Bargeld:Was uns ohne Bargeld fehlen würde

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(Foto: Illustration: Marc Herold)

Scheine und Münzen erzählen vom politischen und kulturellen Selbstverständnis einer Gesellschaft. Für die Menschen sind sie noch mehr: treue Begleiter.

Die höchsten Gebäude des Landes dürfen nicht fehlen, aber sie stehen eher im Hintergrund. Auf der neuen 50-Dollar-Banknote des Inselstaats Trinidad und Tobago, der Banknote des Jahres 2014, strahlen die Zwillingstürme des Finanzministeriums und der Notenbank Stabilität aus, sie signalisieren Vertrauen: Hinter diesem Geld stehen eine funktionierende Zentralbank und Finanzverwaltung. Dazu, fein gezeichnet, das Landeswappen, eine Frau im prachtvollen Karnevalskostüm, ein roter Hibiskus und ein Rotkardinal, der Nationalvogel - Symbole der kulturellen Identität.

Banknoten waren immer schon Kunstwerke. Anders als Münzen bieten sie Raum für Kupferstiche, kunstvolle Schriftzüge und heute etwa für moderne Designsprache. In ihnen spiegelt sich gleichwohl der politische Geist einer Epoche, das kulturelle Selbstverständnis von Nationen und der Machtanspruch der Herrschenden. Der US-Dollar sieht schon lange gleich aus, er ist eine Konstante im Wandel der Geschichte des modernen Geldsystems. Im Slang heißen Geldscheine in den USA "dead presidents", tote Präsidenten.

Die Deutschen zeigten nach der Währungsreform 1948 ihre Dichter und Denker, denn mit ihnen wollten sie sich sehen und gesehen werden. Heute erinnert die Gestaltung der Euro-Noten wiederum an das gemeinsame kulturelle Erbe der Europäer, die Brücken auf der Rückseite symbolisieren die europäische Einigung. Das mag alles auch oft ein wenig pathetisch sein. Aber die Menschen, die diese Scheine und Münzen täglich in die Hände nehmen, haben sich mit den Motiven und ihrer Bedeutung angefreundet, ja sie vielleicht sogar lieb gewonnen.

Zugesteckt

Kinder kennen das: Sie bekommen von ihren Großeltern Geld zu Weihnachten, zum Geburtstag oder einfach so. Keine großen Beträge, vielleicht fünfzig Euro. Aber für die Beschenkten ist es etwas Besonderes, so große Scheine gibt's selten. Stolz präsentiert man als Kind den neuen Reichtum Eltern und Geschwistern, ehe man ihn sorgsam in einer Spardose verstaut - und monatelang nicht anrührt. Er wird gehütet, anders als die Fünfer und Zehner, die für Kleinigkeiten ausgegeben werden. Oma hat ihn in einem Buch versteckt, in eine Weihnachtskarte eingelegt oder zusammengerollt an den Christbaum gehängt. Sicher, sie hätte auch überweisen können, auf der Bank oder mit dem Smartphone. Vielleicht hinge dann eine Überweisungsbestätigung am Baum, mit einer netten Betreffzeile. Aber wo sind dann genau diese 50 Euro, die ja eigentlich genauso aussehen wie alle anderen 50 Euro, aber doch ganz anders, ganz besonders sind?

Eingeweckt

Schnellkochtöpfe waren besonders beliebt, weil sie sich besser eignen als beispielsweise Blumenkästen, um Geldscheine sicher aufzubewahren, wobei man den Topf freilich am besten noch im Garten vergräbt. Um 1,5 Milliarden Euro in Scheinen erleichterten die Griechen an einem einzigen Freitag im Juni 2015 ihre Bankkonten - aus Angst vor Kapitalkontrollen - die dann auch kamen. Nach dem Motto: Was ich in der Hand habe, kann mir keiner nehmen, und wenn Griechenland aus der Euro-Zone fällt, dann reicht mein Vorrat in Kopfkissen und Einweckgläsern zumindest noch für eine Weile. Selbst Bankangestellte glaubten nicht mehr an das virtuelle Vermögen, das sie hüten sollen: Sie empfahlen, Geld von den Konten zu nehmen und es in physisch-realer Form in einen Banksafe zu legen. Bis die Zeiten besser werden.

Prall gefüllte Briefumschläge und Portemonnaies

Reisen ohne Rechnen

Südfrankreich im Sommer 2002: Das Abi in der Tasche, auf dem Weg ans Meer, was war die Welt grandios, grenzenlos. Genauso wie Europa, das in diesem Jahr noch grenzenloser schien. Zumindest fielen mit dem endlich eingeführten Euro all die lästige Wechselei und Rechnerei weg. Erledigt hatte sich eine der großen Fragen des Reisens: Wie viel soll ich nur wechseln? Genauso wie das Reste-Problem, die Münzen, vielleicht noch ein paar kleine Scheine, die sich vor der Heimreise partout nicht mehr ausgeben ließen. Macht ja nichts, dachte der Reisende stets, beim nächsten Besuch nimmt man das Kleingeld einfach wieder mit. Nur passiert ist es nie. Jahrzehntelang mischten sich Francs und Rubel, Lira und Pfund, Schilling und Gulden wild in der Schublade. Vorbei war all das 2002, dank des Euro. Eine Währung für alle, und statt monetären Altmetalls gab es interessante neue Münzen, die auch daheim noch etwas wert waren. Alles viel praktischer mit dem brandneuen Bargeld, viel einfacher. Nur für den Abiturienten in der Praxis auch ziemlich ernüchternd. Auf den ersten Blick war unmissverständlich klar, was das Leben an der Côte d'Azur wirklich kostet. Die Erkenntnis war für den Abiturienten dann gar nicht mehr so grandios.

