Süddeutsche Zeitung

Berlin:Nah am Wasser gebaut

Wo früher Handel, Gewerbe und Industriebetriebe Lärm und Dreck machten, wollen heute alle hin: ans Ufer. Doch das führt auch zu Streit - wem gehören die besten Lagen?

Von Lars Klaaßen

Stadt am Wasser, das war lange eine Angelegenheit für Handel, Gewerbe und arme Leute. Zum Beispiel "Am Krögel", einer der ältesten Gassen Berlins. Einst befand sich hier ein Stichkanal, der von der Spree zum Molkenmarkt führte, wo heute das Rote Rathaus steht. Weil der Versorgungsweg krumm war, erhielt er seinen Namen, der genau das im Niederdeutschen bezeichnet. Im 13. Jahrhundert wurde der Kanal zugeschüttet und ein Gewirr von Häusern und Höfen entstand dort am Spreeufer: unübersichtlich, verwinkelt, ein verrufenes Quartier. Schon zu Kaisers Zeiten entsprach dieses kleinteilige Ensemble nicht mehr den repräsentativen Hauptstadtansprüchen. 1935 dann wurde der Krögel komplett abgerissen. Mittlerweile sind Orte mit Geschichte en vogue. Die Gasse wurde vor 18 Jahren in ihrem Verlauf nachgestaltet und erhielt 2000 den Namen "Am Krögel" zurück. Überall in Berlin sind auch Wasserlagen nun so begehrt, dass um deren Nutzung und Bebauung gerungen wird.

Auch ohne Küste hat Berlin sehr viele Wasserlagen zu bieten. 6,6 Prozent der Berliner Gesamtfläche ist mit Wasser bedeckt. Das sind 58,9 Quadratkilometer. Allein der Müggelsee und der Große Wannsee umfassen 7,6 Quadratkilometern beziehungsweise 2,7 Quadratkilometer. Am prominentesten fließt die Spree von Ost nach West durch die zentral gelegenen Stadtteile Berlins. Mit Havel und Dahme durchfließen drei Flüsse die Stadt auf einer Gesamtlänge von 89 Kilometern. Das schmale Flüsschen Panke, dem der Bezirk Pankow seinen Namen verdankt, ist da mit gut 20 Kilometern auf Berliner Stadtgebiet noch nicht mitgezählt. Dazu kommen diverse Kanäle mit einer Gesamtlänge von rund 67 Kilometern. Eine Berliner Besonderheit: Aufgrund des Überangebots an Wohnraum in den Neunziger- und Zweitausenderjahren sowie vorhandener Altlasten wurden ehemalige Industrieflächen entlang der Spree erst etwa ab 2010 entwickelt und seitdem sukzessive vor allem mit Wohnhäusern bebaut.

Das prominenteste und größte Stadtentwicklungsprojekt an Berlins Ufern firmiert unter dem Label "Mediaspree". Es bezieht sich auf einen etwa 3,7 Kilometer langen und 180 Hektar großen Raum beider Spreeufer von Mitte über Friedrichshain und Kreuzberg bis Alt-Treptow, wo früher vorrangig Industrie und Gewerbe angesiedelt waren. Ein Teil des Flusses war zu Zeiten der Berliner Teilung Staatsgrenze. Nun entstehen dort Bürogebäude, Hotels und Wohnhäuser. Vor zehn Jahren gründete sich gegen diese Pläne die Initiative "Mediaspree versenken!" und organisierte einen Bürgerentscheid im umliegenden Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. 87 Prozent der Teilnehmer stimmten gegen die Bebauungspläne. Nach Verhandlungen mit dem Bezirk wurden Änderungen beschlossen. Diese "bedeuten noch keinen Richtungswechsel", betont die Initiative. "Die Forderungen des Bürgerentscheids nach 50 Meter Mindestabstand für Neubauten zum Spreeufer, Verzicht auf Hochhäuser und Autobrücken werden nach wie vor nicht umgesetzt." Ein Kritikpunkt: Sterile Luxusbebauung habe Vorrang vor öffentlichen Flächen und Parks. Ausgerechnet einem alternativen Projekt, dem genossenschaftlich organisierten Holzmarkt, droht nun die Insolvenz. Das "urbane Dorf" ist in einen komplexen juristischen Streit mit der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Gewobag verwickelt, die dort am Spreeufer auch bauen will. Bezirk und Senat versuchen derzeit, zu vermitteln.

