Bauordnungen:Wie Bauen verhindert wird

Neubaugebiet in Olching, 2017

Neue Wohnhäuser am Ortsrand. Wer hierzulande baut, muss eine ganze Reihe von Vorschriften einhalten, doch die können von Bundesland zu Bundesland verschieden sein. Das ist vor allem für Bauträger, Baubetriebe und Architekten schwierig, die länderübergreifend arbeiten müssen. Eine Reform – von vielen gewünscht – lässt jedoch auf sich warten.

(Foto: Johannes Simon)

Ob es um Zufahrten, Abstände, Außenwerbung oder Wasserzähler geht, für alles gibt es Vorschriften. Das Problem ist nur: In jedem Bundesland gelten andere Regeln.

Von Peter Blechschmidt

Mitunter wundert sich der Normalbürger, dass angesichts der Fülle von Gesetzen, Verordnungen und Erlassen in diesem Land überhaupt noch etwas vorangeht. Das gilt in hohem Maße, wenn der Normalbürger ein Bauherr werden möchte. Rund ums Bauen gibt es in Deutschland wohl kein Detail, das noch nicht geregelt ist. Und weil zum Wohnen, aber auch zum Gewerbetreiben nun mal das Bauen gehört, betrifft das Baurecht quasi jeden Menschen in diesem Land. Ein Problem dabei: Im Föderalismus-Staat Deutschland gilt nicht gleiches Recht für alle. Seit Jahrzehnten treten Bundespolitiker, aber auch Interessenverbände der Bauwirtschaft wie der Mieter für eine Vereinheitlichung des Baurechts ein. Bislang sind sie am Widerstand der Länder gescheitert. Und nichts spricht dafür, dass sich dies in absehbarer Zeit ändern könnte.

"Architektur gehört zur Kultur, und die Kulturhoheit liegt bei den Ländern", erläutert Barbara Ettinger-Brinckmann, die Präsidentin der Bundesarchitektenkammer. "Deshalb gibt es 16 verschiedene Architektengesetze und 16 verschiedene Landesbauordnungen." Das mag für den Normalbürger, der sich am Stadtrand sein Einfamilienhaus bauen will, kein Problem sein. Er hält sich an die Regeln, die für seinen Wohnort gelten. Was im Nachbarort oder gar im nächsten Bundesland Sache ist, kann ihm gleichgültig sein.

Ein Problem ist die rechtliche Diversifizierung hingegen für Bauträger, für Baubetriebe oder eben für Architekten, die länderübergreifend arbeiten müssen. Viele Projekte lassen sich ohne Rechtsexperten überhaupt nicht mehr realisieren. "Manche Regeln stellen je nach Kontext unterschiedliche Anforderungen an das Bauen und sind somit in sich widersprüchlich, oder sie sind nur dann zu verstehen, wenn juristisches Spezialwissen hinzugezogen wird", hat eine Baukostensenkungskommission des Bundes Ende 2015 festgestellt. Der Vorschriftenwust erhöht die Kosten, führt zu Verzögerungen beim Bau und löst Rechtsstreitigkeiten aus, was wiederum Zeitverlust und Kosten verursacht. "Niedrigere Baukosten führen zwar nicht automatisch zu niedrigeren Miet- oder Immobilienpreisen, aber niedrige Baukosten sind eine Voraussetzung dafür, dass Immobilien günstiger angeboten werden können", sagt Ulrich Ropertz, Geschäftsführer des Deutschen Mieterbundes.

Wer seine eigenen vier Wände und ihr Drumherum einmal unter dem Aspekt betrachtet, was bei ihrem Bau alles bedacht werden musste, kommt auf eine erstaunliche Liste. Da geht es um den Abstand zur Straße und zu den Nachbargebäuden inklusive der Begrenzung, wie weit Außenwerbung oder Zigarettenautomaten die Hauswand überragen dürfen. Da wird die Breite der Autostellplätze geregelt - ganz wichtig in Zeiten immer fetter werdender SUVs. Und vorgeschrieben wird auch die Zahl der Wohnungen, die in einem Haus barrierefrei für Rollstuhlfahrer angeboten werden müssen. Nicht zu vergessen der Wasserzähler, der in jeder Wohnung installiert sein muss. Auch Vorschriften für Treppenbreiten oder den Dachausbau fehlen nicht. Besonderes Augenmerk richtet der Gesetzgeber auf die Energieeinsparung und auf den Brandschutz, beides sehr kostenintensiv und im Detail extrem ausgestaltungsfähig. Mitunter hängt eine Baugenehmigung davon ab, ob die örtliche Feuerwehr im Notfall mit ihrem Leiterwagen herankommt. "Die Notwendigkeit von hohen Sicherheitsstandards wird nicht infrage gestellt", betont dazu die Baukostensenkungskommission. "Im Bereich Qualität und Haftung sollte einer Überregelung und einem übermäßigen Perfektionismus jedoch Einhalt geboten werden."

