Süddeutsche Zeitung

Baufinanzierung:Treue lohnt sich nicht

Wer einen Anschlusskredit aufnimmt, muss gut aufpassen. Denn sehr niedrige Zinsen bekommen meist nur Neukunden. Aber es lohnt sich, zu kämpfen.

Von Berrit Gräber

Zum Jahreswechsel laufen wieder viele Tausend Baukredite aus. In der Vergangenheit haben Immobilienkäufer die Finanzierung ihrer Häuser und Wohnungen gern zum Ende eines Jahres abgeschlossen, um von besseren Rahmenbedingungen zu profitieren. Aber was nun? Die meisten haben noch viele Zehntausend Euro Restschuld abzutragen. Kreditnehmer müssen sich jetzt sputen, um in den kommenden Wochen eine günstige Anschlussfinanzierung zu kriegen. Nichts leichter als das, sind viele überzeugt. Baugeld ist so billig wie nie zuvor. Ein Darlehen mit zehn Jahren Laufzeit ist jetzt unter 1,0 Prozent im Jahr zu kriegen. Was kaum jemand weiß: Banken haben die Bestmarken nicht automatisch für alle im Angebot. Ausgerechnet langjährige Kreditnehmer müssen um Traumzinsen und damit um eine schnellere Entschuldung kämpfen.

Nur wer hartnäckig feilscht und vergleicht, könne auch als Bestandskunde vom Rekordtief profitieren, betont Udo Schindler, Vorstand der Nürnberger Vermögensverwaltung KSW. Bei der Kreditvergabe gehe es alles andere als gerecht zu. "Das läuft bei vielen Banken inzwischen wie bei Autoversicherern: Neukunden kriegen die Top-Angebote, bei Altkunden greift eine ganz andere Kalkulation", kritisiert Finanzfachmann Schindler. Gerade jene, die auf einen günstigen Anschlusskredit angewiesen sind, werden in der Regel mit deutlich schlechteren Konditionen abgespeist. Sie müssen oft viele Zehntausend Euro mehr zahlen, als eigentlich nötig wäre, und viel länger auf ihre Schuldenfreiheit hinarbeiten. So manches Kreditinstitut nutze offensichtlich das "System der Zwei-Klassen-Gesellschaft, um die eigene Marge zu erhöhen", kritisiert der Vermögensverwalter.

Die Kundschaft, die eigentlich für jahrelanges eifriges Zurückzahlen belohnt werden müsste, habe in der Regel gar keine Ahnung, dass sie mit schlechteren Zinssätzen abgespeist werde, hat auch Jörg Sahr, Baufinanzierungsexperte der Stiftung Warentest, beobachtet. "Die meisten Banken versuchen, ihnen erst einmal ein viel zu teures Zinsangebot vorzulegen, das über dem Marktniveau und damit über den Neukunden-Tarifen liegt."

"Das funktioniert leider", sagt auch Josephine Holzhäuser von der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz. Denn: Ein Großteil der Verbraucher, die ihre Immobilie vor zehn Jahren noch zu Zinssätzen um die 4,5 Prozent finanziert haben, wissen häufig gar nicht, dass sie ihren Anschlusskredit jetzt um mindestens 3,5 Prozentpunkte billiger bekämen und schlagartig monatlich mehr Geld zur Verfügung hätten, wenn sie das wünschen. Alternativ könnten sie bei gleich hoher Rate deutlich mehr tilgen und Jahre früher schuldenfrei sein, was Experten einmütig empfehlen.

Ein Beispiel: Ein Hauskäufer, der Ende 2006 ein zehnjähriges Baudarlehen über 200 000 Euro aufnahm, zahlte in den vergangenen zehn Jahren 4,3 Prozent Zinsen pro Jahr. Bei zwei Prozent Tilgung musste er Monat für Monat die Rate von 1050 Euro stemmen. Zieht der Kreditnehmer zur Finanzierung seiner Restschuld jetzt für die kommenden zehn Jahre die historisch günstige Anschlussfinanzierung zu 1,0 Prozent pro Jahr an Land, lässt sich der Zins fast vierteln - und die Tilgungsrate entsprechend erhöhen, wie der Online-Baukreditvermittler Interhyp vorrechnet. Kann es sich der Darlehensnehmer leisten, die Rate von 1050 Euro im Monat auch weiterhin aufzubringen, wirkt das wie ein Entschuldungsturbo. Die Restschuld vermindert sich um stolze 40 000 Euro, der Häuslebauer ist seinen Schuldenberg Jahre früher los. "Angesichts der Bestkonditionen ist eine generelle Tilgungshöhe von mindestens drei Prozent ratsam", sagt Interhyp-Vorstand Michiel Goris.