"Bei den Auseinandersetzungen darum, wer in welcher Form die Wasserlagen in der Stadt nutzen darf, treffen konträre Partikularinteressen aufeinander, wie auch an anderen Orten, hier aber intensiver", sagt der Berliner Architekt Tobias Nöfer. "Denn Orte am Wasser sind besonders gefragt und knapp." Die Politik müsse ihren Gestaltungswillen stärker durchsetzen, etwa Nutzungsarten vorschreiben, um eine angemessene Mischung zu erzielen.

"Alle Bürger der Stadt müssen sich da wiederfinden, nicht nur Unternehmen oder Investoren, aber auch nicht nur die Hipster, die auf den Brachen Partys feiern." Nöfer hat zwei Wohntürme namens Upside Berlin entworfen, die unweit des Spreeufers gebaut werden. Die beiden Gebäude mit Höhen von 96 und 86 Metern beherbergen 179 Eigentumswohnungen über 22 Etagen. Zusätzlich wird es Flächen für Einzelhandel, Gastronomie und Büros geben.

Die Riverside-Living-Areas in Berlin haben in der Regel überdurchschnittliche Kaufpreise für Eigentumswohnungen - der Preis liegt zumeist um 20 Prozent höher als in vergleichbaren Lagen. Differenziert werden die Grundstücke nach "wassernahen Lagen" (zweite und dritte Baureihe), Lagen mit öffentlichem Zugang zum Wasser sowie den Lagen mit direktem Wasserzugang. Innerhalb der Wohngebäude wiederum wird nach direkter Wasserfront- und indirekter Wasserfrontlage unterschieden. In direkter Wasserfrontlage ist das Preisniveau im Durchschnitt ebenfalls um 20 Prozent höher als auf der vom Wasser abgewandten Seite.

In den Riverside-Living-Areas kosten Wohnungen 20 Prozent mehr als in vergleichbaren Lagen

Nah am Wasser gebaut wird längst nicht nur im Bereich der Mediaspree. Einige Kilometer den Fluss abwärts, auf dem Gelände der Königlichen Porzellan-Manufaktur, entsteht ebenfalls ein komplett neues Stadtviertel. Dort lassen unter anderem die irischen Unternehmerinnen Ann und Denise Cannon mit dem Label No.1 Charlottenburg 272 Eigentumswohnungen errichten: Auf dem 11 300 Quadratmeter großen Gelände finden 15 Gebäude Platz, darunter zwei "Riverside Towers" mit neun Etagen direkt am Ufer. Zuletzt wurde das Gelände von der Technischen Universität genutzt, bevor es 2006 von den Schwestern erworben wurde.

"Zehn Jahre später hat die Wohnungsnachfrage ein Niveau erreicht, ab dem sich eine Entwicklung auch wirtschaftlich lohnt," sagt Anne Riney, die bei der Cannon Berlin Group für Verkauf und Marketing zuständig ist. Die Nachfrage wird in Berlin zunehmend internationaler. "Beim Projekt Upside Berlin zählen wir aktuell 64 Prozent internationale Kunden", sagt Sven Henkes, Geschäftsführer der Ziegert Bank- und Immobilienconsulting, die neben Upside Berlin auch No.1 Charlottenburg vermarktet. "Insgesamt haben wir bei unseren Projekten zur Hälfte Berlinerinnen und Berliner sowie je ein Viertel internationale Käufer und Interessenten aus den anderen Bundesländern."

"Viele Berliner, die ein Eigenheim mit Wasserblick erwerben möchten, sind bereit, dafür aus der Innenstadt herauszuziehen," berichtet Bonava-Regionsleiter Helmut Kunze. "Wichtig sei vielen dabei, dass der Kaufpreis im Rahmen bleibe, Luxuswohnungen seien nicht das Thema." Das Immobilienunternehmen entwickelt eine Reihe von Projekten am Stadtrand und im direkten Brandenburger Umland. So baut Bonava am Hennigsdorfer Hafen acht Doppelhaushälften und acht Reihenhäuser. In Werder am Glindower See entstehen in fünf Gebäuden 45 Eigentumswohnungen. Im Spandauer Ortsteil Kladow, an der Havel gelegen, baut Bonava 112 Wohneinheiten, bestehend aus Doppel-, Reihen- und Einfamilienhäusern.

Berlin wächst jährlich um 50 000 Einwohner. Dass die Stadt seit Jahren immer mehr Menschen anzieht, forciert die Nachfrage nach Wohnraum - nicht nur im Zentrum. "Am Stadtrand entwickelt sich zunehmend Geschosswohnungsbau", so Kunze. "Der Bedarf ist groß, auch von Leuten, die nicht gleich ein ganzes Haus bewohnen wollen." Und die Region bietet als Europas größtes Binnengewässernetz auch künftig noch enormes Potenzial.

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Quelle:
SZ vom 07.09.2018
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