Was damit gemeint sein könnte, dafür hat die oberste Architektin Ettinger-Brinckmann ein hübsches Beispiel parat. In den Bauordnungen sind unter anderem die Abstände festgelegt, in denen bei Geländern die einzelnen Gitterstäbe angebracht sein müssen - vertikal wie horizontal. Das Maß der Dinge sind dabei Kopf und Fuß kleinerer Kinder, weil die ja gern an Geländern hochklettern. Nur sind die Abstände von Bundesland zu Bundesland verschie-den. Und da fragt sich Barbara Ettinger-Brinckmann: "Wieso sind Kinderfüße in Bayern größer als in Schleswig-Holstein?"

Missachtung der vielen Vorschriften kann für Baufirmen und Bauherren teuer werden. Wer etwa in seinem Mietshaus einige Wohnungen als besonders altersgerecht anbieten will, der läuft Gefahr, dass seine Immobilie als Altenwohnheim und somit als Sonderbau eingestuft wird. Und dafür gelten natürlich andere Regeln. Landesheimgesetze schreiben die Zahl der Ein- und Zweibettzimmer pro Einheit mit Größenangabe vor, selbstverständlich von Land zu Land unterschiedlich.

Besonders vielfältig sind auch die Regelungen für die Einrichtung von Parkplätzen. In Baden-Württemberg sind zusätzlich zu einem Autostellplatz zwei witterungsgeschützte und barrierefrei zugängliche Fahrradstellplätze pro Wohneinheit vorzusehen. Hamburg hat die Baupflicht hingegen ganz abgeschafft. In Bayern wiederum kann die Stellplatzbaupflicht ausgesetzt werden, wenn sie die Schaffung von Wohnraum verhindern würde.

Die Zahl derer, die diesem Wirrwarr ein Ende bereiten wollen, ist groß. Doch ihre Erfolgsaussichten sind gering. Architektenkammer, der Eigentümerverband Haus und Grund, der Verband privater Bauherren und der Zentrale Immobilien-Ausschuss (ZIA), der Spitzenverband der deutschen Immobilienwirtschaft - sie alle plädieren ebenso wie der Mieterbund für eine Vereinheitlichung der Bauordnung. Seit 2002 gibt es eine Musterbauordnung - mit 87 Paragrafen auch nicht gerade flüssiger Lesestoff. Sie wurde auf Beschluss der Bauministerkonferenz von Bund und Ländern erstellt und zuletzt im Mai 2016 aktualisiert. Doch sie ist eben nur eine unverbindliche Empfehlung, an der sich die Bauordnungen der Länder zum Teil orientieren, zum Teil aber auch nicht.

Von der Bundespolitik haben die Interessenverbände auch jetzt, nachdem es endlich eine neue Regierung gibt, wenig zu erwarten. "Wir streben eine stärkere Harmonisierung des Bauordnungsrechts im Einklang mit den Ländern an, insbesondere beim Brandschutz", heißt es lapidar im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD.

In der alten wie in der neuen Regierung am besten mit der Materie vertraut ist Gunter Adler, beamteter Staatssekretär und zuständig für das Bauwesen. Sein Ressort gehörte bisher zum Umweltministerium und ist seit der Neubildung der Regierung im Innenministerium unter Horst Seehofer (CSU) angesiedelt. Er habe mehrfach an die Länder appelliert, ihr Landesrecht im Sinne der Musterbauordnung so weit wie möglich zu harmonisieren, sagte Adler der Süddeutschen Zeitung. Da aber eine vollständige Angleichung unrealistisch sei, habe er eine Zweiteilung in einen vereinheitlichten "Allgemeinen Teil" und einen jeweils länderspezifischen "Besonderen Teil" vorgeschlagen. Dieser Appell allerdings verhallte bisher ungehört.

Der Berliner SPD-Abgeordnete Klaus Mindrup, der bei den Koalitionsgesprächen über das Bauwesen mit verhandelt hat, versichert ziemlich allgemein, für seine Partei stehe die Harmonisierung des Bauordnungsrechts "weiterhin auf der politischen Agenda". Er gibt den Schwarzen Peter aber gleich weiter und verweist auf die Länderhoheit: "Insbesondere bei den schwarz-gelb regierten Bundesländern hoffen wir hier endlich auf die notwendige Einsicht." Die scheint bei der FDP vorhanden zu sein, folgt man dem baupolitischen Sprecher der neuen Bundestagsfraktion, Daniel Föst. "Vereinheitlichung heißt Entbürokratisierung. Entbürokratisierung heißt günstiger bauen. Günstiger bauen heißt günstiger wohnen", sagt Föst und verspricht Initiativen über jene Bundesländer, in denen die FDP an der Regierung beteiligt ist.

Ziemlich desillusioniert gibt sich dagegen Marie-Luise Dött, baupolitische Sprecherin der Unionsfraktion im Bundestag. "Die Kleinstaaterei bei den Bauordnungen wird uns leider erhalten bleiben - auch wenn sich die Fachwelt zu Recht über den Unsinn einig ist", sagte Dött der SZ. Aber auch sie lässt nicht alle Hoffnung fahren: "Es gibt in der Politik manchmal unerwartete Gelegenheiten, bei denen vermeintlich Aussichtsloses möglich wird. Vielleicht auch irgendwann beim Bauordnungsrecht."

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