Betrug am Telefon:Bei Anruf Gefahr

Mit haarsträubenden Tricks schaffen es Betrüger, Menschen am Telefon Gewinne vorzugaukeln. Tatsächlich aber werden die Angerufenen abgezockt. Ihr Geld sehen sie nur selten wieder - auch weil sich die Behörden bei Verfolgung dieser Geschäfte schwer tun.

Klaus Ott

Die Mahnbescheide, die ein Anwalt aus Gelsenkirchen bis vor einigen Monaten an diverse Leute in ganz Deutschland verschickte, waren ziemlich heftig. Die Damen und Herren hätten sich telefonisch für eine Vielzahl von Gewinnspielen angemeldet, aber nicht gezahlt. Binnen zwei Wochen müssten die Teilnahmegebühren in Höhe von 89 Euro beglichen werden, hinzu kämen noch 46,50 Euro an Anwaltsentgelten und Mahnkosten. Nach fruchtlosem Ablauf der Frist könnten erhebliche Unannehmlichkeiten entstehen, bis hin zu Konto- und Gehaltspfändungen. Der Anwalt machte die Forderungen für angebliche Glücksspiele geltend, die mal Win-Express und mal Win-Fuchs hießen. Der Jurist drohte sogar, wegen Betrugsverdachts notfalls die Staatsanwaltschaft einzuschalten, falls nicht endlich gezahlt werde.

Verbraucherschützer kämpfen gegen Telefonwerbung

Wahllos werden Menschen von Betrügern angerufen - und abgezockt.

(Foto: dpa)

Bei der Justiz ist die Sache inzwischen auch gelandet, allerdings ganz anders als angekündigt. Die Staatsanwaltschaft Essen ermittelt gegen mehrere Geschäftsleute aus dem Ruhrgebiet, weil sie sich zu einer betrügerischen Bande zusammengeschlossen haben sollen. Auch der Gelsenkirchener Anwalt, der mit der Bande gemeinsame Sache gemacht haben soll, hat Ärger mit der Justiz. Gegen ihn wurde ein gesondertes Verfahren eingeleitet.

Nach Erkenntnissen der Essener Strafverfolger haben die Geschäftemacher von ihren Firmen wie Future Call wahllos Personen aus dem ganzen Bundesgebiet anrufen und ihnen vorgaukeln lassen, sie hätten an einem zunächst kostenlosen Glücksspiel im Internet teilgenommen und dann die Kündigungsfrist versäumt. Nun müssten sie knapp 90 Euro zahlen, dafür müsse man ihre Kontodaten abgleichen. Tatsächlich aber, notierte das Essener Amtsgericht in einem Durchsuchungsbeschluss für zahlreiche Firmen und Wohnungen, habe es gar kein Gewinnspiel gegeben.

Betrugssumme: Zehn Milliarden Euro

Viele Leute sind auf die Machenschaften hereingefallen, ihnen wurde das Geld abgebucht, manchmal sogar mehrmals. Nachdem einige von ihnen Strafanzeige gestellt hatten, nahm sich die Essener Staatsanwaltschaft des Falls an, durchsuchte die betreffenden Firmen und verhaftete einige der Beschuldigten. Das Kriminalkommissariat 34 in Essen kam zu dem Ergebnis, 82.000 vorwiegend ältere Menschen seien um insgesamt rund zehn Millionen Euro betrogen worden.

Die drei mutmaßlichen Haupttäter hätten teilweise vom Ausland aus mit Briefkastenfirmen agiert, um nicht ertappt zu werden. Erwischt wurden sie trotzdem, nun müssen sie wegen besonders schweren gewerbsmäßigen Betrugs mit langen Freiheitsstrafen rechnen. So steht es in einem Report der Essener Kriminalpolizei.

Der Fall aus Essen ist exemplarisch. Betrug am Telefon, das ist eine Masche, die in Deutschland seit einigen Jahren immer häufiger praktiziert wird und unter der immer mehr Bürger leiden. Und nur selten gelingt es dem Staat, diesem trüben Treiben konsequent Einhalt zu gebieten. Die Essener Ermittlungserfolge sind eher die Ausnahme als die Regel. Wie schwer sich Politik, Polizei, Justiz und Behörden tun, das dokumentiert ein interner Bericht der Bundesnetzagentur in Bonn vom Juli 2010. Die Netzagentur mit Sitz in Bonn ist dem Bundeswirtschaftsministerium zugeordnet, sie soll Bahn und Post, den Strom- und Gasmarkt sowie die Telekommunikationsbranche kontrollieren. Beim Telefon gelingt das aber kaum, auch deshalb, weil die Zusammenarbeit zwischen den Behörden oft nicht klappt, zum Leidwesen der Verbraucher.

Nicht greifbare Firmen

Mal sind, wie in dem Kriminalfall in Essen, Polizei und Justiz alleine zuständig. Um andere mutmaßliche Betrugsfälle sollen sich sowohl die Netzagentur als auch Polizei und Staatsanwaltschaften kümmern. Das gilt für den Missbrauch von 0900-Servicenummern, der kein Ende nimmt. Hier landen Leute, die bei irgendwelchen Glücksspielen angeblich tolle Autos gewonnen haben und nun zurückrufen sollen. Sie hängen dann in teuren Warteschleifen fest und werden abgezockt. Wer sein Geld zurückhaben will, stößt dem internen Bericht der Netzagentur zufolge vielfach auf Firmen, die im Ausland sitzen und nicht greifbar sind. Staatsanwaltschaften, die hier einschreiten könnten, sind meist auch keine große Hilfe. Das geht ebenfalls aus dem Bericht hervor. Und schärfere Gesetze, die Abhilfe schaffen könnten, sind nicht in Sicht.

