Süddeutsche Zeitung

Bericht der Inkassobranche:Warum viele Menschen ihre Schulden nicht begleichen können

  • In Deutschland kommen immer mehr junge Menschen in Zahlungsschwierigkeiten, zu diesem Ergebnis kommt die Inkasso-Branche in einer Untersuchung.
  • Grund sind häufig Verträge mit Fitness-Studios oder Telefonanbietern; ältere Menschen können dagegen oft Miete und Energieversorger nicht mehr zahlen.

Von Benedikt Müller

Es klingt so verlockend: Das neue Smartphone mit Vertrag für null Euro, das neue Auto zu null Prozent finanziert, das neue Sofa für nur 40 Euro im Monat. In Zeiten niedriger Zinsen werben viele Händler mit günstigen Finanzierungen - und treffen damit den Zeitgeist. "Früher hat man gespart, dann gekauft - heute kauft man, und zahlt danach ab", sagt Frank Wiedenhaupt, Schuldnerberater bei der Berliner Stadtmission. Er spüre diesen Mentalitätswechsel täglich, vor allem bei jungen Leuten.

Warum Menschen in Zahlungsschwierigkeiten geraten, hat auch der Bundesverband Deutscher Inkasso-Unternehmen (BDIU) in seiner Jahresumfrage untersucht. In dem Verband ist ein Großteil der Firmen organisiert, die sich um überfällige Forderungen von Unternehmen kümmern - und das Geld von den Kunden eintreiben sollen. Am Donnerstag hat der BDIU seine Ergebnisse vorgestellt. "Verbraucher werden bei ihren Konsumausgaben risikofreudiger - und zugleich nachlässiger, was ihre Rechnungstreue angeht", sagt Vizepräsidentin Marion Kremer.

Zwar sei die Zahlungsmoral hierzulande weiterhin vorbildlich. Die Inkasso-Firmen sehen aber große Unterschiede zwischen den Altersgruppen. "Aktuell haben vor allem jüngere Verbraucher ein schlechteres Zahlungsverhalten", sagt Kremer. Häufig seien teure Konsumwünsche der Grund: Laut der Umfrage haben junge Menschen besonders oft Schulden bei Telekommunikationsunternehmen, Online-Händlern oder Fitness-Studios. Bei älteren Leuten werden die Inkasso-Firmen dagegen oft im Auftrag von Banken, Vermietern oder Energieversorgern tätig.

Jeder zehnte Deutsche soll nachhaltig überschuldet sein

Die Ergebnisse decken sich mit den Erfahrungen von Schuldnerberatern wie Frank Wiedenhaupt. "Viele Haushalte binden große Teile ihres Einkommens auf mehrere Monate hin", sagt der Berliner. Mit Handyverträgen habe die Entwicklung begonnen; dann seien die Monatsraten für neue Möbel oder Reisen dazugekommen. "Wenn dann das Einkommen zurückgeht, können die Haushalte ihre Ausgaben nicht so schnell reduzieren", sagt Wiedenhaupt. In Zeiten befristeter Verträge und prekärer Arbeitsverhältnisse passiere das immer mehr jungen Menschen - sie geraten so in erste Zahlungsschwierigkeiten. Umso wichtiger sei es, dass junge Leute schon in der Schule lernen, mit Geld umzugehen.

Ein weiteres Problem sieht der Schuldnerberater im boomenden Online-Handel. "Spontankäufer kommen da ohne größere Hürden mit zwei Klicks zum Kaufvertrag", sagt Wiedenhaupt. Die befragten Inkasso-Unternehmen bestätigen, sie seien immer häufiger im Auftrag von Online-Händlern tätig.

Bevor eine Inkasso-Firma eingeschaltet wird, müssen Händler selbst versuchen, säumige Kunden zu mahnen und das Geld einzutreiben. Daher haben die klassischen Inkasso-Firmen vor allem mit Menschen zu tun, die viele offene Rechnungen haben. "Das Hauptproblem für Gläubiger bleibt auch im neuen Jahr das Thema Überschuldung", sagt BDIU-Vizepräsidentin Kremer. Die Auskunftei Creditreform schätzt, dass knapp zehn Prozent der Menschen in Deutschland nachhaltig überschuldet sind. Das heißt, sie könnten ihre Schulden auch dann nicht bedienen, wenn sie ihre Ausgaben stark einschränken würden. In die Überschuldung geraten besonders oft Arbeitslose oder Geschiedene, zeigen die Statistiken. Trotz hoher Beschäftigung und gestiegener Löhne ist der Anteil der Überschuldeten zuletzt nicht gesunken.

Kritik an Inkasso-Unternehmen

Das liegt auch an den Inkasso-Firmen selbst, sagt Schuldnerberater Wiedenhaupt. "Die Dienstleister schlagen horrende Gebühren auf den Rechnungsbetrag auf. Dadurch wird es noch schwieriger, aus den Schulden herauszukommen." Beispielsweise reiche die Deutsche Bahn ihre Forderungen gegenüber Schwarzfahrern schnell an Inkasso-Unternehmen weiter. So würden aus 60 Euro Strafe binnen eines Jahres 220 Euro, sagt Wiedenhaupt.

Das Geschäft mit den Mahngebühren haben aber auch viele Betrüger entdeckt, die in E-Mails oder per Post angebliche Zahlungsrückstände eintreiben wollen. "Sehr oft erhalten ältere Mitbürger solche Anschreiben", sagt BDIU-Chef Wolfgang Spitz. "Offenbar soll deren Arglosigkeit ausgenutzt werden." Betroffene sollten die Mahnungen genau prüfen, rät Spitz, und im Rechtsdienstleistungsregister online nachschlagen, ob die Absenderfirma wirklich existiert. Gerade Inkasso-Mails seien meistens gefälscht, warnt die Verbraucherzentrale.

Wenn ältere Menschen wirklich in Zahlungsschwierigkeiten geraten, hat das nach Erfahrung der Schuldnerberater oft mit steigenden Mieten und Energiekosten zu tun. Schulden im Alter können auch dann entstehen, wenn Kosten für Medizin oder Pflege unterschätzt wurden.

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