Barrierefrei bauen:Über die Schwelle

Lesezeit: 5 min

Zu kleine Eingänge, zu viele Stufen, unpraktische Bäder: Senioren und Menschen mit Behinderung kommen in ihren Wohnungen oft schwer zurecht. Umbauten sind meist schwierig und teuer, aber immerhin hilft der Staat.

Von Sebastian Hepp

Das Älterwerden lässt sich gut verdrängen, irgendwann kann man es aber nicht mehr ganz ignorieren. Etwa, wenn der Fernsehmoderator zu leise redet und einem das Treppensteigen schwerer fällt. Dann blickt man sich vielleicht im Haus oder der Wohnung um und sucht nach Möglichkeiten, das Wohnen für sich einfacher zu gestalten. Und es fällt einem vielleicht das Wort "barrierefrei" ein, von dem man immer wieder mal gehört hat. Doch barrierefrei bauen und wohnen, was heißt das eigentlich?

Man wäre nicht in Deutschland, gäbe es dazu nicht umfangreiche Regelungen. Dem Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) zufolge umfasst der Begriff "barrierefrei" viel mehr als nur den stufenlosen Zugang für Rollstuhlfahrer, den viele damit immer noch assoziieren. Barrierefrei sind "bauliche Anlagen, soweit sie für Menschen mit Behinderung in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind".

Es geht also auch um Personen mit Seh- oder Hörschwächen, mit motorischen Einschränkungen, um groß- und kleinwüchsige Menschen, die sich ohne große Einschränkungen in ihrer Umgebung bewegen können sollen. Auch wer Probleme mit der Sprache oder kognitive Einschränkungen hat, soll sich zurechtfinden. Von barrierefreien Häusern profitieren also viele Menschen, nicht nur alte, sondern zum Beispiel auch Familien, die ihren Nachwuchs im Kinderwagen transportieren. Natürlich treibt aber vor allem die demografische Entwicklung die Nachfrage nach Wohnungen ohne lästige Schwellen. "Die Kräfte im Alter werden einfach weniger, und wir brauchen auch mehr Platz in der eigenen Wohnung", sagt Michael Klingseisen, Architekt sowie öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger zum Thema Barrierefreies Bauen in München.

Die strenge DIN-Norm kann den Wohnungsbau verteuern und die Mieten hochtreiben

Welche Bauvorhaben in welchem Umfang barrierefrei sein müssen, regeln die Bauordnungen der Länder, die sich meist an die Musterbauordnung des Bundes anlehnen, eine Art Empfehlungskatalog zum Thema Barrierefreies Bauen. In Bayern wird das Thema im Artikel 48 der Bayerischen Bauordnung (BayBO) geregelt. Für Mehrfamilienhäuser, öffentlich zugängliche Gebäude und bauliche Anlagen sowie Einrichtungen, die überwiegend oder ausschließlich von Menschen mit Behinderungen, alten Menschen und Personen mit Kleinkindern genutzt werden, gilt, dass sie "ab dem öffentlichen Gehweg barrierefrei erreichbar und in bestimmten Bereichen barrierefrei nutzbar sein müssen". In Mehrfamilienhäusern müssen in der Regel mindestens die Wohnungen eines Geschosses barrierefrei erreichbar sein. Ein- und Zweifamilienhäuser sind von den Vorschriften ausgenommen.

Die genauen technischen Anforderungen sind in der Norm DIN 18040 geregelt. Die gilt allerdings nur für neue Gebäude. "Die Kriterien der DIN sind teilweise so streng, dass sie in Bestandsgebäuden nur sehr schwer und mit erheblichem Aufwand umzusetzen wären", berichtet die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Zwar kann es auch bei Umbau- oder Anpassungsmaßnahmen in der Wohnung die Pflicht geben, Räume barrierefrei zu gestalten. "Dies gilt allerdings nur, soweit dies technisch möglich ist und die Aufwendungen für die Barrierefreiheit im Verhältnis zur Gesamtmaßnahme noch wirtschaftlich zumutbar sind", erläutert die Münchner Lokalbaukommission. Im Übrigen greife hier der Bestandsschutz. Das bedeute, dass die Behörde bei Gebäuden, die rechtmäßig errichtet wurden, nur unter sehr engen Voraussetzungen nachträglich Anpassungen verlangen könne.

Hohe Anforderungen können auch im Neubau zu einem Problem werden. Vor allem die strenge DIN-Norm kann den Wohnungsbau verteuern - und damit auch die Mieten in die Höhe treiben. So mahnte vor Kurzem der Wohnungsverband GdW, dass die Anforderungen an die Barrierefreiheit "sinnvoll und ausgewogen" sein müssten. Nicht jedes Gebäude müsse barrierefrei errichtet werden, so der Spitzenverband, in dem hauptsächlich kommunale Unternehmen und Genossenschaften organisiert sind. Die Unternehmen fordern vor allem eine flexiblere Planung im Quartier. Wenn zum Beispiel ein Mietshaus komplett barrierefrei gebaut werde, könnten für das Nebengebäude niedrigere Anforderungen gelten. Mit Skepsis sieht die Wohnungswirtschaft auch, dass in der EU derzeit an einer neuen Norm zur Barrierefreiheit gearbeitet wird. Das Ziel sei zwar positiv zu bewerten, so der GdW. Der Verband befürchtet aber, dass mit den verschärften Anforderungen die Baukosten weiter steigen.

