Barbara Hendricks:"Das ist ein Riesenproblem"

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Es wird zu wenig und teuer gebaut, auch wegen vielen Vorschriften und einem Mangel an Handwerkern, sagt die Bundesbauministerin.

Interview von Michael Baumüller und Andreas Remien

Vor allem in den Städten fehlen bezahlbare Wohnungen. Bundesbauministerin Barbara Hendricks (SPD) fordert daher, Vorschriften zu vereinheitlichen und Verordnungen abzuschaffen.

SZ: Frau Ministerin, im vergangenen Jahr wurde deutlich mehr gebaut, im ersten Halbjahr 2017 sind die Genehmigungszahlen aber schon wieder zurückgegangen. Warum kommt der Neubau nicht so richtig in Schwung?

Barbara Hendricks: Den Rückgang der Genehmigungen im ersten Halbjahr kann man ganz leicht erklären: Es wurden weniger Wohnheime genehmigt. Davon mussten 2016 besonders viele gebaut werden, um Flüchtlinge unterbringen zu können. Wir sind aber mittlerweile wieder richtig gut in dem Segment, das besonders wichtig ist: dem Neubau von Mehrfamilienhäusern. Dass es hier eine Steigerung gibt, ist ein erfreuliches und wichtiges Signal.

Der Zuwachs betrug allerdings nur etwa 1,8 Prozent.

Immerhin. Das ist ein Plus. Bauen hat ja auch einen langen Vorlauf - das geht nicht so schnell, wie Autos zu produzieren. Es gibt in Deutschland einen enormen Nachholbedarf, weil seit ungefähr zehn Jahren viel zu wenig gebaut wurde. Die Wohnungsmärkte waren entspannt und es gab die verbreitete Vorstellung, Deutschland sei zu Ende gebaut. Das haben damals eigentlich alle angenommen, die Bauwirtschaft genauso wie die Wissenschaft und die Politik. Derzeit gehen wir davon aus, dass in diesem Jahr etwa 320 000 Wohnungen fertiggestellt werden. Das wäre im Vergleich zum Jahr 2009 eine Verdopplung. Wir brauchen allerdings mindestens 350 000 neue Wohnungen pro Jahr.

Um dieses Ziel zu erreichen, fordert die Bauwirtschaft eine Verbesserung der steuerlichen Abschreibung. Wäre das ein gutes Mittel?

Bei der jetzigen überhitzten Baukonjunktur rate ich davon ab. So ein Mittel nutzt man in Zeiten, in denen die Konjunktur lahmt. Davon würden auch die Preise nicht sinken. Das hat uns die Vergangenheit gelehrt. Der Bauboom der Neunzigerjahre wurde von den damaligen Abschreibungsbedingungen befördert. Die Anleger haben damals in irgendwelche Gebäude investiert, oft kannten sie nicht mal die Städte und wussten nicht einmal, ob die Wohnung nach Norden oder Süden ausgerichtet war. Das war ein völlig verrückter Bauboom, der ausschließlich steuerlich induziert war. So etwas hilft in der aktuellen Lage nicht.

Wie kann die öffentliche Hand dann den Neubau ankurbeln?

Der Neubau läuft bereits auf einem hohen Niveau - nicht nur im Wohnungsbau. Die Folge ist, dass die Bauwirtschaft an der Kapazitätsgrenze arbeitet. Wir brauchen also dringend mehr Kapazitäten in der Bauwirtschaft. Das geht jedoch nicht von heute auf morgen. Anfang der Neunzigerjahre gab es im Bauhauptgewerbe etwa 1,4 Millionen Beschäftigte. Jetzt sind es noch etwa 780 000. Es wäre sinnvoll, stetige Investitionen der öffentlichen Hand zu gewährleisten, damit die Bauwirtschaft langfristig kalkulieren und Kapazitäten aufbauen kann. Das bedeutet Investitionen nicht nur in Wohnungen, sondern auch in Kindergärten, Schulen et cetera.

Das geringe Angebot in den Städten führt dazu, dass Wohnen für immer mehr Menschen unerschwinglich wird. Gleichzeitig entstehen viele teure Eigentums- und Luxuswohnungen. Was muss eine Bundesregierung tun, damit mehr bezahlbare Wohnungen entstehen?

Sie muss vor allem den eigentlich zuständigen Ländern dabei helfen, mehr neue Sozialwohnungen zu bauen. Darum haben wir die Bundesmittel dafür in dieser Wahlperiode bereits verdreifacht. Aber diese Entwicklung muss noch weitergehen. Derzeit haben wir nur noch gut 1,3 Millionen Sozialwohnungen, und es werden jedes Jahr weniger. Viele Länder haben die Zeichen der Zeit lange nicht erkannt. Ein zweiter Hebel sind die Grundstücke. Der Bund besitzt Grundstücke über die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima), die beim Bundesfinanzminister angesiedelt ist. Es kann nicht sein, dass die Bima diese Grundstücke zum Höchstpreis verkauft. Entscheidendes Kriterium muss doch sein, dass bezahlbarer Wohnraum entsteht. Es gibt zwar eine Verbilligungsrichtlinie, nach der es einen Rabatt gibt, wenn auf den Grundstücken Sozialwohnungen errichtet werden, aber das wird noch zu selten umgesetzt. Gut wäre es, wenn nicht nur Kommunen, sondern etwa auch Genossenschaften oder private Investoren Grundstücke verbilligt kaufen könnten, um Sozialwohnungen zu bauen. Die Änderungen müssen nach der Bundestagswahl schleunigst auf den Weg gebracht werden.

Kaufen oder pachten: Ein Haus auf Erbbaugrund zu bauen, kann eine kostengünstige Alternative zu hohen Grundstückspreisen sein. (Foto: Arne Dedert/dpa)

Der Bund kann den Ländern für den sozialen Wohnungsbau nur noch bis 2019 Geld geben. Danach bräuchte es eine Grundgesetzänderung.

Und die muss dringend kommen in der nächsten Legislaturperiode. Der soziale Wohnungsbau ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Ich sehe nicht, dass die Länder den großen Bedarf ohne Hilfe des Bundes decken können.

Das hat bisher aber auch nicht immer gut geklappt. Viele Länder haben die Mittel für ganz andere Zwecke verwendet . Braucht der Bund wieder mehr Kompetenzen für den Wohnungsbau?

In der Tat sind seit der Föderalismusreform von 2006 die Länder alleine zuständig für den sozialen Wohnungsbau. Der Bund zahlt seitdem für einen Übergangszeitraum bis 2019 sogenannte Kompensationsmittel. Dass einige Länder diese Mittel für andere Zwecke verwendet haben, war nicht im Sinne des Erfinders. Einige Länder, zum Beispiel Berlin oder Hamburg, sind sehr gut unterwegs. Saarland, Sachsen-Anhalt und Sachsen haben hingegen im vergangenen Jahr keine einzige Sozialwohnung fertiggestellt. Und nach der letzten Erhöhung der Bundesmittel hat das Land Bayern seine eigenen Mittel gekürzt. So wird es natürlich nichts mit mehr sozialem Wohnraum.

Wie kann man das ändern?

Bund und Länder müssten wieder gemeinsam zuständig sein. Dann hätten wir auch eine Kontrollmöglichkeit, wie die vom Bund bereitgestellten Mittel eingesetzt werden.

Pro Jahr fallen derzeit etwa 50 000 Wohnungen aus der Sozialbindung, gleichzeitig kommen nur etwa 20 000 hinzu. Wie kann man diesen Schwund aufhalten?

Wir bräuchten eigentlich jährlich 80 000 neue Sozialwohnungen. Dafür brauchen wir zum einen mehr Geld. Nachdem der Bund seine Mittel verdreifacht hat, müssen auch die Länder mehr tun. Zum anderen brauchen wir mehr Bauland. Momentan liegen viele Flächen brach, weil die Eigentümer lieber auf steigende Preise spekulieren, als Wohnungen zu bauen. Diese Spekulation darf sich künftig nicht mehr lohnen. Kommunen sollten die Möglichkeit bekommen, solche Brachflächen stärker zu belasten als bebaute Grundstücke, zum Beispiel über die Grundsteuer. Die muss ja ohnehin reformiert werden.

Eine Steuerrallye hat es in den vergangenen Jahren bei der Grunderwerbsteuer gegeben. Müssen die Steuersätze gesenkt werden?

Ich halte Freibeträge sinnvoll für Menschen, die das erste Mal eine Wohnimmobilie kaufen. Eine vernünftige Größenordnung wären 150 000 bis 200 000 Euro bei erstmaligem Erwerb von selbstgenutztem Eigentum. Dabei müsste der Bund den Ländern finanziell unter die Arme greifen. Höhere Summen, wie sie die FDP jetzt vorschlägt, halte ich nicht für angebracht. Wer ein Haus für zwei Millionen Euro kauft, der kann auch dem Einkommen angemessen Steuern zahlen.

Unterschiedliche Regelungen in den Ländern machen nicht nur das Kaufen einer Immobilie, sondern vor allem das Bauen kompliziert und teuer.

