Berlin:Vom Schandfleck zur begehrten Wohnanlage

Berlin: Weil hier bis 1973 der Berliner Sportpalast stand und viele Bewohner Sozialhilfe erhielten, wurde die Wohnanlage früher auch "Sozialpalast" genannt.

Weil hier bis 1973 der Berliner Sportpalast stand und viele Bewohner Sozialhilfe erhielten, wurde die Wohnanlage früher auch "Sozialpalast" genannt.

(Foto: Regina Schmeken)

Im Pallasseum leben 2000 Menschen aus 25 Nationen. Die Unterkünfte sind heute sehr gefragt.

Von Lars Klaaßen

Turan Türk kennt hier im Prinzip jeden: "Wenn es irgendwo hakt, rufen die Leute mich an, oft werde ich auch angesprochen, wenn ich durch eines der Häuser oder über den Hof gehe", erzählt der 52-Jährige. Er ist einer von drei Hauswarten, die im Pallasseum nicht nur arbeiten, sondern auch selbst darin leben - einer von etwa 2000 Bewohnern aus 25 Nationen. Die Gebäude an der Kreuzung Potsdamer/Pallasstraße in Berlin-Schöneberg wurden von 1973 bis 1976 gebaut. Seinerzeit galt das Projekt unter Leitung des Architekten Jürgen Sawade als Zukunftsversprechen. Anders als in den engen, oft dunklen Altbauten im Umfeld wurden die Wohnungen hier licht und großzügig konzipiert. Auch die Dimensionen der Wohnanlage zeugen vom Glauben an Machbarkeit in neuen Maßstäben: Ein Gebäuderiegel von etwa 300 Metern Länge liegt mit einer Höhe von 14 Etagen quer über der Pallasstraße, daneben stehen etwas niedriger noch weitere Gebäude, die zwei Höfe umschließen. 514 Ein- bis Vier-Zimmerwohnungen und 16 Gewerbeeinheiten umfasst das Ensemble.

Hier schwor Goebbels die Deutschen einst auf den "Totalen Krieg" ein

Mit dem Projekt wurde nicht nur im großen Stil ein neuer Weg des Städte- und Wohnungsbaus realisiert. Zugleich erhielt der historisch bereits geprägte Ort damit eine Neuausrichtung. Genau hier hatte der Berliner Sportpalast gestanden, berüchtigt durch die Rede des Reichspropagandaministers Goebbels vom "Totalen Krieg" im Februar 1943. Die Halle mit Platz für 10 000 Besucher diente zunächst hauptsächlich als Eislaufbahn, später wurde sie für andere Sportarten angepasst: unter anderem Radrennen, Boxen, Ringen und Reiten. In der damals größten überdachten Arena traten Stars der Sportszene wie Max Schmeling oder Sonja "Häseken" Henie auf. Nach der Machtergreifung inszenierte die NSDAP sich hier regelmäßig.

Im Zweiten Weltkrieg wurde auf der anderen Seite der Pallasstraße ein Hochbunker für das nahe gelegene Fernmeldeamt der Deutschen Post errichtet, jedoch weder vollendet noch vollständig genutzt. Nach dem Krieg konnte der Rohbau aufgrund der Wohnumbauung nicht gesprengt werden. Der Hochhausriegel des Pallasseums scheint am südlichen Ende darauf zu liegen, überbrückt das Gebäude jedoch und steht dahinter auf Stelzen. Erst in den Achtzigerjahren baute die Landesregierung den Bunker mit 4809 Schutzplätzen zur größten "Zivilschutzanlage" Berlins aus. Er diente als Lager für "Notstandsware". 1987 drehte Wim Wenders hier Szenen seines Films "Der Himmel über Berlin". Heute finden regelmäßig Führungen durch den Bunker statt.

Der Sportpalast wurde 1945 bei einem Bombenangriff weitreichend zerstört, aber nach dem Krieg wieder aufgebaut. Musiklegenden wie Bill Haley, Pink Floyd, Louis Armstrong, Jimi Hendrix und Ella Fitzgerald traten hier auf. Da der Betrieb auf Dauer dennoch nicht profitabel war, wurde die Halle 1973 abgerissen. An den Sportpalast und die Rede vom "Totalen Krieg" erinnert heute noch eine Gedenktafel in einem der beiden Höfe des Pallasseums. Eine Anlehnung an den Namen des Vorgängerbaus brachte dem Wohnensemble zwischenzeitlich den unrühmlichen Spitznamen "Sozialpalast" ein.

