Süddeutsche Zeitung

Betrüger Bernard Madoff:Die Biederkeit des Bösen

Bei einer spektakulären Auktion kommen die Besitztümer des Milliardenbetrügers Bernard Madoff unter den Hammer. Die Bieter wollen ein Stück Geschichte kaufen - oder Rache üben.

Moritz Koch, New York

Ein Urschrei eröffnet das Spektakel. Von hinten hallt er durch den Saal, ein Ausstoß flammender Leidenschaft. YEAH! Und gleich noch einmal: YEAH! Die vorderen Reihen verdrehen die Köpfe. Dann springt das Feuer auf sie über. Die Auktion kommt in Fahrt - und der Preis schießt in die Höhe. Mit jedem Schrei steigt er um hunderte von Dollar.

Diamantohrringe im Art Deco Stil sind das Objekt der Begierde. Von dezenter Schönheit sind sie, nicht ungewöhnlich zwar, aber trotzdem einzigartig. Die Schmuckstücke zierten einst die Frau von Bernard Madoff, dem größten Ganoven in der Geschichte der Wall Street. Erst bei 70.000 Dollar verstummen die Schreie. Der Auktionator auf der Bühne wiederholt den Preis in einer rhythmischen Dauerschleife, schneller und schneller wird der Silbenschwall.

Ein gutes Geschäft für einen guten Zweck

Die Zunge des Mannes überschlägt sich, sein Kopf färbt sich rot. Nach einer Minute ist das Schauspiel vorbei. Abrupt beendet der Auktionator das Kauerwelsch. "Letzter Aufruf", sagt er und einen Sekundenbruchteil später: "Stück verkauft!" Beifall brandet auf. 70.000 Dollar! Der vorab geschätzte Preis betrug 9800 Dollar. Es ist ein gutes Geschäft für einen guten Zweck: Der Erlös aus der Versteigerung des Nachlasses von Madoff soll an seine Opfer fließen.

700 Leute füllen an diesem verregneten Tag den Ballsaal des New York Sheraton Hotels. Die New Yorker Gerichtsvollzieher haben ein texanisches Auktionshaus mit der Versteigerung beauftragt - und so geht es zu wie auf einer Viehmesse. Ein halbes Dutzend Saaldiener behält die Bieter im Auge. Die scheuen Gesten der Kaufbereiten übersetzen sie in Lärm. Ein Wink, ein Schrei. Die Wildwestmanieren sollen Gier schüren, einen Kaufrausch entfachen und die Preise in die Höhe treiben. Es funktioniert: Auf einen Erlös von 500.000 Dollar hatte Madoff-Treuhändler Irving Picard gehofft. Mehr als eine Million Dollar werden es am Ende sein. Der Ansturm auf Madoff-Memorabilien ist weit größer als erwartet.

Armbanduhren, Pelzmäntel und Handtaschen

Einige Bieter sind gekommen, um ein Stück Geschichte zu kaufen. Andere, um Rache zu nehmen. "Madoff hat meine Familie bestohlen", sagt der Angehörige eines Opfers, der seinen Namen verschweigt. "Ich bin hier, um mir etwas davon zurückzuholen." Wieder andere treibt Sinnstiftung an. "Ich bin davon überzeugt, dass etwas Gutes aus etwas Üblem entstehen kann", verkündet Sandy Mole. Er hat sich seine Jacke unter den Arm geklemmt und tingelt im Foyer von Kamera zu Kamera, um seine Botschaft zu verbreiten. Vergleichsweise profan ist das Motiv von William Shaw: "Warum ich hier bin?", fragt der Wirtschaftsstudent zurück, ein schmächtiger Kerl, der Kaffee aus einem Pappbecher schlürft. "Ich will Weihnachtsgeschenke kaufen. Etwas mit einem ganz eigenen Jazz. Ein Madoff-Aschenbecher, das wäre doch cool."

Oben im Ballsaal kommt das nächste Stück unter den Hammer. Es gibt noch viel zu tun. Der gesamte Haushalt der Madoffs wird versteigert, zusammengetragen aus dem Luxusappartement des Paares in Manhattan und ihren Ferienhäusern auf Long Island und Palm Beach. Edler Schmuck und noble Kleidung sind ebenso darunter wie wertlose Souvenirs. Armbanduhren, Pelzmäntel und Handtaschen. Bojen, Angelkoffer und Blinker. Golfschläger, Briefmarken und Holzenten. Eine Gummihose, eine Baseball-Jacke und ein Regenschirm. Die Banalität des Bösen erkennt die New York Times in all dem Krempel.

