Börse Frankfurt:Dirk Müller, Popstar

Wie der Kursmakler Dirk Müller aus einer badischen Kleinstadt zum Gesicht der Börse wurde - weil er Gefühle von Euphorie bis Angst ausdrückt.

Martin Hesse

Am Morgen des dritten Tages strahlt die schwarze Tafel schräg über Dirk Müller keinerlei Dramatik aus. Die weiße, feingezackte Linie ruckelt bei 6760 Punkten vor sich hin. Auf diesem Niveau hatte der Dax die zwei turbulentesten Handelstage der vergangenen fünf Jahre beendet. Nur noch in Müllers Stimme schwingt ein wenig von der Hektik der letzten 24 Stunden nach, während er cool seiner Arbeit als Kursmakler nachgeht. Es ist nur eine Atempause, Müller ahnt das. "Er war der erste hier auf dem Parkett, der den Fall des Marktes vor Monaten voraus ahnte", sagt ein konkurrierender Makler respektvoll über ihn.

Und Müller hat auch diesem Crash ein Gesicht gegeben. Sein Gesicht. Eigentlich ist Dirk Müller Vertreter einer fast ausgestorbenen Spezies. Seitdem an der Börse die Geschäfte vorwiegend über Computer abgewickelt werden, sind viele Makler verschwunden. Doch gerade in turbulenten Börsenzeiten spielen Leute wie Müller noch heute eine wichtige Rolle. Er vergleicht Kauf- und Verkaufsgebote, stellt Kurse, nimmt Aktien in sein Auftragsbuch, um sie bald wieder abzustoßen, und stellt so auch bei starken Schwankungen faire Preise sicher.

Charts unter der Schulbank

Doch das ist nicht, was Millionen Fernsehzuschauer und Zeitungsleser in Dirk Müller sehen. In einer Welt, in der Aktienkurse auf schier unbegreifliche Weise von Computern in den Banken von Frankfurt bis Tokio gesteuert werden, in der abstrakte Kurven über Bildschirme in U-Bahnen und Wohzimmern flackern - in dieser Welt erzählt Müller dem Publikum mit Mimik und wenigen Worten mehr über die Börse als tausend Charts und Analysten. Müller reißt die Augen auf, legt die Stirn in Falten, wirft die Hände in die Luft - Kursrutsch, Dramatik. Müller hebt einen Daumen, Lachfältchen umkränzen seine Augen - Dax-Rekord, Freude. Müller lehnt sich im Stuhl zurück, legt die Hände hinter den Kopf, bläst die Backen auf - Handelsschluss, Erleichterung.

Es riecht nach Inszenierung, wenn Müller wie an diesem schwarzen Montag die Fernsehteams umkreisen. Doch Müller schauspielert nicht, er lebt Börse. Seit er 16 ist. Da malt er unter dem Tisch Aktiencharts, anstatt Matheaufgaben zu lösen. In der Pause rennt er zum Kiosk und holt sich ein Börsenblatt. "Ich wollte unbedingt Händler werden", sagt Müller. Aber wie schafft man es aus der Spargelgemeinde Reilingen im badischen Rhein-Neckar-Dreieck an die Börse?

Dirk Müller, Popstar

Drei Banken bilden damals in Reilingen aus. Dirk geht zur Deutschen Bank. Und als Müller den Fuß erstmal in der Tür hat, stellt er sein Zocker-Talent unter Beweis. Als ein hungriger Kollege im Händlerjargon nach Mohrenköpfen ruft, bringt Azubi Müller seine Beziehung zu einem Hersteller ins Spiel und bietet im gleichen Jargon die Ware zu 25 Pfennig das Stück an. Eine halbe Stunde lang werden dann in der Bank nur noch Mohrenköpfe gehandelt - und Müllers Leidenschaft für die Börse ist im Haus bekannt. Kurz darauf beginnt er als Assistent des renommierten Rentenhändlers Hans Dittmar. Der Sprung an die Börse ist geschafft.

Zum Medienereignis wird Müller erst, als er 1998 beim Kursmakler ICF anfängt. Jetzt sitzt er genau unter der Dax-Tafel. Seitdem lichten ihn Fotografen aller Herren Länder ab. Er mag es, wenn es rund geht und der Adrenalinspiegel steigt. So entstehen die Bilder, die dann um die Welt gehen. Das Interesse an ihm lässt auch nicht nach, als der Börsensaal umgebaut wird und er den Platz unter der Tafel abgibt. Allein in den vergangenen zwei Tagen haben Medien aus England, Österreich, Kanada, Italien und Polen für eine Geschichte über ihn angeklopft, eine österreichische Zeitung verglich ihn mit Knut, dem prominenten Eisbären. "Warum nicht, solange es im Rahmen bleibt?", fragt Müller. Ihm macht es Spaß. "Die Leute wollen informiert werden und für mich ist es eine willkommene Abwechslung zum Tastendrücken."

Gartenarbeit und Vereinsleben

Müller ist ein Popstar, doch er sieht sich nicht als solcher. Zuhause in Reilingen lebt er, wie man in deutschen Kleinstädten als Kleinfamilie halt lebt. Mit Gartenarbeit und Vereinsleben erdet er sich, im Sommer fährt er mit dem Geländewagen zum Campen in die Karpaten. "Sonnenuntergänge und Lagerfeuer - das ist real und bringt mich weg von der künstlichen Welt der Börse."

Hat ihn der Medienrummel verändert? Die Frage erschreckt ihn. "Um Gottes Willen, ich hoffe nicht!" Müller sei nicht mediengeil, sagt ein Kollege. Jedem stehe es frei, vor die Kameras zu treten - aber nicht jeder könne das so wie Müller, der die Welt mit einfachen Worten erklärt. Sie haben Respekt vor ihm an er Börse, Neider scheint es nicht zu geben. Das mag an Müllers Art liegen, die auch die Medien so für ihn einnimmt. "Er ist einfach ein Kumpeltyp", heißt es auf dem Parkett. Natürlich machen sie auch Scherze über ihn, er lacht gerne mit.

Müller steht an der Börse auf der Seite jener kleinen Leute, denen er sie erklärt. Als der Dax am Montag abstürzte, drückte seine Miene auch Wut aus. Wut über die Experten der Banken, die Anleger noch im Herbst wider besseres Wissen weismachen wollten, die Krise in den USA berühre die Börse in Deutschland nicht. Gegen Abend des dritten Tages liegt Dirk Müller mit seiner Skepsis richtiger denn je. Er reißt die Augen auf, legt die Stirn in Falten, wirft die Hände in die Luft - Kursrutsch, Dramatik.

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