkeeper beim Mischen eines neuen Cocktails weiß ich eigentlich erst am Ende, ob die Kombination der einzelnen Zutaten wirklich aufgegangen ist." Und schiebt noch hinterher: "Das Grundelement ist aber sicherlich der Humor. Ohne den könnte ich nie arbeiten." Während sein Spielfilmdebüt Hunde, die bellen, beißen nicht - genau wie alle anderen Regiearbeiten Bongs beim Filmfest zu sehen - in erster Linie als schwarze Komödie funktionierte, aber von sozialkritischen Beobachtungen durchzogen war, überraschte der studierte Soziologe anschließend mit Momenten bitteren Humors in der düsteren Serienkiller-Geschichte Memoirs of Murder. Der große Durchbruch gelang ihm 2006 mit The Host, dem bis heute erfolgreichsten koreanischen Film der Geschichte. Auf den ersten Blick waschechter Monsterhorror über eine mutierte Echse in einem verseuchten Fluss, funktioniert die Geschichte auch als kluge Gesellschaftssatire und Familiendrama. In seinen beiden englischsprachigen Produktionen trat Bongs sozialkritisches Anliegen sogar noch deutlicher zum Tragen. In Snowpiercer, bei dem er sich im Streit um die finale Schnittfassung erfolgreich mit Hollywood-Mogul Harvey Weinstein anlegte, sind die letzten überlebenden Menschen in einem endlos um die Welt rasenden Zug streng in arm und reich unterteilt. Und in Okja, der von Netflix herausgebracht wurde und nun erstmals in Deutschland auf der Leinwand zu sehen ist, werden Genmanipulation, Massentierhaltung und andere Auswüchse des Kapitalismus verhandelt. Auch in Parasite steht für ihn der Gegensatz zwischen arm und reich im Mittelpunkt, "weil diese Kluft und die damit einhergehende Polarisierung der Gesellschaft ein Thema ist, das aktuell die ganze Welt angeht".

So virtuos wie in dieser Geschichte über eine vierköpfige koreanische Familie, die sich Jobs in einem Industriellenhaushalt erschleicht, war der Genre-Mix des 49 Jahre alten Regisseurs allerdings noch nie. Sein Spiel mit Elementen aus Horror, Slapstick und Milieustudie ist so spannend, komisch und überraschungsreich geraten, dass er darum bittet, nicht zu viel darüber zu verraten. Aber Claude Chabrol, davon kann man ausgehen, wüsste kaum, wie ihm in diesem Meisterwerk geschieht.

Bong Joon Ho kommt am Donnerstag, 4. Juli, 18 Uhr zu Filmmakers Live in die Black Box/Gasteig

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SZ vom 27.06.2019
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