Süddeutsche Zeitung

Bauvorhaben:Genossen und ein Großprojekt

Die Genossenschaft Möckernkiez errichtet in Berlin-Kreuzberg 14 Häuser für mehr als tausend Bewohner. Doch nicht alles läuft nach Plan.

Von Lars Klaaßen

Es klingt wie ein Wunschkonzert: ein neues Quartier auf 30 000 Quadratmetern, mitten in der Stadt, mit hohen ökologischen Standards und noch dazu bezahlbar. Für dieses Projekt hat die Möckernkiez-Genossenschaft im Juli den Grundstein gelegt. Bis Ende 2018 sollen am Rande des Gleisdreieck-Parks in Berlin-Kreuzberg 471 Wohnungen, 20 Gewerbeeinheiten und soziale Versorgungseinrichtungen entstehen. Das soll gemeinschaftliches, generationenübergreifendes Wohnen für mehr als tausend Menschen ermöglichen. Die 14 Gebäude des Quartiers werden im Standard "KfW-Effizienzhaus 40" und in Passivhausbauweise errichtet. Damit das Quartier auch baulich vielfältig ist, beauftragte man fünf unterschiedliche Architekturbüros. Klingt zu schön, um wahr zu sein? Diese Frage drängte sich den Mitgliedern der Genossenschaft zwischenzeitlich unangenehm auf. Denn es lief nicht alles nach Plan.

Das Projekt Möckernkiez geht auf eine lokale Bürgerinitiative zurück, die sich das Ziel setzte, soziales und ökologisches Wohnen für Menschen aller Generationen zu ermöglichen. Zur Realisierung des Vorhabens wurde 2009 die Genossenschaft Möckernkiez gegründet, die das Projekt seitdem entwickelt hat, jetzt verwirklicht und künftig verwaltet. Die Baukosten wurden anfangs auf 80 Millionen Euro geschätzt. Doch nicht nur die Baukosten stiegen, auch die Finanzierung über Kredite geriet ins Wanken. "Angesichts des hohen Investitionsvolumens gab es bei den Banken Bedenken gegenüber Erfahrung und Wissen des Managements einer Start-up-Genossenschaft", erläutert Frank Nitzsche, Vorstand der Möckernkiez-Genossenschaft. "Eine Aufteilung des Projektes in einzelne Lose, die nacheinander gebaut werden, wäre aus heutiger Sicht sinnvoller gewesen." Zudem hielten die Banken das Verhältnis zwischen aufzunehmendem Fremdkapital und veranschlagten Kaltmieten für zu riskant. Deshalb stand im Raum, die Baukosten und damit die Standards zu senken, das Eigenkapital und die Netto-Kaltmiete zu erhöhen.

Ursprünglich geplante Gemeinschaftsräume mussten aus Kostengründen gestrichen werden

2014 wurde das Bauvorhaben gestoppt. Die Genossenschaftsmitglieder hatten schon viel Geld in das Projekt gesteckt und waren nun im Ungewissen, wie es weitergeht. "Zum Glück waren wir uns fast alle einig, dass wird nicht aufgeben wollen, sondern durchhalten", sagt eine Genossenschaftlerin, die seit 2011 Mitglied ist. "Ich hätte mir allerdings mehr politische Unterstützung gewünscht, da kam vom Land Berlin aber leider nichts Konkretes."

Doch es geht auch so weiter. Elf der 14 Gebäude sind bereits im Rohbau fertiggestellt, Fassadenarbeiten und erste Innenausbauten haben begonnen. Das Projektvolumen ist nun auf 130 Millionen Euro kalkuliert.

Der Nominalwert eines Geschäftsanteiles der Genossenschaft von 500 Euro hat sich zwar nicht verändert. Erhöht hat sich jedoch der Betrag des Geschäftsguthabens, das ein Mitglied, dem eine Wohnung überlassen wird, zeichnen und zahlen muss: von 600 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche auf 920. "Ziel war die Stärkung der Eigenkapitalbasis und das Auffangen von zwischenzeitlichen Baukostensteigerungen", sagt Nitzsche. Die monatlichen Netto-Kaltmieten haben sich im Projektverlauf von ursprünglich acht Euro pro Quadratmeter schrittweise auf durchschnittlich elf erhöht. "Durchschnittlich" bedeutet, dass die Mitgliederversammlung einen Wohnwertkatalog mit zwölf unterschiedlichen Mietbeträgen beschlossen hat, abhängig von der Lage der Wohnungen auf dem Gelände und innerhalb eines Gebäudes. Die Mietpreise liegen aktuell zwischen 8,62 Euro und 13,04 Euro pro Quadratmeter.

Auf der anderen Seite wurden durch verschiedene Änderungen an den Bauplänen auch Kosten gesenkt. "Die größte Änderung und gleichzeitig auch größte Kosteneinsparung war die Verschlankung des Energiekonzeptes", sagt Nitzsche. "Wirtschaftlich unrentable Bausteine, wie beispielsweise die Abwasserwärmerückgewinnung, wurden ersatzlos gestrichen und die Energiezentrale mit einem Blockheizkraftwerk wurde an einen Contractor übergeben, der nicht nur das BHKW baut, sondern auch die Kosten für die Infrastruktur trägt, etwa den Bau des Nahwärmenetzes auf dem Grundstück."

Die wesentlichen energetischen Standards wurden dabei nicht gesenkt: Als KfW-Effizienzhäuser-40 haben die Gebäude der Genossenschaft einen maximalen Jahresprimärenergiebedarf von 40 Kilowattstunden pro Quadratmeter. Dieser energetische Ehrgeiz hat finanziell einen positiven Effekt: "So konnten wir zinsgünstige KfW-Darlehen in Anspruch nehmen", sagt Nitzsche. "Ihr Anteil beträgt knapp 50 Prozent der Fremdmittel."

Dass die Genossenschaft die energetische Seite nicht nur mit Blick aufs Geld verfolgt, sieht man daran, dass die Gebäude zudem auch noch dem Passivhausstandard entsprechen sollen. Ihre Gebäudehüllen sollen nahezu frei von Wärmebrücken sein und extrem gut wärmegedämmt werden. Eine kontrollierte Lüftung wird aus der verbrauchten Innenraumluft Wärme zurückgewinnen und im Winter die frische Zuluft vorwärmen. Hinzu kommt Sonnenenergie, die passiv genutzt wird: durch spezielle dreifach verglaste Fenster. Diese können im Sommer verschattet werden, um Überhitzung zu vermeiden. Auch die Wärme, die Bewohner, Haushaltsgeräte oder Kerzen abstrahlen, wird genutzt, um die Temperatur im Inneren zu regeln. Deshalb ist in Passivhäusern ein separates, aktives Heizsystem nicht nötig, sie wärmen und kühlen sich also passiv.

"Neben den energetischen spielen auch die sozialen Aspekte im Möckernkiez eine große Rolle", betont Simone Schmiedl, Senior-Projektpartnerin beim Projektmanagement- und Beratungsunternehmen Drees & Sommer, das die Genossenschaft bei der Planung und Umsetzung unterstützt. Einige ursprünglich geplante Gemeinschaftsräume mussten aus Kostengründen zwar gestrichen werden. "Aber Dachterrassen für die Bewohner wird es ebenso geben wie andere Einrichtungen auf dem Areal." So sollen etwa eine Kinderfreizeiteinrichtung und eine Kindertagesstätte dort einziehen. "Zudem sind rund 7000 Quadratmeter für gewerbliche Flächen vorgesehen, zu denen ein Bio-Supermarkt sowie ein Hotel und eine gastronomische Einrichtung gehören", sagt Schmiedl. "Die beiden Letztgenannten befinden sich auf separaten Flurstücken, die bereits an einen bekannten Investor verkauft wurden."

Neben der durchgehend barrierefreien Gestaltung wird die Wohnanlage autofrei sein. Nur für Mieter mit Beeinträchtigungen und Gewerbetreibende werden Tiefgaragen-Stellplätze gebaut. "Über 93 Prozent aller Wohnungen haben bereits heute ihren zukünftigen Mieter gefunden", sagt Schmiedl, "und für die verbleibenden Wohneinheiten besteht große Nachfrage." Das Wunschkonzert kann also tatsächlich stattfinden.

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Quelle:
SZ vom 23.12.2016
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