In der Praxis läuft es aber meist ganz anders. Der dicke Zinsvorteil geht den meisten Altkunden durch die Lappen, weil sie ihn gar nicht angeboten bekommen und bei deutlich schlechteren Offerten für den dringend benötigten Anschlusskredit häufig gleich einschlagen. Wer momentan noch mehr als vier Prozent Zinsen im Jahr schultert, freue sich, wenn seine bisherige Bank ein Angebot für 2,5 oder 3 Prozent auf den Tisch legt, wie Sahr berichtet. Der Fachmann ist überzeugt: "Damit geben sich viele zufrieden, nur die wenigsten holen sich noch Vergleichsangebote ein."

Kreditinstitute setzen schlicht auf die Bequemlichkeit langjähriger Kunden, und die müssen dafür teuer bezahlen, wie Holzhäuser berichtet. Zwar ist jeder Baufinanzierer verpflichtet, am Ende der Zinsbindung ein Anschlussdarlehen anzubieten - die sogenannte Prolongation. Vertragsteile wie Sondertilgungsmöglichkeiten oder flexible Tilgungssätze bleiben dabei erhalten. Der Zins sollte an die aktuellen Marktgegebenheiten angepasst werden. Die Frage ist nur: wie stark?

Bei einem Neuabschluss wird die Bonität neu geprüft. Das kann sich auch negativ auswirken

Will der Geldgeber gute Konditionen des alten Vertrags abschütteln, wird er dem Kunden einen neuen anbieten. Auch hier sei Wachsamkeit wichtig, sagt Max Herbst, Zinsexperte der unabhängigen Finanzberatung FMH in Frankfurt. Für einen Neuvertrag wird auch die Bonität neu geprüft, was sich positiv, aber auch negativ auf den neuen Zins auswirken kann.

Häufig wird Altkunden die Anschlussfinanzierung auch erst so knapp vor Auslaufen des bisherigen Kredits präsentiert, dass nur die wenigsten auf die Idee kommen, sich anderweitig noch nach besseren Zinsen umzugucken. Wie viel Geld dabei flöten gehen kann, rechnet Schindler so vor: Kriegen Bestandskunden bei einem Baukredit von 200 000 Euro einen um ein Prozent schlechteren Zinssatz als für Neukunden üblich, bedeutet das eine Mehrbelastung von 20 000 Euro. "Dabei ist noch gar nicht berücksichtigt, dass sie die Zinsersparnis für eine höhere Tilgung nutzen und damit um Jahre früher schuldenfrei sein könnten", erläutert der Finanzfachmann. Und das, ohne einen Cent mehr im Monat zu zahlen als bisher.

"Treue lohnt sich nicht bei der Baufinanzierung", betont Sahr. Wer schlechte Konditionen von seiner Hausbank vorgesetzt bekomme, solle den Vorschlag auf keinen Fall annehmen. Ein Marktvergleich ist unerlässlich. Seine Erfahrung: Meckern die Kunden, folgt auch ein günstigeres Angebot, und zwar auf dem Fuß. Ausgenommen sind Kreditsummen unter 50 000 Euro. "Da gibt es einen Kleinsummenzuschlag von bis zu 0,5 Prozentpunkten, der bei der Anschlussfinanzierung nicht wegzuverhandeln ist", lauten die Erfahrungen Sahrs.

Ist die Bausumme auf zwei Kredite gesplittet, gibt es keine Chance zu wechseln

Grundsätzlich ist es ratsam, sich gleich bei Online-Kreditvermittlern oder direkt bei einer anderen Bank nach günstigeren Zinsen zu erkundigen und dann zu wechseln. Auch wenn damit etwas Mehraufwand, nämlich die Abtretung der Grundschuld, verbunden ist. Das koste bei einer Darlehenssumme von 200 000 Euro etwa 400 Euro, wie Schindler vorrechnet. Dafür winkt eine Ersparnis von vielen Tausend Euro. Der Wechsel lohnt sich bereits, wenn die neue Bank ein bis zwei Zehntel-Prozentpunkte günstiger ist als die alte. Aber: Ist die Bausumme auf zwei Kredite gesplittet, "gibt es keine Chance zu wechseln", erklärt Sahr. Die alte Bank gebe den ersten Rang im Grundbuch nicht frei, und für die neue komme eine Nachrangfinanzierung nicht infrage.

Wer seine Anschlussfinanzierung bei einer neuen Bank noch vor Weihnachten unter Dach und Fach haben will, sollte nicht trödeln, heißt der Rat aller Experten. Normalerweise braucht es einige Tage, bis der Häuslebauer den Markt sondiert, die Konditionen verglichen und die nötigen Unterlagen für den Wechsel beisammen hat. Auch der neue Baufinanzierer kann nicht hexen. Für die Prüfung eines Darlehensantrags gehen normalerweise noch einmal gut zwei Wochen ins Land.

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Quelle:
SZ vom 11.11.2016
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