Die Falschen gewinnen

Geschröpften Verbrauchern bleibt einstweilen wohl nur die Hoffnung, mit Strafanzeigen zufällig doch bei Ermittlern zu landen, die hart durchgreifen. Wie eben die Kriminalbeamten in Essen, die bei ihrer Fahndung tiefe Einblicke in ein dunkles Milieu erhielten und manchmal auf makabre Begebenheiten stießen.

Ein Mitarbeiter von Future Call, eines der in Verdacht geratenen Callcenter, sagte als Zeuge aus, er habe einmal eine Frau angerufen und gefragt, ob er deren Sohn sprechen könne. Die Frau habe geantwortet, der Sohn sei schon seit sieben Jahren tot. Den Grund für dieses peinliche Malheur fanden die Ermittler schnell heraus. Die Betreiber des mutmaßlich kriminellen Firmen-Netzwerks hatten über Jahre hinweg offenbar wahllos Daten von Verbrauchern gesammelt und gekauft. Wer in diesen Listen auftauchte, wurde einfach angerufen, um ihn mit vermeintlichen Gewinnspielen abzuzocken. Darunter könnten sogar alte Kunden der Süddeutschen Klassenlotterie (SKL) gewesen sein, einer staatlichen Glücksspielgesellschaft.

Wilder Datenhandel

Einer der beschuldigten Geschäftsleute erzählte der Kripo bei einem umfassenden Geständnis, wie es in diesem teilweise von Leuten aus dem Balkan beherrschten Abzocker-Milieu zugehe. Da werde wild mit Verbraucherdaten gehandelt, die teilweise geklaut seien. Für mehrere tausend Kundendaten von Callcentern bekomme man mehrere hunderttausend Euro. Er selbst habe früher bei Callcentern auch Lose für die SKL verkauft und vor zwei Jahren dann einen Mann in Aachen kennengelernt, der einen Eintragsservice für Gewinnspiele betrieben habe. Dem habe er 6000 bis 7000 Adressen von alten SKL-Kunden verscherbeln wollen, die auf einer CD gespeichert gewesen seien. Der Mann in Aachen habe die CD in seinen Computer gesteckt und gleich unbemerkt kopiert. In dieser Szene betrügt man sich gerne auch gegenseitig.

Die SKL hatte ihre Lose bis vor einigen Jahren auch über Callcenter am Telefon vertrieben, ehe die Beschwerden genervter Verbraucher überhand nahmen. Daraufhin verboten die Bundesländer, die das staatliche Glücksspiel betreiben, ihren eigenen Lotterien diese Art der Akquise. Private Firmen, unter denen sich viele schwarze Schafe befinden, dürfen jedoch weiterhin bei den Bürgern anklingeln und alles mögliche feilbieten. Hier sind Bundesregierung und Bundestag zuständig, und für die ist ein Verbot des Telefon-Marketings kein Thema.

Wüste Tricks

Mutmaßliche Kriminelle nutzen das gnadenlos aus. Bei Future Call in Essen bekamen die Mitarbeiter einen 16-seitigen Leitfaden in die Hände gedrückt, wie sie Leute mit angeblich tollen Gewinnen ködern und dazu überreden sollten, ihre Kontonummern herauszurücken. Falls die angerufenen Personen Einwände hätten, solle man an die Flutkatastrophe von 2002 in Ostdeutschland erinnern, lautete einer von vielen Tipps. Der Mitarbeiter des Callcenters solle behaupten, er habe damals Geld durch eine Organisation abbuchen lassen, die in einem Fernseh-Spot für Spenden geworben habe. Bis heute sei ihm, dem Mitarbeiter des Callcenters, kein Fall bekannt, bei dem Lastschriften gegen den Willen des Kontoinhabers erfolgt seien. Das sei auch der Grund, warum die Stiftung Warentest das Abbuchen vom Konto ohne vorherige Unterschriften für Einkäufe im Internet, am Telefon und in Katalogen empfehle.

Der Leitfaden enthielt noch mehr solcher Geschichten, und er wurde wohl auch fleißig genutzt. Die Kripo hat viele Telefonate abgehört. Darunter eines, bei dem eine Frau sich bei einem anderen Callcenter beschwerte, sie habe ein Schreiben erhalten, dass sie an einem Gewinnspiel teilnehme. Die Frau erklärte, sie könne sich das doch gar nicht leisten. Die Mitarbeiterin des Callcenters entgegnete, erst vergangene Woche habe einer ihrer Kunden 20.000 Euro gewonnen. Die Frau ließ sich überreden, einstweilen mitzumachen und erst später zu kündigen.

Die Essener Ermittler haben inzwischen Vermögen der Verdächtigen beschlagnahmt, damit die Kunden ihr Geld zurückbekommen. Ob das viel Erfolg hat, ist fraglich. Die Geschäftemacher haben frühzeitig große Beträge in die Schweiz gebracht. Einer der Beschuldigten erzählte den Fahndern, er habe dort einen Anwalt getroffen und ihm 180.000 Euro in bar gegeben. Jenem Anwalt aus Gelsenkirchen, der zuvor zahlungsunwilligen Kunden so heftig zugesetzt hatte. Es ist wie beim Glücksspiel. Einer gewinnt immer. In diesem Fall offenbar der Falsche.

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