Süddeutsche Zeitung

Betrugsskandal:Unterwegs in Madoff-Country

An diesem Montag wird das Urteil gegen den Jahrhundert-Betrüger Madoff gesprochen. Zeit, um an den Ort zurückzukehren, an dem alles begann: Floridas Reichenviertel Palm Beach.

Moritz Koch

Dort vorne, im Süden der Landzunge, liegt das Gebiet, das sie Gaza-Streifen nennen. Die Straße weitet sich und gibt den Blick frei auf die Bucht. Das Wasser wirkt wie Blei, grau und träge. Eine Wand aus Wolken und Regen zieht heran. Auf der anderen Straßenseite verbergen fünfstöckige Apartmenthäuser das offene Meer.

Zwischen ihnen breiten sich Grünflächen und Tennisplätze aus, vor ihnen stehen kleine Wachhäuser, die mit ihren Schranken und Flaggen an Grenzposten erinnern. Doch der eigentliche Grund, warum die Gegend ihren Namen trägt, sind die Anwohner. Der Gaza-Streifen ist das Viertel der Leute, die hier als klein gelten. Nichts beschreibt die Dekadenz von Palm Beach besser, als die Geringschätzung des Gewöhnlichen.

Palm Beach vor der Ostküste Floridas ist eine eigene Welt, abgeschnitten vom normalen Amerika. Auf dem nördlichen Teil der Landzunge residiert der amerikanische Geldadel hinter turmhohen Hecken, in Anwesen groß wie Einkaufszentren, europäischen Palais nachempfunden oder lateinamerikanischen Haciendas.

Eine Ferienvilla in Palm Beach ist der immergültige Ausweis des größtmöglichen Erfolgs. Wer es hierher geschafft hat, ist oben angekommen und wird Nachbar von Rod Stewart, Donald Trump und den Kennedys. Der Ort mit seinen Palmenalleen ist prächtig und doch dezent. Die Bewohner geben sich Mühe, dass ihr enormer Reichtum unsichtbar bleibt - und dass sich Besucher nicht willkommen fühlen.

"Die Leute ziehen sich zurück"

Es gibt kaum öffentliche Zugänge zum Strand. Und wo es sie gibt, fehlen Parkplätze und Toiletten. Die Gemeinde, die sich als Insel der Glückseligkeit vermarktet, ist auf barsche Abweisung gegründet. Und seit sie als Schauplatz des größten Schwindels der Finanzgeschichte Schlagzeilen macht, scheinen die Hecken noch höher gewachsen und die Einwohner noch verschwiegener geworden zu sein. Palm Beach ist das Epizentrum des Madoff-Skandals. Doch den Namen des Betrügers nimmt kaum einer in den Mund.

"Die Leute ziehen sich zurück", sagt Margrit Bessenroth. "Aus Scham über ihren Verlust." Seit 40 Jahren lebt die Deutsche in Palm Beach. Ihr schallendes Lachen ist ortsbekannt und der Schönheitssalon, den sie im Zentrum betreibt, eine beliebte Adresse. Frauen und Gespielinnen der Multimillionäre lassen sich hier unerwünschte Härchen zupfen oder das Gesicht mit Botox glätten. Margrit Bessenroth hat ihren Betrieb erst vor zwei Jahren vergrößert, doch die Räume sind menschenleer. "Das ist normal", sagt sie. Schließlich sei der Sommer Nebensaison. Dennoch ist sie nervös. Sie fragt sich, was alle Unternehmer in Palm Beach beschäftigt: "Werden die Kunden zurückkommen, wenn die Saison wieder losgeht?" Die Zukunft ist ungewiss im ersten Jahr nach Madoff.

Der New Yorker Finanzier Bernard Madoff hat gestanden, ein gewaltiges Schneeballsystem betrieben zu haben. 65 Milliarden Dollar verbuchte er in seinen Bilanzen. Doch statt darauf die versprochenen Renditen zu erwirtschaften, zahlte er alten Investoren aus, was er bei neuen eintrieb, bis kaum noch etwas übrig blieb. An diesem Montag wird ein Bezirksgericht in New York über das Strafmaß urteilen. 150 Jahre Haft fordert die Staatsanwaltschaft, zwölf die Verteidigung. Es wird das letzte Kapitel im Streitfall United States vs. Bernard L. Madoff, aber die Folgen des Betrugs werden noch lange zu spüren sein.

Juden, Protestanten und Neureiche

Madoff war das, was man in Florida "Snowbird" nennt. Im Winter zog es ihn in sein Ferienhaus am Palm Beach Country Club, wo er ein hochangesehenes Mitglied war. Gesellschaftliche Barrieren bestimmen das Leben in Palm Beach. Der Country Club ist der Club der Juden. Die Protestanten haben den Everglades Club und die Neureichen das Mar-a-Lago. Man bleibt unter sich und so waren die meisten Opfer von Madoff Juden.