Kurzer Reichtum

Ein Briefumschlag voller Geld. So dick und schwer, dass man davon gefühlt ewig leben könnte. Er ist ein Geschenk, eine Unterstützung für die erste eigene Wohnung. Am Anfang ist das Bündel Scheine nur dafür da, angeschaut zu werden. Es wird herausgenommen, durchgeblättert. Manche Scheine sind frisch und noch ganz steif. Andere abgegriffen und dreckig. Im Umschlag riecht es irgendwie unanständig. Ja, man hat das Vielfache davon auf dem Konto, aber als Bündel drängelt es sich ständig in die Gedanken der Besitzerin. Erst nimmt sie ein paar Scheine für das Sofa heraus. Dann für den Sessel. Den Ikea-Einkauf. Die Wandfarbe und Diverses aus dem Baumarkt. Der Umschlag wird schmaler. Die Besitzerin verunsichert das, sie hängt an den Scheinen. Sie beginnt, weitere Anschaffungen mit der Karte zu bezahlen. Am Ende hat sie weit mehr ausgegeben als im Umschlag war. Typisch, sagen Verbraucherschützer: Wer bargeldlos zahlt, gebe viel schneller viel mehr aus und verschulde sich auch einfacher. Schließlich ist es doch etwas anderes, eine Karte ins Lesegerät zu stecken, als Fünfziger abzuzählen.

Elektro-Trinkgeld

Ein prall mit Bargeld gefülltes Portemonnaie zu haben, ist ja an sich etwas Schönes. Wenn man in einer überfüllten Kneipe kellnert und sich mit vollen Biergläsern zwischen angetrunkenen Menschen durchschieben muss, kann man aber schon ein mulmiges Gefühl bekommen. Denn am Ende des Abends trägt man manchmal mehr Geld mit sich herum als der studentische Aushilfsjob im Monat einbringt. Da kann man nur hoffen, dass niemand unbemerkt den kleinen Haken öffnet, der den Geldbeutel am Gürtel befestigt. Wenn es kein Bargeld gäbe, gäbe es auch weniger Trinkgeld, sagen Verteidiger der Geldscheine. Doch erstens kann schon jetzt jeder mit der Karte den gewünschten Trinkgeldbetrag überweisen und zweitens: Was machen schon ein paar Euro weniger gegen den Verlust eines ganzen Abendumsatzes? Den muss man nämlich im Zweifel selbst finanzieren. Das eigene Bier fällt dann wohl weg.

Geld in der Tasche

Eine Kugel Erdbeereis, der neueste Mickey-Maus-Comic oder eine Tüte Süßigkeiten am Kiosk: Die Investitionsmöglichkeiten für das wöchentliche Taschengeld sind seit jeher fast unbegrenzt. Taschengeld - schon der Name verrät, dass es sich dabei um Münzen oder Scheine handeln muss. Die, einmal von den Eltern mit mahnender Miene verteilt, für die folgenden Stunden oder gar Tage bedeutungsvoll in den Hosentaschen klimpern und knistern. Wie falsch dagegen würde es sich für Eltern anfühlen, einen Dauerauftrag über wenige Euro auszufüllen, zahlbar zum letzten Werktag jeder Woche? Ihr Eis zahlen die Kinder dann mit Kreditkarte? Überhaupt ist Bargeld eindrücklicher als ein virtueller Kontostand: Es lässt sich stapeln, sortieren, in Häufchen sammeln. Und sie lassen sich mit schwitzigen Kinderfingern wieder und wieder umdrehen. Zum Beispiel dann, wenn die Entscheidung pro oder contra Gummibärchen mal wieder länger dauert.

Kredit ohne Karte

Nello macht tolle pasta alla puttanesca, die beste Holzofen-Pizza weit und breit, die Einrichtung seines Restaurants ist angenehm unprätentiös - man könnte auch sagen: von gleichgültiger Hässlichkeit. Alles perfekt. Nur eins bietet Nello nicht an: Bargeldloses Bezahlen. Keine Kreditkarten, keine EC-Karten, aus Prinzip nicht. Diese Verbrecher mit ihren Gebühren! Und weil im Portemonnaie natürlich keine Scheine stecken, wird es nach dem Espresso ungemütlich: Ins Auto, zum Automaten, Geld holen, wieder ins Auto, Geld abliefern. Bis zum dritten Besuch. Dann sagt Nello den wunderschönen Satz: "Gibst Du mir einfach beim nächsten Mal." Irgendwo hinterm Tresen liegt dann ein unleserlicher Zettel, auf dem Nello eine Zahl zu finden vorgibt, wenn man ihn beim nächsten Besuch daran erinnert. Irgendwie schade, wenn es das mal nicht mehr geben sollte.

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