"Ungünstige administrative Faktoren unter den Vorgaben des öffentlich geförderten sozialen Wohnungsbaus sorgten zunehmend für Probleme", berichtet die Eigentümergesellschaft Pallasseum Wohnbauten KG. "Das vom Bezirksamt Schöneberg ausgeübte Besetzungsrecht bewirkte Fehlentwicklungen in der Mieterstruktur und die sogenannte Fehlbelegungsabgabe die Abwanderung potenter Mieter." Türk, der seit 1992 hier wohnt und seit 1998 als Hauswart tätigt ist, erinnert sich ungern an die Zustände in den Neunzigerjahren: "Hier lungerten Drogendealer herum, es gab Raubüberfälle, und die Anlage war von Vandalismus gezeichnet." Auch Kakerlaken hatten die Wohnungen heimgesucht. 1998 standen von den 514 Wohnungen 136 leer. Von politischer Seite wurde über einen Abriss diskutiert.

Daraufhin setzte die Eigentümergesellschaft ein neues Verwaltungskonzept durch, das mehr Entscheidungsfreiheit ließ, auch bei der Gestaltung der Mieterstruktur. Die Gebäude wurden für etwa 6,5 Millionen Euro grundlegend saniert und renoviert. So wurden unter anderem Eingänge und Aufzüge erneuert, Einbauküchen installiert und das Treppenhaus verglast. In der Folge wurde zudem eine eigene Handwerkerabteilung aufgebaut, um Mängel schnell zu beseitigen. Mit Blick auf soziale Missstände zog das Quartiersmanagement mietfrei ins Pallasseum. Das vierköpfige Team geht auf die Anwohner zu, um Leben und Wohnen im Gebäude sowie im gesamten Kiezumfeld zu verbessern. Um die Eigenverantwortlichkeit der Mieter und deren Zusammenhalt zu fördern, wurde ein Mieterbeirat gebildet.

Dieser Wandel sollte auch nach außen sichtbar gemacht werden. So nahmen die Bewohner 2001 an einem Namenswettbewerb teil. Das Ergebnis: Aus dem "Sozialpalast" wurde das "Pallasseum". Der Vorschlag kam von einem 12-jährigen türkischen Mädchen und überzeugte so nachhaltig, dass auch die ursprünglich "Wohnen am Kleistpark Klaus J. Lehmann KG" genannte Eigentümergesellschaft ihren Namen in "Pallasseum Wohnbauten KG" änderte. Gut für den Ruf war im Jahr darauf auch die Grundsanierung des Brandenburger Tors. Es wurde während der Arbeiten mit einer Plane vom Künstler Michel Majerus verhüllt, die mit der Fassade des Pallasseums bedruckt war. 2006 griffen die Bewohner das Motto der Fußball-WM "Die Welt zu Gast bei Freunden" auf. Im Hochhaus behängten sie ihre Balkone zur Potsdamer Straße hin mit allen Flaggen der teilnehmenden Nationen und der bisherigen Weltmeister. Dazu kamen ein Spruchband zur Begrüßung der WM-Gäste und weitere Flaggen von jenen Nationen, deren Angehörige im Haus leben.

Heute beziehen 40 Prozent der Bewohner staatliche Unterstützung. Im Unterschied zu früher stimmen aber nun die soziale Mischung und das Miteinander. Dafür sorgt auch Türk. "Wenn einzelne Mieter auffallen, weil sie zum Beispiel den Müll nicht richtig entsorgen, sind wir da hinterher", sagt der Hauswart. "Wir achten alle aufeinander, so funktioniert das Zusammenleben - auch wenn hier viele verschiedene Menschen zusammenleben." In den vergangenen zehn Jahren entwickelte sich das Pallasseum zum begehrten Wohnobjekt. Die Berliner Morgenpost schrieb 2005 vom "Kult-Haus". Seit 2010 sind nach zwölf Jahren wieder alle Wohnungen im Ensemble belegt. Bewerber müssen sich heute einige Jahre gedulden.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: