Bauhaus-Jubiläum:Licht, Luft und Lebensfreude

Nächstes Jahr wird die berühmte Künstlerschule 100 Jahre alt. In Dessau in Sachsen-Anhalt erlebte das Bauhaus seine Blütezeit. Die Stadt bereitet sich auf das Jubiläum vor und lockt mit verschiedenen Veranstaltungen.

Von Stephanie Schmidt

Nur eine Minute zu Fuß braucht sie zu den Meisterhäusern. Die Münchnerin Angelika Scheidler hat ihre Unterkunft in Dessau-Roßlau klug gewählt. So kann sie den Ort, an dem alle drei Bauhausdirektoren - Walter Gropius, Hannes Meyer und Ludwig Mies van der Rohe - eine Zeit lang lebten, ausführlich besichtigen. Die Innenarchitektin ist für eine mehrtägige Erkundungstour auf den Spuren der von Walter Gropius 1919 in Weimar gegründeten Hochschule für Gestaltung nach Dessau-Roßlau gereist. Dort erlebte das Bauhaus in den Jahren zwischen 1925 und 1932 seine Blütezeit. Dessau bot für Gropius die Möglichkeit, mit dem Flugzeugpionier und Erfinder Hugo Junkers zusammenzuarbeiten, der auch mit Häusern experimentierte. Sie finde es "sehr spannend, wie beim Bauhaus Kunst, Technik und Handwerk miteinander vernetzt sind", sagt die 54 Jahre alte Münchnerin.

Nächstes Jahr ist mit einem Besucheransturm auf die 80 000-Einwohner-Stadt zu rechnen, denn 2019 wird das Bauhaus 100 Jahre alt. Dem Andrang möchte Scheidler zuvorkommen. Sie hat vor, auch weniger bekannte Bauhausbauten zu besuchen - wie das von Gropius entworfene Historische Arbeitsamt von 1929, ein mit wüstensandgelben Ziegeln eingekleideter Bau. Das Glasdach lässt viel Licht ins Gebäude - die Architektur sollte dabei helfen, die Stimmung Jobsuchender aufzuhellen.

In den Jahren 1925/26 entwarf Gropius, der das Bauhaus als erster Direktor bis 1928 leitete, die Meisterhäuser. Zu dem Ensemble gehören drei Doppelhäuser für die Bauhaus-Meister und ein Einzelhaus für den Direktor. In den Doppelhäusern wohnten zunächst die Künstler Wassily Kandinsky und Paul Klee, Georg Muche, Oskar Schlemmer, Lázló Moholy-Nagy sowie Lyonel Feininger. Später folgten andere nach, etwa Hinnerk Scheper, Leiter der Wandmalereiwerkstatt am Bauhaus. Im gleißenden Licht der Julisonne strahlen die weißen Fassaden der ineinander verschachtelten kubischen Flachdachbauten, eingebettet in schlanke, hohe Kiefern, besonders. Kaum vorstellbar, dass sie zu DDR-Zeiten teils völlig verbaut waren - man hatte die Meisterhäuser mit Schornsteinen an den Außenwänden versehen, braun verputzt und die Atelierfenster zugemauert.

In einem Lehrfilm führt Ise Gropius Einbauschränke so vor, als handle es sich um ein Wunder

Ein Teil der Bauten wurde im Krieg komplett zerstört; sie wurden von Bruno Fioretti Marquez Architekten mit Sitz in Berlin und Lugano rekonstruiert und 2014 wiedereröffnet. Dazu gehört das Anwesen, in dem Gropius wohnte. "Sehen Sie, die Unschärfe, das ist ein wichtiger Aspekt für die Rekonstruktion", sagt Peter Bernhard, Universitätsprofessor aus Nürnberg. Er zeigt auf die blinden Fenster des Direktorenhauses, die keine Einblicke oder Ausblicke erlauben: "Es gab viele Diskussionen, ob man die zerstörten Häuser exakt so aufbaut, wie sie einst aussahen, oder ob man Zeichen setzt, die darauf hinweisen, was ihnen widerfuhr." Man entschied sich für Letzteres. Derzeit arbeitet Bernhard im Auftrag der Stiftung an einem neuen Katalog für ihre Sammlung von Originalen aus der Bauhauszeit. 2019 soll er fertig sein.

