Beethoven-Festspielhaus:Eine Wohltat für Beethoven

Sponsoren wollen in Bonn ein Festspielhaus errichten - im Wettbewerb sind noch vier Entwürfe, keiner ohne Fehler.

Gottfried Knapp

Man muss es leider so deutlich sagen: Bonn ist zu klein für seinen größten Sohn. Ludwig van Beethoven wurde in Bonn geboren, doch, von seinem dortigen Geburtshaus abgesehen, liegen alle mit seiner Vita verbundenen Erinnerungsstätten außerhalb Deutschlands.

Beethoven-Festspielhaus: Arata Isozaki würde den großen Konzertsaal mit 1586 Plätzen nach dem Vorbild von Scharouns Berliner Philharmonie ausgestalten.

Arata Isozaki würde den großen Konzertsaal mit 1586 Plätzen nach dem Vorbild von Scharouns Berliner Philharmonie ausgestalten.

(Foto: Foto: Deutsche Post AG)

Das Museum im Geburtshaus Beethovens verfügt zwar über die weltweit größte Sammlung von Originalmanuskripten des Meisters; die dortige Bibliothek gilt als eine der wichtigsten musikalischen Forschungsstätten des Landes, und auch mit der fein konservierten Anmutung des Gebäude-Ensembles in der engen Bonner Altstadt, mit seinen fundierten Sonderausstellungen, mit der vorzüglichen digitalen Aufarbeitung des Beethoven'schen Gesamtwerks im Nachbarhaus und mit dem architektonisch wie akustisch begeisternden Kammermusiksaal im anderen Nachbargebäude bietet das Beethoven-Haus auf engstem Raum hohe Qualität, bleibt also dem Rang des Gewürdigten wenig schuldig. Doch was sich die Stadt Bonn darüberhinaus an Musik-Festivitäten zu Ehren ihres großen Sohns geleistet hat, kam über regionalistische Ansätze und guten Willen selten hinaus.

Die Stadt war ja schon mit der Aufgabe, Bundeshauptstadt spielen zu müssen, deutlich überfordert. Und da während der Hauptstadtzeit auf dem Sektor der bildenden Künste in mehreren Instituten mächtig geklotzt wurde, blieben für Anderes - vor allem für die Musik - nur magere Initiativen übrig. Den nationalen Anspruch, den Bonn in Sachen Beethoven zu vertreten hatte, konnten die Bemühungen der Stadt nie ganz erfüllen.

Kompensation des Machtverlusts

Das soll sich nun ändern. Die neuen Herren Bonns, die Chefs der Deutschen Post AG, der Deutschen Telekom AG und der Postbank AG, die aus ihren Verwaltungshochhäusern auf die Stadt herunterblicken, wollen der alten Bundeshauptstadt und neuen Hauptstadt der Telekommunikation ein Beethoven-Festspielhaus spendieren, das den Verlust an bundespolitischer Macht kompensieren, die Gewichte innerhalb der Stadt weiter in Richtung Kultur verlagern und den Weltstar Beethoven endlich wirksam aufs lokale Schild heben, ja seiner Musik ein Forum von Weltrang oder, wie es in der Broschüre der Sponsoren heißt, "World-Class-Architektur mit First-Class-Akustik" bieten soll.

Ein Festspielhaus für 75 Millionen

Auch der Ort, an dem sich Bonn als internationale Festspielmetropole profilieren soll, ist gut gewählt: Das vorgesehene Parkgelände am Rheinufer im Norden der Innenstadt, auf dem sich das jetzige Konzertzentrum, die Beethovenhalle, erhebt, bietet die städtebauliche Chance, den nach dem Krieg kontinuierlich aufgewerteten Quartieren im Süden der Altstadt, also dem ehemaligen Regierungs- und Diplomatenviertel mit der Museumsmeile, dem Rheinauenpark und den eindrucksvollen neuen Verwaltungsbauten, im Norden ein kulturelles Gegengewicht von überregionalem Rang entgegenzusetzen. Mit einem Beethoven-Festspielhaus könnte man die Kulturzone der Stadt am Rheinufer wirkungsvoll verstärken und die wenig attraktiven Nachkriegs-Wohnquartiere nördlich der Kennedybrücke stadträumlich aufwerten.

Eine Wohltat für Beethoven

Die ehrgeizigen Wohltäter Bonns verstrickten sich denn auch erst gar nicht in die fälligen komplizierten Genehmigungsverfahren, sondern betrauten die Architekten ihrer Wahl direkt mit der Aufgabe, für 75 Millionen Euro auf dem Gelände am Rheinhochufer ein Festspielhaus mit großem und kleinem Konzertsaal, einem Verwaltungsbau und einem repräsentativen Foyer- und Restauranttrakt zu entwerfen. Nicht alle angeschriebenen Stars ließen sich durch die 50.000 Euro Bearbeitungshonorar zur Mitarbeit bewegen. Frank Gehry und Tadao Ando beispielsweise haben abgesagt, doch die verbliebenen zehn Büros haben die Möglichkeiten des Umgangs mit den Gegebenheiten auf erstaunlich vielfältige Weise ausgeschöpft. Nahezu alle denkbaren Lösungen wurden angedacht, doch keine von ihnen ist ganz fehlerfrei.

Bei der Ausschreibung war den Architekten freigestellt worden, wie sie mit dem denkmalgeschützten Altbau der Beethoven-Halle und seinen Annexen umgehen. Als Charakterfigur in der Stadt gehört das von Siegfried Wolske entworfene, 1959 eröffnete Konzertgebäude fraglos zum Besten, was damals in Deutschland gebaut worden ist. Vor allem die keilförmig auf das Foyer zuführende Eingangshalle mit ihren Glas- und Ziegelwänden und die weitgespannte sphärische Kuppel über dem großen Saal haben als baukünstlerisch außergewöhnliche Monumente jeden Schutz verdient.

Doch funktional kann das Ensemble kaum überzeugen. Der Restauranttrakt ist so ungeschickt abgehängt, dass die gastronomischen Betriebe seit ihrer Eröffnung Not leiden. Das Foyer ist durch eine brückenartige Zubringergalerie, die den oberen Rang erschließt und sich dabei um ein großes Wandfresko herumwindet, seltsam verstellt. Und die Akustik in den Sälen ist keineswegs ideal. Der große runde Saal ist als Mehrzweckhalle konzipiert worden, hat darum einen flachen Boden; nur mit fundamentalen Eingriffen und einer Umpolung um 180 Grad ließe er sich zu einem akustisch konkurrenzfähigen, festspieltauglichen Saal für symphonische Konzerte umbauen.

Peinlich antikisierende Säulenumgänge

Es sind denn auch nur vier der zehn eingeladenen Entwerfer, die den einprägsamen Kuppelbau als Hülle erhalten wollen. David Chipperfield würde den gesamten Gebäudetrakt mit der großen Beethoven-Halle sogar unangetastet lassen, was den gewaltigen Vorteil böte, dass während der zwei- bis dreijährigen Bauzeit das Konzertleben weitergehen könnte. Chipperfield verlegt die beiden geforderten neuen Konzertsäle in einen langgestreckten Baukörper neben der alten Halle, doch da er diesen langen Riegel noch zusätzlich durch einen pompösen Kolonnadenhof in Richtung Innenstadt verlängert und zum Rhein hin einen weiteren Rechteckhof mit peinlich antikisierenden Säulenumgängen querlegt, dürfte sein organisatorisch höchst vernünftiger Vorschlag bei den Juryberatungen früh ausgeschieden sein. Archäologen vermuten zwar die Fundamente des römischen Heerlagers "Castra Bonnensis" in dem Gelände am Rheinhochufer, doch so neurömisch wie Chipperfield will man in Bonn Beethovens Konzerthaus dann doch nicht einfrieden.

Nicht zum Vorgängerbau passend

Auch das Londoner Büro Allies and Morrison Architects und das Mailänder Büro Antonio Citterio würden den Kuppelbau erhalten, doch da die Zusatzbaukörper, die sie neben oder hinter dieses Merkzeichen stellen, nicht zum Vorgängerbau und auch nicht in die Umgebung passen, dürfte ihren Vorschlägen niemand nachtrauern. Dass die Jury aber den Entwurf von Rolf und Jochen Schuster ausgeschieden hat, muss man heftig bedauern: Die Düsseldorfer Architekten lassen eine flache Gebäudescheibe, die den innen völlig neu gestalteten Kuppelbau großräumig umfasst, über den Abhang und die Freitreppe hinweg ohne Stützen bis zur Rhein-Promenade nach vorne schweben, betten also wesentliche Elemente des Denkmals in einen praktikablen Neubau ein, der auch als Figur zum Rhein hin überzeugen könnte.

Eine Wohltat für Beethoven

Doch die Jury hat vier Entwürfe, die das Bestehende ganz oder großenteils beseitigen, für die Endausscheidung überarbeiten lassen; dabei dürfte auch der Klang der Verfassernamen eine Rolle gespielt haben. Der Japaner Arata Isozaki würde gerne die Flachbauten des Wolske-Ensembles, also die engen Foyers aus den fünfziger und siebziger Jahren, die dem modernen Festspielbetrieb wohl kaum gewachsen wären, erhalten und an Stelle der Kuppelhalle einen riesigen abgesenkten Dodekaeder als Hülle für den großen Konzertsaal errichten. Als Figur im Stadtbild würde dieses stereometrische Gebilde fraglos Eindruck machen; im Inneren hält sich der Saal brav an das Vorbild der akustisch nicht ganz unproblematischen Berliner Philharmonie.

Richard Meier lässt in Bonn leider all die plastische Eleganz vermissen, die seine früheren Bauten auszeichnet. Er setzt den gewaltigen Kubus seines schuhschachtelförmigen großen Konzertsaals als nahezu ungegliederte geschlossene Masse so brutal quer auf den Rheinhang, dass die Assoziation "Container" kaum zu vermeiden ist. Ohne Charme ist auch die hilflos danebengestellte, gleichfalls kubisch banale Foyerhalle, die sich mit Glaswänden zum Rhein wie zum Park hin öffnet, aber mit dieser gewollten Transparenz die Massigkeit des doppelt so hohen Konzertsaalblocks nur noch um so deutlicher macht.

Eine Schale, die sich über das Gelände spannt

Die Luxemburger Architekten Hermann & Valentiny wollen über dem Rheinufer eine wie eine Welle steil auf- und absteigende und nach einem zweiten Anstieg zum Boden zurücksinkende Schale über das Gelände spannen und unter den beiden unterschiedlich hoch gewölbten Hauben den großen und den kleinen Konzertsaal so weit hineinschieben, dass die Foyers mit ihren Etagen sich unter dem ausladenden Vordach zum Rhein hin öffnen. Bei der Ausgestaltung des großen Saals mit 1500 Plätzen halten sich die Architekten ganz an ihr eigenes bewährtes Vorbild, an das etwa gleich große "Haus für Mozart", das sie vor vier Jahren in kürzester Zeit in den beengten Komplex des Salzburger Festspielhauses hineinmodelliert haben.

Deutlich weiter von allen Konzerthaus-Vorbildern entfernt sich erwartungsgemäß Zaha Hadid mit ihrem unregelmäßig angeschliffenen Rohdiamanten auf dem Rheinhang. Die Wege aus dem benachbarten Park ziehen sich wie eine Mure kurvig durch das Gebilde hindurch und hinunter zur Uferpromenade. Sie teilen den Diamanten in zwei ungleiche Teile, scheiden also den großen Saal, der mit weichen Kurven den Luzerner Saal von Nouvel paraphrasiert, vom kleinen amphitheatralischen Saal. Da die Haut des Gebildes an vielen Stellen rhythmisch durchlöchert ist, dürfte viel Licht in die dahinter- und darunterliegenden Foyer- und Verwaltungsräume dringen.

Finanzielle Illusionen

In der uninspirierten Umgebung könnte dieser durchschluchtete Findling, dieser angeschwemmte Rheinkiesel, zur Architekturattraktion werden; ja bei Nacht würde er wie ein rätselhafter Netzkörper in die Stadt hinein leuchten. Wenn sich also die alte Beethovenhalle wirklich nicht halten und umbauen lässt - was noch einmal nachdrücklich überprüft werden müsste -, dann sollte sie durch etwas ersetzt werden, was ganz neue Maßstäbe setzt. Hadids Vorschlag wird diesem Anspruch wohl am ehesten gerecht. Doch wenn man hört, dass dieses extravagante Baukunstwerk für 75 Millionen Euro errichtet werden soll, kann man nur lachen. Auch für das Doppelte wird es kaum zu haben sein. Offenbar ergehen sich Bauherren bei Konzertsaalneubauten - siehe Hamburg und demnächst vielleicht auch München - besonders gerne in finanziellen Illusionen.

Die Stadt Bonn steht also vor einer historisch bedeutsamen Entscheidung. Sie muss sich klar werden darüber, ob sie für ein spendiertes Beethoven-Festspielhaus eines der bedeutendsten Monumente ihrer Nachkriegsgeschichte opfern will. Es bleibt also spannend in Bonn - wie es zu Beethoven passt.

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