Baukosten:Schön teuer

Ob Dämmung, Schallschutz oder Stellplätze: Eine neue Studie zeigt, wie Normen und Verordnungen die Preise treiben.

Von Andreas Remien

Sie sollten nicht einstürzen, möglichst nicht so schnell in Flammen aufgehen und auch nicht mit der Traufe in den Hof des Nachbarn ragen - schon im Mittelalter mussten Häuser manche Kriterien erfüllen. Etwa tausend Jahre später reicht es nicht mehr, wenn Bauherren in Sachen Brandschutz und Stabilität die Anordnungen der Städte oder das alte, bunt illustrierte Rechtsbuch Sachsenspiegel ("Zinnen sollen nicht daran sein") durchblättern. Wer heute bauen will, hat es mit DIN-Normen und EU-Richtlinien, Verordnungen des Bundes, den Gesetzen der Länder und den Auflagen der Kommunen zu tun. Vor allem in den vergangenen Jahren haben die vielen Ebenen die Anforderungen an die Häuser weiter nach oben geschraubt. Auch sozial orientierten Marktteilnehmern wie kommunalen Wohnungsunternehmen oder Genossenschaften fällt es daher immer schwerer, günstige Mietwohnungen zu planen.

Ein Verbändebündnis, dem neben Immobilien- und Bauverbänden auch der Deutsche Mieterbund angehört, hat daher in der Studie "Kostentreiber für den Wohnungsbau" untersuchen lassen, welche Faktoren den Geschossbau seit dem Jahr 2000 verteuert haben. Der Blick in die Statistik zeigt, dass im Durchschnitt weder Handwerker noch Materialien wesentlich teurer geworden sind. Laut Statistischem Bundesamt (Destatis) sind die Baupreise zwischen 2000 und 2014 zwar um 27 Prozent gestiegen. Die Verbraucherpreise sind im gleichen Zeitraum aber um 25 Prozent geklettert, inflationsbereinigt ergibt sich also bei den reinen Baukosten nur ein sehr kleines Plus - wer heute das gleiche Haus wie vor 15 Jahren bauen würde, müsste kaum mehr bezahlen. Anders sieht es aus, wenn man die Gesamtkosten der fertiggestellten Projekte untersucht, wie es die Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen in Kiel (ARGE) mit der Studie gemacht hat. Demnach hat sich der Bau eines typischen Mehrfamilienhauses zwischen 2000 und 2014 um satte 36 Prozent verteuert, wie der Bauwerkskostenindex zeigt.

Stärker ins Gewicht als vor 15 Jahren fallen vor allem die Ausbaukosten. Für Bäder, Elektrik, Heizung, Küchen, Maler- oder Tischlerarbeiten haben Bauherren eines typischen Mehrfamilienhauses in Deutschland im Jahr 2000 im Mittel 456 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche ausgegeben. Im vergangenen Jahr summierten sich die Ausbaukosten nach den Berechnungen der Studie im Mittel auf 774 Euro, fast 70 Prozent mehr als vor 15 Jahren. "Die Anteile haben sich grundsätzlich verschoben", sagt Dietmar Walberg, ARGE-Geschäftsführer und einer der Autoren der Studie. Machten die Ausbaukosten im Verhältnis zum Rohbau im Jahr 2000 mit 46,3 Prozent deutlich weniger als die Hälfte der Bauwerkskosten aus, liegt ihr Anteil heute bei gut 54 Prozent. Für die Wohnungswirtschaft wirkt sich dies auch mittel- und langfristig aus. "Es fallen immer mehr Kosten für Gewerke an, die eine relativ kurze Lebensdauer haben", betont Walberg.

Baustelle der Leuphana-Uni

Bauen ist in den vergangenen Jahren immer teurer geworden. Auch sozial orientierten Unternehmen fällt es daher schwerer, günstige Mietwohnungen zu bauen.

(Foto: Philipp Schulze/dpa)