Der Name Madoff steht in Amerika für abgrundtiefe Niedertracht. Er hatte ein Schneeballsystem betrieben und mit einfachsten Tricks die Finanzaufsicht genarrt. Sein jahrzehntelanger Schwindel hat Anlegern einen Schaden von mindestens 20 Milliarden Dollar zugefügt, tausende Familien ruiniert und mehrere Firmen in die Pleite getrieben.

Villen statt Paläste

Viele seiner Opfer kannte Madoff persönlich. Sie stammten wie er aus der jüdischen Gemeinde von New York. Auch Richter Denny Chin sah in den Taten des Financiers eine "außergewöhnliche Bösartigkeit", als er ihn im Juni zu 150 Jahren Gefängnis verurteilte.

Obwohl Madoff ein Luxusleben führte, galt er als bodenständig. In den Kreisen des amerikanischen Geldadels, in denen er sich bewegte, machte sich sein Stil geradezu bescheiden aus. Seine Ferienhäuser waren Villen, aber keine Paläste, seine Boote waren Motoryachten, aber keine Ozeankreuzer. Auch die New Yorker Gerichtsvollzieher gaben sich mäßig beeindruckt, als sie der Presse am Freitag einen ersten Blick auf Madoffs Vermächtnis gewährten. Bei anderen Ganoven hätten sie weit mehr Prunk sichergestellt, sagten sie. Ein Drogenboss etwa habe eine mit Rubinen überzogene Heiligenfigur besessen. Solche Extravaganz gab es im Haushalt der Madoffs nicht. Das Paar umgab sich mit einer Mischung aus Gediegenheit und Biederkeit.

Zurückhaltung als Tarnung

Diese Zurückhaltung war Madoffs Tarnung, ein Teil seiner Masche. Er erschlich sich das Vertrauen der Anleger mit relativer Genügsamkeit: Seht her, schien er zu sagen, es geht mir um eurer Vermögen, nicht um meinen Reichtum. Auch versprach Madoff keine exorbitanten Renditen, sondern stand für Stabilität. Madoff nahm nicht jeden auf in seine Fonds, er ließ sich bitten. Wer bei ihm investieren wollte, brauchte eine Einladung oder gute Kontakte. Das verstärkte den Wunsch der Anleger noch, dem genialen Bernie ihr Geld zu überlassen. Doch dann bereitete die Finanzkrise dem Betrug ein Ende. Verschreckt durch den Crash an der Wall Street wollten viele Anleger gleichzeitig an ihr Geld. Madoff kam mit den Auszahlungen nicht nach und stellte sich der Polizei. Fast ein Jahr ist das nun her.

Bei seiner Verurteilung im Sommer nahm Madoff alle Schuld auf sich, doch die Staatsanwaltschaft ist sich sicher, dass er eine Reihe von Komplizen hatte. Zwei Verdächtige verhaftete sie am Freitag, die Computerprogrammierer Jerome O'Hara und George Perez. Den Hinweis auf ihre Verwicklung gab Madoffs frühere rechte Hand, Frank DiPascali. Er arbeitet mit den Behörden zusammen und hofft so, sein eigenes Strafmaß zu reduzieren.

Marke Madoff

Madoff Fraus Ruth blieb bis heute unbehelligt. Sie lebt weiter in New York, auch wenn sie ihr Luxusappartement an der Upper East Side gegen eine Mietwohnung tauschen musste. Ihr Mann schmachtet derweil in einem Gefängnis in North Carolina und graviert Türschilder. Möglicherweise werden auch sie bald Sammlerstücke sein. Die Auktion im Sheraton zeigt jedenfalls: Die Marke Madoff zieht, vielleicht mehr als je zuvor.

Und so muss William Shaw nach ein paar Stunden aufgeben. Er hatte auf ein Schnäppchen gehofft, vergebens. Der Aschenbecher, den er sich ausgeguckt hatte, wird für 800 Dollar versteigert, zu viel für einen Studenten. "Absurde Preise", murmelt Shaw und sagt dann: "Wenigstens ist es ein guter Tag für Madoffs Opfer." Ja, vielleicht. Doch was sind schon Erlöse von einer Million gegen Verluste von 20 Milliarden?

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