Berufsunfähigkeit:Nur jeder Fünfte ist geschützt

Eigentlich ist sie "unverzichtbar", dennoch wird sie häufig vernachlässigt: Viel zu wenige Arbeitnehmer schließen eine Berufsunfähigkeitsversicherung ab. Dabei geraten Betroffene oft in eine existenzbedrohende Lage.

Alina Fichter

Jedes Mal, wenn Michael Wortberg diese Zahl an die Wand wirft, hören ihm die jungen Menschen plötzlich zu, die sich gerade noch gelangweilt vom Vortragenden abgewendet haben: Wird ein Mann Mitte 20 berufsunfähig, etwa durch einen Unfall, muss er bis zur Rente Einnahmeausfälle von über einer Million Euro verkraften. Er steht dann nicht nur vor der Frage: Wie werde ich wieder gesund? Sondern auch vor dem Problem: Wovon soll ich jetzt leben?

NOTAERZTE DROHEN MIT ARBEITSVERWEIGERUNG

Wenn der Notarzt kommen musste, kann die Folge Berufsunfähigkeit sein. Arbeitnehmer sollten für diesen Fall vorsorgen - durch den Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung.

(Foto: ddp)

"Berufsunfähigkeit gefährdet die Existenz", sagt Wortberg, Verbraucherschützer in Rheinland-Pfalz, "daher sollte sich unbedingt jeder absichern. Wer das nicht tut, handelt fahrlässig." Obwohl die meisten Menschen das wissen, ist nur jeder fünfte Deutsche ausreichend geschützt.

Auf die gesetzliche Rentenversicherung kann sich seit 2001 keiner mehr ausschließlich verlassen. Sie zahlt für einen sogenannten Erwerbsgeminderten ab dem Jahrgang 1961 nur noch in voller Höhe, wenn er weniger als drei Stunden täglich arbeiten kann.

Das ist aber nur selten der Fall. Wenn doch, bekommt ein westdeutscher Mann durchschnittlich 758 Euro monatlich. Das reicht den wenigsten, um ihren Lebensstandard zu halten. Wer noch zwischen drei und sechs Stunden arbeiten kann, erhält nur eine halbe Rente, der Rest geht leer aus.

Bei Vorerkrankungen wird es komplizierter

"Unverzichtbar" sei daher eine private Berufsunfähigkeitsversicherung (BUV), sagt auch Hermann-Josef Tenhagen, Chefredakteur von Finanztest. "Sie sollte so früh wie irgendwie möglich abgeschlossen werden", rät er. Dann seien die Beiträge niedriger und der Gesundheitszustand meist noch einwandfrei. Sobald Vorerkrankungen festgestellt werden, wird der Abschluss einer BUV häufig problematisch.

Versicherer machen Antragstellern bereits das Leben schwer, wenn sie nur an Heuschnupfen leiden oder vor Jahren einmal Knieschmerzen hatten. "Das liegt daran, dass es für die Unternehmen im Schadensfall richtig teuer wird", sagt Tenhagen.

Deswegen lehnen sie auch immer öfter Anträge ab. Fast immer sind Krankheiten - echte oder von den Versicherern befürchtete - der Grund dafür. Dennoch empfiehlt Tenhagen, alle Vorerkrankungen detailliert anzugeben. Das verlangen die Versicherer in ihren Antragsformularen. Hier zu schummeln lohnt sich nicht: Das Risiko ist groß, im Ernstfall leer auszugehen. Versicherer berufen sich dann meist darauf, sie hätten den Vertrag nicht abgeschlossen, wenn sie richtig informiert worden wären - und zahlen die vereinbarte Rente nicht.

"Lebensversicherer sieben immer stärker"

Für Menschen mit hohem Risiko, berufsunfähig zu werden, sind die Beiträge grundsätzlich höher, Dachdecker zahlen beispielsweise mehr als Notare. "Lebensversicherer sieben immer stärker. Gesunde Kunden werden mit günstigen Prämien gelockt. Für andere, die den Schutz dringender brauchen, wird es dagegen teurer", sagt Michael Franke von der Versicherungsratingagentur Franke & Bornberg.

Tatsächlich müssen Menschen mit Vorerkrankungen häufig um einen ausreichenden Schutz bangen. Für sie ist es sinnvoll, bei mehreren Versicherern anonyme Voranfragen per E-Mail zu stellen. Wer seinen Namen verrät und einmal abgelehnt wurde, hat es schwer, anderswo einen guten Vertrag zu bekommen.

Er landet bei der Datensammlung HIS, einer Art schwarzer Liste der Versicherungsbranche. Erst nach fünf Jahren kann er beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) nachfragen, ob seine Daten gelöscht sind - und einen neuen Versuch starten. Fünf Jahre dauert es auch, bis Heuschnupfen und Knieschmerzen aus Sicht der Versicherer verjährt sind.

Wer sich trotz Vorerkrankungen sofort versichern möchte, bekommt häufig nur einen Vertrag angeboten, in dem die betreffende Malaise ausgeschlossen ist. Der Kunde sollte mit dem Versicherungsunternehmen vereinbaren, dass der Ausschluss entfällt, wenn die Probleme während einer bestimmten Frist nicht mehr auftreten. Risikozuschläge sind eher akzeptabel - auch wenn die Beiträge etwas höher ausfallen, ist zumindest der Schutz ganzheitlich.

Erhöhtes Risiko ab 50

Für manche kann es sinnvoll sein, eine BUV gemeinsam mit einer Risikolebensversicherung abzuschließen. "Das ist häufig nur unwesentlich teurer", sagt Finanztest-Chef Tenhagen. Dagegen rät er ausdrücklich davon ab, die BUV mit einer Kapitallebensversicherung zu kombinieren: Will man die Beiträge für die Lebensversicherung einmal eine Zeit lang aussetzen, und das ist bei vielen der Fall, dann ist auch der BU-Schutz nicht mehr gewährleistet.

Auch für Gesunde lohnt es sich, die Angebote verschiedener Versicherer zu vergleichen. Dabei sei es wichtiger, auf bestimmte Qualitätskriterien zu achten als auf den Preis, rät Verbraucherschützer Wortberg: Im Vertrag sollte beispielsweise die Höhe der vereinbarten Rente stehen und dass sie auch rückwirkend gezahlt werde.

Auch eine sogenannte abstrakte Verweisung müsse ausgeschlossen sein. Andernfalls müsste beispielsweise ein Chirurg, der nicht mehr operieren kann, als Gutachter weiterarbeiten und bekäme keine BU-Rente von seiner Versicherung. Zudem soll der Vertrag bis zum 67. Lebensjahr laufen. "Ab 50 steigt das Risiko, berufsunfähig zu werden, stark an", sagt Wortberg. Dennoch sollten sich seiner Meinung nach dringend auch junge Menschen mit dem Thema auseinander setzen.

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