Bei den Ausbaukosten sticht vor allem der Bereich Energie heraus. Für Heizung und Belüftung müssen Bauherren heute gut acht Prozent des Budgets einplanen, im Jahr 2000 lag ihr Anteil an den Bauwerkskosten nur bei 3,7 Prozent. Große Sprünge zeigt der Index der ARGE im Zeitverlauf daher vor allem nach den Novellierungen der Energieeinsparverordnung (EnEV), die das maßgebliche Instrument der Bundesregierung für das Erreichen der klimapolitischen Ziele ist. Bis 2050 soll der Gebäudebestand weitgehend klimaneutral sein. Mit jeder Novellierung der EnEV werden die Anforderungen höher, schließlich ist es nötig, den Verbrauch (vor allem fossiler Brennstoffe) massiv zu reduzieren. Doch immer dicker gedämmte Häuser, effiziente Lüftungsanlagen und Heizungen haben ihren Preis. Die von 2016 an geltenden Regeln der EnEV werden laut der Studie die Bauwerkskosten um gut sieben Prozent verteuern. Die gesparten Heizkosten können den Autoren zufolge die Mehrkosten dann bei Weitem nicht kompensieren. Laut ARGE entstehen beim Bau eines typischen Mehrfamilienhauses mit zwölf Wohnungen durch die EnEV-Verschärfung Mehrkosten von gut 86 000 Euro bei einer prognostizierten Heizkosteneinsparung von knapp 30 000 Euro (über 20 Jahre). "Es wird sehr viel Geld investiert, aber nur ein minimaler Effekt erzielt", sagt Hans-Otto Kraus, Geschäftsführer der GWG München. Das kommunale Wohnungsunternehmen bewirtschaftet knapp 28 000 Wohnungen. Die Einsparung von Energie und CO₂ sei ein wichtiges Ziel. "Bei den Standards muss aber hinterfragt werden, was noch sinnvoll ist", betont Kraus. Sinnvoller als eine extreme Verschärfung der Standards für Neubauten sei die Sanierung von Bestandsgebäuden, die noch heute sehr viel Energie verbrauchen.

Viele Vorgaben sind zwar nur private Richtlinien, vor Gericht aber entscheidend

Eine weiteres Problem für die Wohnungsunternehmen sind laut Studie auch jene Vorgaben, die zwar gar nicht explizit in Verordnungen oder Gesetzen festgehalten sind, aber zum Beispiel als "allgemein anerkannte Regeln der Technik" gelten. Dies gilt zum Beispiel für den Schallschutz, dessen Anforderungen in DIN-Normen geregelt sind. Die Normen sind zwar private technische Regelungen, juristisch aber relevant. "Die Normen sind letztlich für uns bindend", sagt Kraus. Erfüllt ein Gebäude bei seiner Fertigstellung nicht den entsprechenden DIN-Standard, kann später ein Mieter zum Beispiel erfolgreich die Miete mindern, wenn es ihm zu laut ist. Allein der Fortschritt bei der technischen Normung erhöht damit die Kosten, ohne dass der Gesetzgeber dies entschieden hat. "Dieser Normungsprozess passiert im außerparlamentarischen Bereich", kritisiert Axel Gedaschko, Präsident des Bundesverbandes deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW), die gängige Praxis. In anderen Ländern sei der Staat viel enger in den Prozess eingebunden. Die Autoren der Studie stellen außerdem fest, dass in der Normierung zunehmend der aktuellste Stand aus der Wissenschaft maßgeblich sei - obwohl sich dieser noch nicht als praktikabel oder wirtschaftlich erwiesen habe.

Auch besondere Anforderungen der Kommunen können laut Studie ein größerer Kostenfaktor sein. In den Ballungsgebieten haben die Auflagen der Städte demnach die Kosten im Mittel um 82 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche erhöht. Die Befragung von 370 Wohnungsunternehmen zeigt, wie breit die Palette ist: Kommunen schreiben zum Beispiel Tiefgaragen, besondere Bauformen, höhere Energiestandards, einen besseren Brandschutz oder besondere Fassaden vor. "Da sind der Phantasie scheinbar keine Grenzen gesetzt", klagt Gedaschko.

Neben den Kosten für das Gebäude kann auch die Baustelle die Kosten in ungeahnte Höhen treiben. Für ein Wohnungsbauprojekt in Frankfurt etwa musste für die Bauzeit ein eine Million Euro teures Lärmschutzkonzept umgesetzt werden - die Wohnungen verteuerten sich um 150 Euro pro Quadratmeter.

"Seit Jahren beobachten wir Sonntagsreden und ein Montagshandeln", sagt Gedaschko, "an dem einen Tag wird für bezahlbare Wohnungen plädiert, am nächsten Tag wird weiter an den Kostenschrauben gedreht". Hoffnung setzen die Wohnungsunternehmen in die "Baukostensenkungskommission", deren Einsetzung die Bundesregierung schon im Koalitionsvertrag geregelt hatte. Vor knapp einem Jahr hat die Kommission unter der Federführung des Bauministeriums ihre Arbeit aufgenommen, bisher aber noch wenig Konkretes geliefert.

Im Mittelalter wurde das Bauen irgendwann so unübersichtlich, dass sich die Zünfte selbst um die Standards gekümmert haben. So weit will die Wohnungswirtschaft nicht zurück. "Es geht ja auch nicht darum, schlechtere Gebäude zu bauen", sagt Gedaschko, "aber wenn die Anforderungen immer noch weiter steigen, dann können wir es mit dem Bau bezahlbarer Mietwohnungen vergessen."

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