Die Villa des Betrügers ist verwaist. Der Staat hat sie beschlagnahmt, seit Freitag steht sie zum Verkauf. Etwa zehn Millionen Dollar ist das zweistöckige Haus am North Lake Way wert. Nicht viel in Palm Beach. Madoff gab sich bescheiden und zurückhaltend, gerade das machte ihn so begehrt. Jeder im Ort wusste: Der Mann ist eine Koryphäe an der Wall Street. Auf dem Golfplatz beknieten ihn die Investoren, er möge ihr Geld in seine Fonds aufnehmen. Als der 71-Jährige im vorigen Dezember verhaftet wurde, verfiel die Gemeinde in einen Schockzustand.

Existenzangst - die Bürde der einfachen Bürger - hatte Einzug gehalten in der noblen Abgeschiedenheit. Die meisten der 300 Mitglieder des Palm Beach Country Club hatten Geld bei Madoff angelegt, genau wie Dutzende anderer Insulaner. Ihre Verluste haben Auswirkungen auf den gesamten Ort. Die Stadtverwaltung spart, Läden schließen oder entlassen Personal, und Luxushotels wie das legendäre Breakers bieten ihre Suiten zu Schleuderpreisen an.

Dazu kommt das Misstrauen: Was wussten die Finanzberater, die in vielen Fällen den Kontakt zu Madoff herstellten? Waren sie Teil der Verschwörung? Einige womöglich schon. Gerade hat die Börsenaufsicht Klage gegen Palm-Beach-Bewohner und Vermögensverwalter Robert Jaffe erhoben. Doch was die Gemeinde derzeit am meisten beunruhigt: Madoffs Betrug hat den Nährboden für Verteilungskämpfe bereitet. Wer noch im November sein Geld abbuchte, brachte sein Vermögen samt Zinsen in Sicherheit, bediente sich aber faktisch aus den Ersparnissen derer, die weiter investieren wollten. Schließlich waren die Erträge ja nur erfunden. In ersten Verfahren gehen die Madoff-Anleger schon aufeinander los.

Exklusiver Kreis

Die Liste der Opfer ist lang. Banken sind darunter, Hedgefonds, Stiftungen und Tausende Privatanleger. Madoff versprach seinen Klienten eine jährliche Rendite von etwa zehn Prozent, besser als der Markt, aber nicht phantastisch, wie es andere Gauner machten und so das Misstrauen der Aufsichtsbehörden schürten. Nicht Gier trieb Madoffs Investoren in die Falle, sondern der Wunsch nach Beständigkeit.

Einer der Geprellten ist der 67-jährige Richard Roth. In den achtziger Jahren hatte er seine Firma verkauft, ein Importgeschäft für Sportkleidung. Ein Freund stellte den Kontakt zu Madoff her. "Madoff hatte einen tadellosen Ruf", sagt Roth. "Er galt als der Beste." Sein Renommee konstruierte der Schwindler mit meisterhaftem Geschick. Er nahm nicht jeden in seine Fonds auf.

Seine Anleger waren ein exklusiver Kreis, was den Wunsch der anderen, hinein zu gelangen, noch verstärkte. Madoff als Vermögensverwalter zu haben, war als Statussymbol in Palm Beach ebenso wertvoll wie eine 20-Meter lange Motoryacht oder eine 30 Jahre jüngere Frau. Roth dachte, er habe Glück gehabt, als er etwa zehn Millionen Dollar bei Madoff anlegte.

Heute zählt er zu den Privatinvestoren mit den größten Verlusten. Auch Margrits Freund hätte Madoff nur zu gern sein Geld gegeben. Auch er heißt Richard. Er sitzt auf der Dachterrasse über dem Schönheitssalon und pafft an seiner Zigarre. Er ist Jude. "Insofern hätte ich schon dazu gepasst. Aber finanziell war ich für ihn nicht interessant genug", sagt Richard.

"Ich bin ja nur ein Arzt." Richard geht rüber zum Grill und legt ein paar Burger auf den Rost. Ein Bekannter hat sich zum Essen angemeldet. Der 90-jährige Harold kommt in Ralph Lauren Shirt und kurzen Khakis. Er versteht die ganze Aufregung um Madoff nicht. "Ich habe schon schlimmere Tage gesehen", sagt er und erzählt von der großen Depression. "Damals haben alle ihr Geld verloren. Nicht nur die Reichen."

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SZ vom 29.06.2009/hgn
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