Börsenentwicklung:Privatanleger hatten eine bessere Nase

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In der Krise lagen Sparer mit ihren Aktien-Prognosen oft besser als die Profis. Doch ihr Geld ließen sie auf dem Konto.

Simone Boehringer

Sie haben den richtigen Riecher gehabt: Mitte August, genau einen Monat vor der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers, fragte das Meinungsforschungsinstitut TNS Infratest im Auftrag der DZ Bank 1000 Privatanleger, wie sich die Aktienkurse ihrer Einschätzung nach in den folgenden sechs Monaten entwickeln würden.

Der Dax hatte nach einem Jahr Bankenkrise schon stark gelitten, war von mehr als 8000 Punkten bis auf fast 6000 Zähler im Juni gefallen. Seitdem hatte sich das Aktienbarometer leicht erholt, das Gros der Profiprognostiker hielt das erreichte Kursniveau bis Jahresende für tragbar.

Andere Einschätzung der privaten Sparer

Nicht so die privaten Sparer: Nur 26 Prozent trauten der Konsolidierung an der Börse nach den ersten Bankenschieflagen in Amerika. Sie erwarteten steigende Kursen. 28 Prozent rechneten damit, dass der Dax auf der Stelle tritt. Und 35 Prozent prognostizierten fallende Aktienkurse. Dieses gute Drittel hatte eine bessere Nase als manche Marktanalysten, von denen bei einer Reuters-Umfrage im Juni einige den Dax bis Jahresende bei mehr als 7000 Punkten gesehen hatten.

Im Oktober lagen die Privatanleger dann genauso falsch wie die Profis: Beide Gruppen unterschätzten zunächst die Folgen der Lehman-Pleite und hofften auf eine schnelle Erholung der Kurse, die nicht kam. Die Trendwende erfassten die Privatanleger wiederum ganz gut.

Noch im Januar kalkulierten sie richtigerweise mit weiter fallenden Kursen. Bei der nächsten Befragung Mitte April votierten dann immerhin 40 Prozent für steigende Kurse, mittlerweile sind sogar 48 Prozent für den Dax positiv gestimmt.

Die Treffsicherheit der jüngsten Umfragewerte vom August steht zwar noch aus, aber die Gralshüter der Aktienkultur in Deutschland sind mit dem Ergebnis auch bislang schon zufrieden. Mit diesen Prognosen hätten die deutschen Anleger erfolgreich gegen den schlechten Ruf gearbeitet, "wegen ihrer ausgeprägten Risikoaversion tendenziell zu spät am Markt präsent zu sein", sagt Gerrit Fey vom Deutschen Aktieninstitut (DAI).

Aber es gibt einen Haken an der Sache: Die Anleger haben nach der Analyse des Spitzeninstituts der Volks- und Raiffeisenbanken nicht gemäß ihrer Vorahnungen gehandelt. Auf die Folgefrage der Meinungsforscher, wie sie 10.000 Euro anlegen würden, wenn sie Geld übrig hätten, verließen sich die meisten Sparer - zwischen 67 und 76 Prozent - während der gesamten Krise auf Tages- und Festgeldkonten. Selbst in Zeiten, in denen viele Privatanleger für den Aktienmarkt positiv gestimmt waren, stieg der Anteil derer, die Geld in Aktien oder Aktienfonds anlegen wollten, nur minimal. Erst in den vergangenen Wochen hat sich das geändert. So hätte im August immerhin jeder Fünfte die fraglichen 10.000 Euro direkt an den Aktienmarkt getragen, in Aktienfonds hätte schon fast jeder Dritte investiert.

Hohes Sicherheitsbedürfnis der Menschen

Für Peter Schirmbeck, Bereichsleiter Privatkunden bei der DZ Bank, ist die Diskrepanz zwischen den Prognosen und der Investmentstrategie der befragten Privatanleger durchaus rational: "Die Markteinschätzungen der Kunden werden überlagert von einem ausgeprägten Sicherheitsbedürfnis. Die Menschen wollen sichere, verständliche Produkte." Der Renditeaspekt, der langfristig mit Aktien besser bedient werden kann als etwa mit Festgeld, trete zurück.

"Viele Menschen haben schlicht kein Geld übrig für langfristiges Aktiensparen. Und zur Deckung laufender Kosten oder für kurzfristige Sparziele wie Möbel oder Autos ist die Aktie das falsche Instrument", ergänzt Fey vom Aktieninstitut. Verhaltensforscher Joachim Goldberg, Geschäftsführer der Analysegesellschaft Cognitrend, sieht in dem Auseinanderklaffen zwischen Vorhersage und Umsetzung auch einen "Fall selektiver Wahrnehmung". "Wer noch investiert ist in Aktien, ist bullish, wer nicht investiert ist, ist bearish", sagt Goldberg.

Anleger nähmen stets die Signale stärker wahr, die zu ihrem eigenen Finanzengagement passen.Tatsächlich sind nach DAI-Zahlen im Laufe des Jahres 2008 rund 1,5 Millionen Anleger aus dem Aktienmarkt geflohen, mehr als eine halbe Million davon bereits vor dem Fall der Lehman-Bank.

Ein kleiner Teil ist nun an den Markt zurückgekehrt. Der soll größer werden. 48 Prozent der Privatanleger der DZ-Bank-Umfrage rechnen, wie gesagt, mit steigenden Kursen. Und Schirmbeck kreiert die Produkte dazu, solche "die das Sicherheitsbedürfnis der Anleger mit den Marktchancen verbindet". Die Erforschung des Anlegerverhaltens scheint sich für die DZ Bank auszuzahlen. Sie ist Marktführer bei Garantiezertifikaten auf Aktienindizes. Der Absatz dieser Produkte hat nach Angaben Schirmbecks bereits jetzt fast den des Vorjahres erreicht.

© SZ vom 23.09.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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