BGH-Urteil zu Klagen von Anlegern:Lehman-Geschädigte gehen leer aus

Die Betroffenen werden ihr Geld nicht wiederbekommen. Der Bundesgerichtshof hat die Klage von Anlegern der Pleite-Bank Lehman Brothers abgewiesen. Die Hamburger Sparkasse muss ihren Kunden die Verluste nicht ersetzen - da keine Beratungspflichten verletzt worden seien. Weitere Verfahren sind jedoch noch anhängig.

Wolfgang Janisch und Kristina Läsker

Die Hoffnungen der Anleger, die durch die Insolvenz der Investmentbank Lehman Geld verloren haben, waren groß: Zum ersten Mal hat der Bundesgerichtshof (BGH) am Dienstag über die Klagen Betroffener verhandelt - der Bankensenat, der sich zuletzt häufig anlegerfreundlich entschieden hatte. Ein Hamburger Lehrerpaar - der Mann ist vor kurzem gestorben - sowie die Betreiberin eines Schlankheitsstudios hatten gegen die Hamburger Sparkasse (Haspa) geklagt, sie fühlten sich unzureichend über Risiken der Lehman-Zertifikate aufgeklärt. Doch gleich anfangs dämpfte Senatsvorsitzender Ulrich Wiechers die Erwartungen: Im konkreten Fall seien nach "vorläufiger Bewertung" keine Ansprüche ersichtlich; die Klage sei wohl abzuweisen. Und so passierte es (Az: XI ZR 178/10 u. 182/10).

Die Kläger hatten bei der Haspa 2006 und 2007 für je 10 000 Euro Lehman-Inhaberschuldverschreibung gekauft, deren Wert von einem "Korb" voller Dax-Titel beziehungsweise vom europäischen Aktienindex Euro Stoxx abhängen sollte. Im ungünstigsten Fall sollten die Anleger am Ende der mehrjährigen Laufzeit ihre 10 000 Euro zurückbekommen. Wobei die Haspa, so hat es das Oberlandesgericht Hamburg festgestellt, ihre langjährigen Kunden über ein noch ungünstigeres, aber damals für die Branche undenkbares Szenario aufgeklärt hatte: Wenn "alles zusammenbreche", also auch die drittgrößte US-Investmentbank Lehmann, dann sei das Geld natürlich weg.

40 Verfahren sind beim Bundesgerichtshof anhängig

Weil das Unwahrscheinliche dann doch eingetreten ist, sind viele Geschädigte vor Gericht gezogen; allein beim BGH sind bereits 40 Verfahren anhängig. Deshalb habe der Prozess eine "gewisse Pilotfunktion", sagte Wiechers. Eine Blaupause für kommende Verfahren wird das Urteil nach seinen Worten aber nicht liefern, schon, weil es sich um verschiedene Banken und unterschiedliche Finanzprodukte handle. "Dementsprechend können je nach den Umständen des Einzelfalls unterschiedliche Ergebnisse herauskommen", sagte der Richter.

Worauf es ankommen wird, deklinierte der BGH am Dienstag im stickigen Sitzungssaal durch. Der Anwalt der Kläger, Richard Lindner, hatte vergebens versucht, Honig aus der sogenannten Kickback-Rechtsprechung des BGH zu saugen. Danach müssen Banken über verdeckte Innenprovisionen aufklären, die ihnen aus der Vermittlung von Finanzgeschäften zufließen - weil sich der Kunde nur dann das Eigeninteresse der Bank an einem Geschäft einschätzen kann.

Diese Rechtsprechung sei hier freilich nicht anwendbar, weil es nicht - wie Wiechers deutlich machte - um Provisionen gehe, sondern um den Weiterverkauf von Finanzprodukten, welche die Haspa mit 3,8 Prozent Rabatt eingekauft hatte. Und über die eigene Gewinnspanne müsse die Bank grundsätzlich keine Auskunft geben.

Viele Berater verstanden wohl selbst nicht, was sie da verkauften

So dürfte das Schicksal künftiger Fälle davon abhängen, ob die Bank ihre Beratungspflicht versäumt hat. Das ist eine Frage des Einzelfalls: Eine Bank muss umso nachdrücklicher warnen, je größer die Risiken, je komplizierter das Produkt, je unerfahrener und sicherheitsbewusster der Anleger ist. In diesem Fall galten die Anlagen - abgesehen vom Pleiterisiko - als vergleichsweise sicher, weil immerhin der Einsatz garantiert war; der Lehrer habe früher schon mit sehr viel gewagteren Produkten spekuliert, so die Richter.

Am Rande der Verhandlung sagte Lindner, in weiteren anhängigen Lehman-Fällen seien die Finanzprodukte deutlich komplexer und riskanter gewesen - mit entsprechenden Konsequenzen für die Beratungspflicht. In diesem Fall indes hält der BGH die Haspa-Beratung offenbar für ausreichend. Für konkrete Warnungen vor einer Lehman-Pleite habe damals kein Anlass bestanden.

So wird der BGH-Fall nur die erste Etappe bei der Aufarbeitung der Lehman-Pleite sein. Die Verbraucherzentrale Hamburg schätzt, dass es etwa 40 000 bis 50 000 Lehman-Opfer in Deutschland gibt. Die meisten Anleger haben zwischen 10 000 und 50 0000 Euro verloren, insgesamt schätzt man den Schaden auf etwa 750 Millionen Euro.

Auch andere Banken hatten Lehman-Zertifikate verkauft

Neben der Haspa haben Targobank (früher: Citibank), Commerzbank und andere Institute die umstrittenen Zertifikate der US-Bank verkauft. Bei der Haspa sind 3700 Anleger betroffen. Davon hat Deutschlands größte Sparkasse etwa 1000 Anleger teilweise entschädigt, der Rest ging leer aus. Während andere Institute nach offen gelegten Maßstäben entschädigten, hat die Haspa von Fall zu Fall zu entschieden, ob Geld fließt.

Die Bank hatte zuvor beteuert, dass sie die Zertifikate vor allem verkauft habe, weil Kunden diese so stark nachgefragt hätten. Tatsächlich aber standen die Berater im Jahr 2006 - dem Verkaufsjahr der Lehman-Zertifikate - unter erheblichem Druck. Je höher der Jahresertrag ausfiel, desto höher war ihr Verdienst. Ranglisten mit Topverkäufern und Belohnungsreisen stachelten den Verkauf an. Davon erzählen interne Papiere, die der SZ vorliegen: "Es bleibt dabei: Zertifikate was geht", heißt es da.

Die Schreiben verdeutlichen auch, dass viele Berater wohl selbst nicht so recht verstanden, was sie da verkauften. Kurz nach der Pleite von Lehman verschickte das Management eine E-Mail mit vorformulierten Antworten für verzweifelte Kunden. Darin wird den Angestellten genau erklärt, welchen Risiken sich hinter Zertifikaten oder Investmentfonds verbergen.

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