Ebenso unterschiedlich, wie sie früher eingerichtet waren, werden die Meisterhäuser heute genutzt. Das Direktorenhaus dient als Museum, das Werke von Gegenwartskünstlern zeigt. Stärker auf die Vergangenheit Bezug nimmt die restaurierte Hälfte des Meisterhauses Muche/Schlemmer, in der Georg Muche lebte. Das ursprüngliche Raumkonzept und die Farbgebung der Zimmer wurden teils wiederhergestellt. Betritt man sie, steigt einem muffiger Geruch in die Nase. "Der Geruch des Bauhauses", sagt Bernhard schmunzelnd. "Er kommt vom Lineoleum-Boden." In dem Haus wird ein zu Gropius' Dessauer Zeit gedrehter Lehrfilm gezeigt: Seine Frau Ise führt die "topmoderne" Einrichtung des Direktorenhauses vor, demonstriert die Funktionsweise von schwenkbaren Leuchten und Einbauschränken so, als handle es sich um wahre Wunder. "Das war alles superpraktisch damals", bemerkt Bernhard mit ironischer Stimme, "so will man's heute gar nicht mehr haben."

Nur einen Teil der Meisterhäuser kann man innen besichtigen. So versteckt sich das Doppelhaus Kandinsky/Klee derzeit hinter Plastikplanen und Gerüsten. 2019 sollen die Renovierungsarbeiten abgeschlossen werden. Bei einem Rundgang um die Häuser erstaunt es einen, wie allein durch das Spiegeln und Drehen von identischen Grundrissen der Eindruck von Abwechslung entsteht. Die großzügigen Terrassen und Balkone, die ums Eck herum laufen, passen zum Motto der Lebensreformer: mehr Licht, Luft und Sonne.

Mehr als 100 000 Besucher aus aller Welt reisen jedes Jahr zu den Ikonen der Moderne nach Dessau. Wer den Blick nicht nur auf sie richtet, dem fällt auf, wie verlassen viele Straßenzüge wirken. Es gibt auffallend wenige Geschäfte und Restaurants in der Stadt, die unter Wohnungsleerstandsquoten im zweistelligen Bereich leidet. Der Bus Nummer 10, die Bauhauslinie, fährt auch zum Stahlhaus, einem von Muche entworfenen Experimentalbau mit Bullaugenfenstern, und zur Siedlung Dessau-Törten: Dort experimentierte Gropius mit Fertigbauteilen. Die Siedlung umfasst 314 als Eigenheime konzipierte Reihenhäuser. "Haus Anton" ist das einzige weitgehend im Originalzustand erhaltene Domizil. Bei einer Führung bekommt man ein Bild davon, wie das Arbeiterehepaar Anton darin einst lebte - mit Wannenbad in der Küche und großem Gemüsegarten. Die Fenster sind zwar breit, aber flach und sehr hoch positioniert. "Um hinausschauen zu können, musste sich Frau Anton recken", sagt Bernhard. Die kleinen Räume, zahlreichen Türen und die schmale, steile Treppe vermitteln den Eindruck von Enge. Schon damals übten Bewohner der Siedlung Kritik an der Architektur. "Aber Frau Anton ließ auf Gropius nichts kommen", berichtet Bernhard.

An der Haltestelle Bauhausplatz steht das 1926 nach Gropius' Entwürfen gebaute Hochschulgebäude. Ein Kulturdenkmal von respekteinflößender Größe. Es verfügt über eine Bruttogeschossfläche von knapp 12 300 Quadratmetern und ist mehrmals umfassend renoviert worden. Der Gebäudekomplex besteht aus drei durch eine Brücke miteinander verbundenen Flügeln. Von 2010 bis 2016 haben Brenne Architekten aus Berlin, Experten für die Renovierung von Siedlungen der Moderne, das Bauhausgebäude energetisch saniert. Es dient als Ort für Forschung, Lehre und Dialog und ist Sitz der 1994 gegründeten Stiftung Bauhaus Dessau. Ihre Sammlung umfasst circa 50 000 Objekte - die zweitgrößte Bauhaus-Sammlung der Welt.

Wie prägt das Bauhaus heute den Alltag? Das sollen 1000 Exponate im neuen Museum zeigen

"Die Sammlung gibt es seit 1976, damals fing man bei null an", erzählt der Leiter der Sammlung, Wolfgang Thöner. Der gebürtige Dessauer schreibt gerade ein Buch über ihre Geschichte. Damals habe man sich dazu durchgerungen, die ersten Exponate von Sammlern der DDR anzukaufen. Was an ein Wunder grenzte. "Zu Walter Ulbrichts Zeiten galt das Bauhaus als volksfeindliche Erscheinung", erklärt Thöner. Auch danach habe sich nur allmählich etwas daran geändert. Den Geist der Freiheit und Internationalität, den das Bauhaus verkörpert, würden manche Einwohner Dessaus selbst heute ablehnen.

Bauhaus-Jubiläum: Bauhaus-Studenten in luftiger Höhe: Wer einst eines der 24-Quadratmeter-Zimmer mit Balkon im Ateliergebäude, einem Seitenflügel des Dessauer Bauhausgebäudes, ergattert hatte, konnte sich glücklich schätzen. Denn in den Zwanzigerjahren waren Einzelzimmer für Studenten purer Luxus.

Bauhaus-Studenten in luftiger Höhe: Wer einst eines der 24-Quadratmeter-Zimmer mit Balkon im Ateliergebäude, einem Seitenflügel des Dessauer Bauhausgebäudes, ergattert hatte, konnte sich glücklich schätzen. Denn in den Zwanzigerjahren waren Einzelzimmer für Studenten purer Luxus.

(Foto: Stiftung Bauhaus Dessau)

Die Sammlungspräsentation des Bauhausgebäudes umfasst nur 100 ausgewählte Exponate, die einen Überblick zu den verschiedenen Gestaltungsstilen am Bauhaus bietet. Zu ihnen gehören Designklassiker wie Wilhelm Wagenfelds Tischleuchte von 1923/24. Bei dieser überschaubaren Auswahl wird es nicht bleiben: Derzeit errichten Addenda Architects aus Barcelona im Dessauer Stadtpark mit einem finanziellen Aufwand von 25 Millionen Euro ein neues Bauhaus-Museum. Auch in Weimar und Berlin entstehen neue Museen. Am 8. September kommenden Jahres soll der Dessauer Neubau eröffnet werden. "Auf einer Ausstellungsfläche von 1500 Quadratmetern können wir dann circa 1000 Exponate zeigen", sagt Thöner. Die Ausstellung "Versuchsstätte Bauhaus. Die Sammlung" wird erzählen, wie Möbel, Textilien, Tapeten und baukünstlerische Entwürfe von einst die heutige Alltagskultur prägen.

Wie lebten Bauhaus-Studenten und Jungmeister wie Josef Albers, der Studenten mit verschiedenen Materialien wie Metall und Holz experimentieren ließ, in den Zwanzigerjahren in Dessau? Das erfährt man im Ateliergebäude, einem der Flügel des Bauhausgebäudes. Besucher übernachten hier in authentischer Atmosphäre, mit Mobiliar und Leuchten im Stil von Designern wie Marcel Breuer und Marianne Brandt, mit Sanitäranlagen auf dem Gang und Teeküche auf der jeweiligen Etage.

Ein neues Museum für Dessau, das heißt auch: Raum für neue Projekte im Bauhausgebäude. Das Bauforschungsarchiv der Stiftung Bauhaus Dessau sammelt Dokumente zu historischen Bautechniken sowie Originalbauteile. Viele dieser Stücke werden von 2019 an im Hochschulgebäude ausgestellt. Die Vielfalt ist groß und reicht von Putzfragmenten über Waschtische und Heizkörper bis zu alten elektrischen Schaltern und Türklinken.

"Viel Liebe zum Detail und gute soziale Konzepte" hat Angelika Scheidler auf ihrer Bauhaus-Tour entdeckt. "Darauf sollten wir heute beim Bauen mehr achten", lautet ihr persönliches Fazit.

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