Ja, das ist ein Riesenproblem. Schon seit den Sechzigerjahren gibt es eine Musterbauordnung. Die Länder haben sich nur darauf nie verständigen können.

Warum?

Das kann ich auch nicht verstehen. In Berlin gibt es zum Beispiel Vorschriften darüber, wie hoch die Handläufe von Treppenhäusern sein müssen. Die vorgeschriebenen Höhen unterscheiden sich aber von anderen Bundesländern - als ob große und kleine Menschen in Deutschland unterschiedlich verteilt wären.

Bau- und Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD). (Foto: Krisztian Bocsi/Bloomberg)

Ist Bauen in Deutschland zu kompliziert geworden?

Definitiv. Es gibt heute über 3600 bautechnische Normen. Wir überprüfen derzeit alle DIN-Normen und Vorschriften. Das ist ein sehr aufwendiges Verfahren. Viele Punkte fallen in die Zuständigkeiten der Länder und Kommunen, und nicht alle Verantwortlichen ziehen hier mit uns an einem Strang. Das sehen wir zum Beispiel beim Thema Stellplatzverordnung: In vielen Städten braucht man für jede Neubauwohnung immer noch einen Stellplatz. Das macht das Bauen enorm teuer. Aber ist das überhaupt noch notwendig? Viele junge Leute in den Städten fahren heute gar kein Auto mehr. Ich habe mir kürzlich ein Bauprojekt in Hamburg angesehen, das nah an der S-Bahn liegt. Dort ist nur für 40 Prozent der Wohnungen ein Stellplatz vorgesehen, zusätzlich gibt es noch Stellplätze für E-Bikes und Ladestationen. Solche Lösungen sind zukunftsorientiert.

In der Bauwirtschaft wird außerdem beklagt, dass die energetischen Auflagen das Bauen unnötig teuer machen.

Es gibt aber keine Forderungen mehr, dass wir die aktuellen Anforderungen der Energieeinsparverordnung 2016 aussetzen müssten. Es wird nach diesen Bedingungen geplant und gebaut. Abgesehen davon halte ich es auch nicht für fantasievoll, mit immer dickeren Wänden zu bauen. Das entspricht auch nicht gerade deutscher Ingenieurskunst. Wir haben deshalb mit den Wohnungsunternehmen im Rahmen der Innovationspartnerschaft vereinbart, gemeinsam nach neuen Lösungen zu suchen. So könnte zum Beispiel die CO₂-Bilanz eines Gebäudes und nach Möglichkeit auch eines ganzen Quartiers zu einem entscheidenden Kriterium werden. Kurz gesagt: Wenn mit Energie aus erneuerbaren Quellen geheizt wird, darf auch die Wand dünner sein.

Laut Klimaschutzplan sollen im Gebäudesektor weitere 50 Millionen Tonnen CO₂ pro Jahr eingespart werden. Wie kann das gelingen?

Wir müssen noch viel mehr als bisher machen. So müssen zum Beispiel die KfW-Förderungen gründlich überprüft werden. Für viele sind die Antragsverfahren viel zu kompliziert. Für Hausbesitzer, die energetisch sanieren wollen, halte ich auch steuerliche Anreize für denkbar. Und wir müssen uns verstärkt um die energetische Quartierssanierung kümmern.

Was passiert mit den alten Öl- und Gasheizungen?

Die Förderungen für effizientere Öl- und Gasheizungen müssen mittelfristig auslaufen. Die Zukunft liegt bei der Förderung von Heizsystemen, die zum Beispiel erneuerbare Energien nutzen, oder in Systemen mit Brennstoffzellen.

Für Mieter bedeuten Sanierungen oft deutlich steigende Mieten, weil der Vermieter elf Prozent der Kosten auf die Jahresmiete umlegen darf. Ist das gerecht?

Dieser Prozentsatz ist meiner Auffassung nach viel zu hoch. Wir hätten ihn gerne auf acht Prozent gesenkt, aber das war leider in der Koalition nicht durchsetzbar. Dabei wäre es mehr als gerechtfertigt in Zeiten niedriger Zinsen.

Zwischen Bauen und Umwelt gibt es immer wieder Konflikte. Auch deshalb fordert die Wohnungswirtschaft ein eigenständiges Bauministerium. Halten Sie das für eine gute Idee?

Nein, das halte ich überhaupt nicht für sinnvoll. Mit dem jetzigen Zuschnitt können alle Beteiligten unter einem Dach Lösungen finden. Würde man die Bereiche trennen, bestünde die Gefahr, dass sich die Ministerien untereinander nicht verständigen. Vor allem, wenn sie von Ministern unterschiedlicher Parteien besetzt wären.

© SZ vom 22.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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