Schon heute werden ohnehin viele Wohnungen barrierefrei - oder zumindest barrierearm - gebaut. "Das große Problem ist die Anpassung der Bestandswohnungen, die größtenteils noch nicht barrierefrei sind", sagt Architekt Klingseisen. Was aber, wenn jemand in seinen vier Wänden nicht mehr zurechtkommt, zum Beispiel ein Rollstuhlfahrer? Dann wird es schwierig, auch wenn es theoretisch eine ganze Reihe von Maßnahmen gibt, die hier weiterhelfen können. Zum Beispiel kann die Eingangstür verbreitert und die Wohnung mit automatischen Türöffnern versehen werden, oder man kann sich einen Treppenlift einbauen lassen.

Francesco di Pace, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht, begrüßt es, dass Seniorinnen und Senioren auf diese Weise immer länger zu Hause wohnen können. Doch die finanziellen Aufwendungen für barrierefreies Wohnen seien oft sehr hoch, wie der Experte aus seiner Beratungspraxis für Haus & Grund München zu berichten weiß. Er konstatiert aber auch: "Die Leute sind eher bereit, viel Geld auszugeben, als aus ihrer Wohnung auszuziehen." Wenn sich ein Umzug nach zwei oder drei Jahren dann aber doch nicht mehr vermeiden lasse, laufe der Aufwand für alten- oder behindertengerechte Maßnahmen oft ins Leere. Ein Vermieter sei schließlich nicht gezwungen, seine Wohnung beim Auszug eines Mieters mit körperlichen Einschränkungen erneut an Personen dieser Zielgruppe weiterzuvermieten. "Diese Wohnungen gehen für diejenigen, auf die sie eigentlich zugeschnitten sind, dann verloren", so di Pace.

Wer Fördergeld haben will, muss oft hohe technische Anforderungen erfüllen

Immerhin gibt es für Umbauten vergünstigte Kredite und Zuschüsse. Je nach Bundesland sind die Programme jedoch unterschiedlich. Oft sind die Regelungen kompliziert und die Fördertöpfe schnell leer. Förderfähig sind in der Regel zum Beispiel der Einbau behindertengerecht sanitärer Anlagen oder die Nachrüstung von automatischen Tür- oder Fensterantrieben. Besonders der Umbau von Bad und WC ist meist eine "ziemlich teure Angelegenheit", wie Michael Klingseisen aus seiner Erfahrung bestätigt. Er verschlinge "gut und gerne 15 000 bis 20 000 Euro". Voraussetzung für die Förderung in Bayern ist aber die durch ärztliches Attest oder Schwerbehindertenausweis nachgewiesene Behinderung von mindestens Grad 50 und die Einhaltung bestimmter Einkommensgrenzen.

Die staatliche Förderbank KfW unterstützt den altersgerechten Umbau von Wohnungen im Programm 159. Allerdings sind hier oft strenge technische Voraussetzungen zu erfüllen, etwa zur Breite von Türen oder der Größe von Wohn- und Schlafräumen nach dem Umbau. Die KfW lehne sich bei ihrem Programm weitgehend an die DIN-Norm zur Barrierefreiheit in Neubauten an, erläutert die Verbraucherzentrale NRW. Doch was dort sinnvoll sei, erweise sich im privaten Gebäudebestand oft als wenig hilfreich. Hier gehe es vielmehr "um Augenmaß bei der Herstellung sinnvoller Barrierereduktion, ohne dass Aufwand und Kosten explodieren". Die Verbraucherschützer raten daher, auf die KfW-Programme für Modernisierungsmaßnahmen auszuweichen.

Die KfW gewährt neben einem vergünstigten Kredit auch einen direkten Zuschuss. Gefördert werden dabei auch sogenannte altersgerechte Assistenzsysteme (Ambient Assisted Living (AAL)). Zu den gemeinhin als "Smart Home-Technik" bezeichneten Installationen gehören unter anderem Sensoren, die ohne Knopfdruck Notfallsituationen wie Stürze erkennen können oder ein AAL-Konzept für Alzheimer-Erkrankte bei alltäglichen Dingen wie dem Kochen. Nicht förderfähig ist bisher eine japanische Errungenschaft, die Architekt Francesco di Pace auf einem japanischen Video entdeckte. Da greift sich ein männlicher Roboter seine 80-jährige Braut und trägt sie die Treppe empor - ein barrierefreier Auftritt.

© SZ vom 03.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: