Baum-Häuser:Wenn Häuser in den Himmel wachsen

Wissenschaftler und Architekten bauen mit lebenden Bäumen. Viel mehr als Prestigeprojekte wird es aber vorerst wohl nicht geben.

Von Lars Klaaßen

Das Szenario scheint realitätsfern zu sein, spornt aber eine Reihe von Wissenschaftlern und Praktikern an: Wer ein Haus bauen will, geht nicht zu einem Architekten, sondern in die Gärtnerei, um dort einen kleinen Baum oder ein struppiges Gebüsch zu kaufen. Der Bauherr setzt die Pflanze ein und bewässert sein Grundstück.

"vogelguckhaus"

Das ,,Vogelguckhaus'' in den Weidenstangen bietet ungewohnte Perspektiven.

(Foto: Foto: Hobelsberger, Bogner)

Nach einigen Jahren beginnt die eigentliche Konstruktionsphase. Dann muss der Bauherr nicht mehr nur gießen, Unkraut rupfen und Ungeziefer bekämpfen, sondern auch hämmern, schrauben, sägen und die hoch gewachsene, stark verholzte Pflanze mit Stahl, Glas und vielen anderen Materialien zu einem Wohnhaus ergänzen. Die Bewohner richten sich darin ein, ohne dass ihre Rollen als Architekten und Gärtner damit ein Ende nähmen.

Wände aus Weiden

Was sich liest wie die Passage aus einem ökologischen Utopia, beschreibt Gerd de Bruyn als ideelle Leitvision der Baubotanik. Der Direktor des Instituts für Grundlagen moderner Architektur und Entwerfen an der Universität Stuttgart befasst sich in erster Linie mit Architekturtheorie, doch aus der grauen Theorie sind in der Praxis bereits grüne Triebe erwachsen.

Um utopisch anmutende Ansätze und bereits umgesetzte Ideen in einer ernstzunehmenden interdisziplinären Forschungsrichtung zu bündeln, trafen sich Denker wie Macher der Baubotanik auf der Konferenz ,,Lebende Bauten - Trainierbare Tragwerke''.

Hannes Schwertfeger hat die Veranstaltung mitorganisiert. Ihn interessieren zwar vor allem die geisteswissenschaftlichen Hintergründe der Baubotanik. Mit der Firma Weidenprinz beackern er und zwei weitere Aktivisten aber ebenfalls die Praxis.

Das Unternehmen errichtet unter anderem Pavillons, die aus lebenden Weiden bestehen. Die Pflanzen tragen ein leichtes Dach und bilden eine grüne Wand. ,,Die Weidenstruktur und das Dach sind so stabil, dass der Pavillon Sturm- und Schneelasten widersteht'', sagt Schwertfeger.

Wenn Häuser in den Himmel wachsen

Die Statik lässt es zu, dass sich bis zu zehn Personen auf der Plattform aufhalten können. Im Sommer bietet die grüne Wand aus Blättern den Vogelbeobachtern sowohl guten Sichtschutz als auch weite Einblicke in das Umland.

"vogelguckhaus"

In knapp drei Metern Höhe haben Wissenschaftler einen 700 Kilogramm schweren Eisenring angebracht. Auf der Plattform können sich bis zu zehn Personen aufhalten.

(Foto: Foto: Hobelsberger, Bogner)

Aussichtsposten

Auch Marcel Kalberer gehört zu jenen, die schon seit Jahrzehnten mit Weidenbäumen bauen: ,,Als wir im Frühjahr 1984 für unsere Tochter einen kleinen Weidenpavillon pflanzten, kannten wir keine Vorläufer, keine anderen Versuche, und wussten nicht, ob so viele Weiden auf so dichtem Raum überhaupt leben können.'' Aber die kleine Kuppel, als lebendes Tragwerk, gedieh.

Jüngstes Projekt von Weidenprinz ist das ,,Vogelguckhaus''. Bei der Konstruktion bilden zehn bis elf Meter hohe Weidenstangen ein Fachwerkgerüst. In diese Tragstruktur, die in einem Oval gepflanzt wurde, ist auf 2,80 Metern Höhe ein 700 Kilogramm schwerer Eisenring eingearbeitet, der eine begehbare Plattform trägt.

,,Mit unseren derzeitigen Erkenntnissen über Bäume eröffnen sich sowohl beim Konstruieren von Baumhäusern als auch in der Baubotanik neue technische Möglichkeiten'', sagt Claus Mattheck, Leiter der Abteilung Biomechanik im Forschungszentrum Karlsruhe.

Statische Wunder

Den Anstoß zu seiner Forschung gab eine verkrüppelte Strandkiefer an der französischen Atlantikküste: ,,Nach allen Regeln der Technik hätte sie abbrechen müssen. Aber sie stand da und trotzte Wind und Wetter.''

Nach vielen Jahren der Forschung steht für Mattheck fest, dass Bäume immer wieder statische Wunder vollbringen: Weit ausladende Äste halten gewaltigen Wind- und Schneelasten stand, ausgehöhlte Stämme reparieren sich selbst.

Matthecks Baumforschung ist noch lange nicht am Ende. Aber mit Prognosen für die Baubotanik ist er vorsichtig: Viel mehr als Prestigeprojekte werde es in absehbarer Zeit nicht geben - ,,aber eine schöne Vorstellung ist es schon, dass in ferner Zukunft die Städte in den Bäumen wachsen''.

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