Süddeutsche Zeitung

Bauexperte:"Es fehlt an langfristigem Denken"

Wie Klimaschutz und Mieterinteressen kollidieren und welche Auswege es aus dem Dilemma gibt, erklärt Dietmar Walberg.

Interview von Ralph Diermann

SZ: Es kommt vor, dass Mieter nach einer energetischen Sanierung ausziehen müssen, weil sie sich die dann höhere Miete nicht leisten können. Fördert die Energiewende die Gentrifizierung?

Dietmar Walberg: Wir haben in der Tat das Problem, dass eine Minderung des Energiebedarfs oder der nachträgliche Einbau von Erneuerbarer-Energien-Heiztechnik im Gebäudebestand oft mit sehr hohen Kosten verbunden ist. In der Folge steigen die Kaltmieten in vielen Fällen erheblich. Insofern trägt die energetische Sanierung durchaus zur Gentrifizierung bei.

Um welche Beträge geht es dabei?

Das kann man nicht pauschal sagen, weil das vom Zustand der Immobilie abhängt. Bei Wohngebäuden aus den Fünfzigerjahren liegt die Kaltmiete nach einer umfassenden Sanierung häufig um drei bis vier Euro pro Quadratmeter höher. Die Energiekosten sinken aber nur um fünfzig bis siebzig Cent. Die Sanierung jüngerer Gebäude ist mitunter günstiger. Doch auch hier übersteigen die Kosten die Einsparungen meist erheblich. Eine Warmmieten-neutrale Sanierung ist in der Regel nur in ganz bestimmten Fällen unter ganz bestimmten Rahmenbedingungen möglich.

Die Deutsche Energie-Agentur dena oder die KfW-Bank sehen das aber anders.

Diesen Wirtschaftlichkeitsrechnungen liegen gänzlich unsanierte Gebäude zugrunde, bei denen man schon mit geringem Aufwand große Einsparungen erzielt. Solche Häuser gibt es aber kaum noch. Nach unseren Berechnungen sind gerade einmal vier bis sieben Prozent der älteren Wohngebäude völlig unsaniert. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass der allergrößte Teil des Bestands in einem ordentlichen energetischen Zustand ist - auch wenn beispielsweise die Dämmung nur zehn statt dreißig Zentimeter dick ist oder wenn die Heizung keine erneuerbaren Energien nutzt. Den Energiebedarf dieser Gebäude weiter zu reduzieren, ist vergleichsweise aufwendig.

Nun argumentieren etwa Fenster- oder Dämmstoffhersteller, dass mit der Sanierung auch der Wohnkomfort steigt.

Natürlich, aber was nutzt mir das als Mieter, wenn ich anschließend statt sieben Euro elf Euro pro Quadratmeter zahlen muss? Ich wohne besser, kann mir die Miete aber nicht mehr leisten...

Liegt das Problem der Gentrifizierung nicht vielmehr darin, dass zusammen mit der energetischen Sanierung oft auch andere kostspielige Modernisierungsmaßnahmen durchgeführt werden?

Es macht keinen Sinn, ein Gebäude energetisch umfassend zu sanieren, wenn man sich bei der Gelegenheit nicht auch damit beschäftigt, ob das Haus als Ganzes noch zeitgemäß ist - ob zum Beispiel der Grundriss der Wohnungen noch den heutigen Bedürfnissen entspricht. Wenn man an die Bausubstanz gehen muss, etwa Wände versetzen muss, wird es natürlich sehr teuer.

Eigentümer können für eine energetische Modernisierung eine Förderung durch die KfW in Anspruch nehmen. Inwieweit mindert das den Druck auf die Mieter?

Wer seine energetische Sanierung von der KfW fördern lassen will, muss im Ergebnis einen bestimmten Effizienzstandard erreichen. Diese Vorgaben sind sehr ambitioniert. Entsprechend teuer sind die Maßnahmen, die nötig sind, um die Anforderungen zu erfüllen. Das schlägt sich dann natürlich in der Miete nieder. Dazu kommt, dass die KfW nicht den Auftrag hat, die regionalen Gegebenheiten zu berücksichtigen. Es macht aber einen Unterschied, ob ein Gebäude im nordfriesischen Hinterland steht oder in Hamburg, wo Eigentümer ganz andere Mieten erzielen können. Statt ein Fördersystem über das ganze Land zu stülpen, wäre eine regionale Differenzierung sinnvoll.

Wo lässt sich noch ansetzen?

Wir müssen uns jetzt vor allem Zeit nehmen, die Wirksamkeit der bisherigen Effizienzstrategien zu überprüfen. Bei deren Entwicklung fehlt es an langfristigem Denken. Ablesbar ist das zum Beispiel am Ordnungsrecht: Die Energieeinsparverordnung wurde mehrfach überarbeitet, 2009 komplett neu gefasst, 2014 wieder auf den Kopf gestellt. Diese Kurzatmigkeit widerspricht der Praxis im Wohnungsbau. Hier wird in ganz anderen Zeiträumen gedacht - schließlich bauen wir ja für Jahrzehnte.

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Quelle:
SZ vom 02.12.2016
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